Grand-Slam-Turnier:Meteoritengefahr in Paris

Lesezeit: 6 min

Ein gewohntes Bild bei den French Open: Rafael Nadal jubelt, hier im Jahr 2014. (Foto: Pascal Guyot/AFP)

Was macht die French Open einmalig? Warum sind die Gastgeber so feurig? Wer war Roland Garros? Und warum gewinnt eigentlich immer Rafael Nadal? Zehn Fragen und Antworten zum wichtigsten aller Sandplatzturniere.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Samstagmorgen, die Straßen sind noch leicht nass, es hatte am Abend zuvor heftig geregnet und auch gewittert, aber die Sonne lässt nun alle Wege rasch trocknen. Horden von Menschen machen sich bereits auf Richtung Roland Garros, vor allem Kinder, denn heute ist Kid's Day. Und das wird ernst genommen von den Familien. "Bonjour, herzlich willkommen bei Roland Garros", so ruft es ein junger Mann mit Megafon herunter, er sitzt auf einem Schiedsrichterstuhl, gleich an der Porte d'Auteuil, einem der größeren Verkehrsknotenpunkte im Westen von Paris. Eine kleine Begrüßung. Zwei Wochen Tennissport stehen an, an diesem Sonntag beginnen die ersten Erstrundenmatches im Hauptfeld, nachdem bereits das Qualifikationsturnier stattgefunden hat in den vergangenen Tagen. Jeweils 128 Profis bei den Frauen und Männern kämpfen um die Trophäe. Ein Ausblick auf die entscheidenden Themen, die diese Veranstaltung in den kommenden 15 Tagen zu klären hat - in zehn Fragen und zehn Antworten.

Worum geht es?

Im Tennis gibt es vier Grand-Slam-Turniere: die Australian Open (im Januar), die French Open (Ende Mai), Wimbledon (Juli) und die US Open (Ende August). Sie sind die wichtigsten Wettbewerbe, was sich auch an vielen Zahlen bemessen lässt. In Paris erhalten die Einzelsieger jeweils 2,2 Millionen Euro. Der Erstrundenverlierer verdient schon 40 000 Euro. Der Sieger erhält 2000 Punkte für die Weltrangliste, zum Vergleich: Als Alexander Zverev Anfang Mai in München das ATP-Turnier gewann, erhielt er 250 Punkte. Roland Garros ist das einzige Grand-Slam-Event, das auf Sand ausgetragen wird. So ergibt sich automatisch das Alleinstellungsmerkmal. Kein Sandplatzturnier hat mehr Strahlkraft.

Warum nennen die Franzosen die French Open überhaupt Roland Garros?

Roland Garros ist der Name eines Mannes, mit ganzem Namen hieß er Roland Adrien Georges Garros. Er lebte von 1888 bis 1918 und ein Leben, das ihn zu einem Helden Frankreichs werden ließ. Und Helden in Frankreich werden auch so behandelt und gewürdigt, auch posthum. Ursprünglich wollte er Pianist werden, doch er änderte die Pläne und wurde Kampfpilot - ein derart besessener, dass er 1914, als der Erste Weltkrieg ausbrach, als bester Kampfpilot der Welt galt. So sehen es zumindest die Franzosen noch heute. Er entwickelte ein besonderes Schusssystem, das er aus dem Flieger abfeuern konnte. Garros geriet in Gefangenschaft, floh und starb am Abend vor seinem 30. Geburtstag. Ihm zu Ehren heißen die French Open auch Roland Garros. Muss man nicht gut finden, ist aber so. Gut war in jedem Fall die Einführung des Stade Roland Garros 1928 - ein Frauenländerkampf war der Anlass.

Warum sind die French Open so einzigartig?

Die Tradition wird oft an erster Stelle genannt, wenn es um die Bedeutung der French Open geht. Das ist natürlich richtig. 1891 fanden die ersten Meisterschaften statt, damals nur für Männer und nur für Franzosen. 1897 durften auch Französinnen ihren Titel ausspielen. Ab 1925 konnten das Turnier auch Ausländer bestreiten. 1968 begann die Profi-Ära im Tennis, und seitdem wächst diese Veranstaltung Jahr für Jahr. Was die French Open aber auch einmalig macht, ist das Publikum. Die Franzosen sind sportbegeistert, aber nicht so distinguiert und manierlich wie die Besucher in Wimbledon, nicht so entspannt wie die Australier in Melbourne, nicht so laut wie die Amerikaner in New York. Die Besucher hier sind, wenn man es pauschal sagen kann, mit Feuer und Leidenschaft dabei, können Spieler lieben und unterstützen, sie dann aber auch fallen lassen wie einen Opernsänger, der die Töne nicht trifft. Dann sind sie gnadenlos. (Siehe Martina Hingis, die 1999 als 18-Jährige beim Finale gegen Steffi Graf ausgebuht wurde.) Das Drama auf dem Platz ist das, was sie sehen wollen, und dieser Hang hat natürlich viel mit der Historie dieses Landes zu tun, in dem die Emotionen immer schon eine große Rolle gespielt haben.

Wer waren die größten Sieger und wer die größten Verlierer?

Der Spanier Rafael Nadal ist selbstverständlich der erfolgreichste Spieler der Geschichte in Paris. Zwischen 2005 und 2017 holte er zehn Titel. Der Schwede Björn Borg gewann sechsmal (zwischen 1974 und 1981) und Henri Cochet viermal (zwischen 1926 und 1932). Der Franzose zählte zu den sogenannten vier Musketieren damals mit den Landsleuten Jean Borotra, Jacques Brugnon und René Lacoste. Seine Statue steht auch auf dem Turniergelände und die vier sind Teil des Mythenzinnobers. Bei den Frauen führt Chris Evert aus den USA mit sieben Triumphen die Bestenliste an, Steffi Graf kam auf sechs.

Spezielle Verlierer gab es immer wieder, es sind vor allem jene Spitzenprofis, die fast alles gewannen, aber nie Roland Garros: John McEnroe unterlag Ivan Lendl 1984 in einem herzzerreißenden Fünfsatz-Match; Boris Becker, Pete Sampras und Stefan Edberg blieb der Karriere-Grand-Slam verwehrt, weil sie in Paris scheiterten. Sampras kam nur einmal ins Halbfinale (1996), Boris Becker erreichte diese Phase immerhin dreimal (1987 gegen Mats Wilander, 1989 gegen Stefan Edberg und 1991 gegen Andre Agassi), und Edberg... Edberg verlor 1989 das Endspiel gegen Michael Chang.

Ist Nadal zu stoppen?

Ja. Etwa durch eine Verletzung, oder durch eine Erkältung. Oder durch einen Weltuntergang aufgrund eines Meteoriteneinschlags. Kurzum: Wenn er fit bleibt, wird der bald 32-jährige Spanier nicht zu stoppen sein. Ärgern können ihn aber manche: Zverev, Novak Djokovic, Fabio Fognini, Juan Martin del Potro und Dominic Thiem, der den Spanier nach dessen 50 gewonnenen Sätzen auf Sand in Serie in Madrid als Erster wieder bezwang. Andererseits: In Paris wird auf drei Gewinnsätze gespielt, in diesem Format hat Nadal in Paris erst zweimal verloren: 2009 gegen Robin Söderling (Nutznießer: der spätere Turniersieger Roger Federer) und 2015 gegen Novak Djokovic (Nutznießer: Stan Wawrinka). Also ist ein Meteoriteneinschlag vielleicht doch wahrscheinlicher.

Erreicht Alexander Zverev diesmal sein erstes Viertelfinale bei einem Grand Slam?

Der 21 Jahre alte Deutsche, der schon die Nummer drei der Welt ist, hat bereits acht Titel gewonnen auf der Tour - aber er erreichte noch nie ein Viertelfinale bei einem Grand-Slam-Turnier. Und er stand auch nur einmal in einem Achtelfinale, 2017 in Wimbledon. In Paris ist er hinter Nadal an Nummer zwei gesetzt (Roger Federer verzichtete auf einen Start), dieser Vorteil verschaffte ihm eine angenehmere Auslosung. Zverev trifft an diesem Sonntag auf den Litauer Ricardas Berankis. Um den Weg ins Viertelfinale zu schaffen, dürften der Franzose Lucas Pouille und der Schweizer Stan Wawrinka in einem möglichen Achtelfinale die größten Hürden sein. Aber beide haben auch immer wieder Formschwankungen, gerade Wawrinka müht sich nach einer längeren Verletzungspause, zu alter Stärke zurück zu finden. Im Viertelfinale, das wäre ein schönes Duell, könnte Zverev seinem Freund Thiem aus Österreich begegnen. Zuletzt gewann Zverev auf Sand die Turniere in München und Madrid und stand in Rom im Finale. Tendenz: Diesmal erreicht er zumindest das Viertelfinale.

Warum ist dieses Jahr das Hauptfeld der Frauen so außergewöhnlich?

Die Weltranglisten-Erste Simona Halep meinte in Paris, das Hauptfeld fühle sich diesmal komplett an. Das hat damit zu tun, dass erstmals seit langem alle namhaften Spielerinnen antreten. Maria Scharapowa ist dabei, die Russin hatte 2016 noch einen Teil ihrer Dopingsperre zu verbüßen, 2017 hatte sie keine Wildcard erhalten, die sie zum Start benötigt hätte, weil sie in der Weltrangliste abgerutscht war. Serena Williams bestreitet ihr erstes Grand-Slam-Turnier seit Januar 2017, als sie schwanger die Australian Open gewann. Auch die Weißrussin Viktoria Asarenka, ebenfalls Mutter geworden, ist zurück.

Gewinnt Simona Halep endlich ihr erstes Grand-Slam-Turnier?

Die Rumänin spielt seit Jahren ganz vorne mit, aber stets scheiterte sie denkbar knapp vor dem Ziel. 2014 verlor sie im Finale von Paris gegen Scharapowa, 2017 trotz hoher Führung gegen die Lettin Jelena Ostapenko. Im Januar verlor sie in Melbourne im Endspiel gegen die Dänin Caroline Wozniacki. Die Enttäuschungen sind erst mal zu verkraften. Halep ist sicherlich die beste Spielerin im Feld, die noch keinen Grand-Slam-Titel errang, aufgrund ihres Kampfgeistes genießt sie aber viele Sympathien. Im Viertelfinale könnte Angelique Kerber ihre Gegnerin sein, die sie im Januar bei den Australian Open in einen formidablen Fight verwickelte. Tendenz: Halep schafft es wieder nicht.

Welche besonderen Duelle warten zu Beginn der French Open?

Bei den Frauen: Andrea Petkovic - Kristina Mladenovic, Garbiñe Muguruza - Svetlana Kusnezowa, Julia Görges - Dominika Cibulkova. In der zweiten Runde könnte die Titelverteidigerin Ostapenko auf Asarenka treffen.

Bei den Männern: Philipp Kohlschreiber - Borna Coric, Florian Mayer - Mischa Zverev, Nick Kyrgios - Bernard Tomic, Ernests Gulbis - Gilles Muller, Lucas Pouille - Daniil Medwedew, Alex De Minaur - Kyle Edmund. Nadal startet gegen den Ukrainer Alexandr Dolgopolow, Halep gegen die Amerikanerin Alison Riske, die gerade in Nürnberg das Finale gegen die Schwedin Johanna Larsson verlor (6:7, 4:6).

Wie fühlt sich ein Grand-Slam-Turnier ohne Roger Federer an?

Roland Garros ist als Event zu groß, als dass das Fehlen einer einzelnen Person die Stimmung trüben würde. Zudem hat man sich an seine Absenz gewöhnt, letztmals spielte Federer hier 2015; damals verlor er im Viertelfinale gegen Wawrinka. Aber natürlich ist der nun 36-Jährige eine Größe, 2009 war er ja auch der Gewinner. Die Sporttageszeitung L'Équipe veröffentlichte nun ein Foto mit der simplen Überschrift: Federer in Paris! Er war tatsächlich in der Stadt, einer seiner Sponsoren, eine Champagnermarke, hatte einen eleganten Abend organisiert. Allein dass er sich in der Metropole zeigte, ist bei ihm schon Nachricht genug.

© SZ vom 27.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: