GP von Frankreich:Auf ungemähten Wiesen

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BMW steht in der Formel 1 besser da als geplant - aber gewährt kurz vor Saisonhalbzeit kein klares Bekenntnis zu seinen Piloten Nick Heidfeld und Robert Kubica.

René Hofmann

Der Circuit Nevers polarisiert. Mehr als zweihundert Kilometer sind es nach Paris. Fast genau so viele nach Lyon. Keine andere Formel-1-Strecke liegt ähnlich weit von einer Metropole entfernt, und wie überall werden auch in Frankreich gerne Witze über die Provinz gerissen. Das Team von Red Bull übertrieb es mit den Possen über Charleroi-Rinder und Champignonzuchten vor einigen Jahren derart, dass die Veranstalter des Großen Preises der Grande Nation ernsthaft sauer waren und auf eine Entschuldigung bestanden. Das Landleben taugt nicht jedem. Nick Heidfeld aber beispielsweise liebt es. Der BMW-Pilot logiert stets in einem Wasserschlösschen mit Burggraben und schwärmt: "Kein Fernseher, kein Radio, dafür drei Meter dicke Mauern." Sein Chef, Sportdirektor Mario Theissen, wiederum, mag die "Wagenburg-Atmosphäre im Fahrerlager" von Magny-Cours. Die Rennställe stellen ihre Transporter dort im Kreis - wie ein Siedler-Treck auf dem abenteuerlichen Weg in den Wilden Westen.

Gut versorgt beim bayerischen Arbeitgeber? Nick Heidfeld (links) und Robert Kubica in Magny-Cours. (Foto: Foto: dpa)

Kräfte bündeln

Die mobile Heimstatt der Weiß-Blauen dürfte dabei dieses Mal etwas stärker in den Mittelpunkt rücken. Der Doppelschlag auf dem bröckelnden Asphalt in Montreal hat sie im Konstrukteursklassement in Reichweite zu Ferrari und vor McLaren-Mercedes gebracht und Robert Kubica mit 42 Punkten an die Spitze der Fahrerwertung katapultiert - vor Lewis Hamilton und Felipe Massa, die jeweils auf 38 Zähler kommen. Auf der vorbildlich glatt und hart asphaltierten Schleife in Frankreich muss sich nun weisen, ob der Doppelerfolg ein Abstauber auf Rollsplitt war oder ob mit der Equipe im Titelrennen ernsthaft zu rechnen ist.

Theissen und die Seinen stehen dabei vor einer kniffligen Entscheidung. Im Konzernkonzept war der Griff zum Titel ursprünglich erst für 2009 eingeplant. Dann werden sich die Aerodynamik- Regeln drastisch ändern. Um darauf gut vorbereitet zu sein, empfiehlt es sich, möglichst früh möglichst viele Entwicklungs-Ressourcen auf das nächste Jahr zu lenken. So war es geplant.

Andererseits erscheint es nun verlockend, die unerwartete Gelegenheit zu packen, die Kräfte lieber fürs Heute als fürs Morgen zu bündeln und von nun an auf Sieg statt auf Platz zu setzen. "Wir werden die Kapazitäten sehr genau und themenbezogen einteilen", sagt Theissen dazu vorsichtig. Chauffeur Kubica ist direkter. Er sagt: "Ich hoffe, dass mein Team mich zu hundert Prozent unterstützt."

Nutze die Chance

Der Rennfahrer-Instinkt sagt dem Polen: Nutze die Gelegenheit, wenn sie sich bietet, du weißt nie, ob sie wiederkehrt! Seit gut zwei Jahren bilden Kubica und Heidfeld ein Team. 2009 könnte es anders kommen. BMW hat noch nicht erklärt, mit wem es dann antritt, und Theissen sagt: "Gute Ergebnisse wecken Begehrlichkeiten. Andere Teams denken, das liegt am Fahrer. Und andere Fahrer denken, es liegt am Auto. Was die Fahrersituation angeht, haben wir keine Eile." Ein klares Bekenntnis eines Chefs zu seinen Angestellten klingt anders.

Vor allem Nick Heidfeld muss darauf hoffen, dass er hinter dem Wassergraben und den dicken Mauern in Frankreich zur alten Stärke findet. Im Training hat ihn Kubica in diesem Jahr jedes Mal hinter sich gelassen. Mit dem Coup in Kanada hat er ihm nun auch die prestigeträchtige Auszeichnung voraus, der Firma den ersten Formel-1-Erfolg mit einem eigenständigen Team eingefahren zu haben. Gewissenhaft wie er ist, hat Heidfeld in den vergangenen Wochen alle Datensätze durchstöbert, um zu erkunden, wo Robert Kubica ihm etwas voraus hat.

Bei Testfahrten in der vergangenen Woche in Barcelona durfte er zudem einen Tag lang üben, wie er die Reifen in der Qualifikation besser auf Temperatur bringt. "Jetzt bin ich optimistisch, in der richtigen Richtung unterwegs zu sein", sagt Heidfeld. Ein Freifahrtschein für das deutsche Team ist sein deutscher Pass nicht. Chef Theissen deutlich: "Eine gemähte Wiese gibt es nicht. Ich muss mir auch jeden Tag Gedanken machen, wie das Auto schneller wird." Auf der nächsten Seite: Bald ist Saisonhalbzeit - und Fernando Alonso grollt.

Sieben von 18 Rennen sind absolviert. Demnächst ist Saisonhalbzeit. Die Formel 1 ist ein schnelllebiges Geschäft. Deshalb wird schon jetzt Bilanz gezogen. Die Branchengrößen Ferrari und McLaren können nicht zufrieden sein. Sowohl die Teams wie auch die Fahrer sind zu unkonstant. Brillanz und Murks wechselten sich ab. Deshalb geht es in allen Wertungen eng zu.

Alonso grollt

Das beste Beispiel dafür: Lewis Hamilton. Nach dem Parforceritt in Monaco beging er in Montreal die Eselei, am Ende der Boxengasse die rote Ampel zu übersehen. Weil er bei dem Auffahrunfall Kimi Räikkönen mit ins Renn-Aus riss, wird Hamilton in Frankreich in der Startaufstellung zehn Plätze nach hinten gerückt. Die Strafe ist doppelt hart: Wenn er es in den finalen Qualifikationsabschnitt schafft, darf er vor dem Start nicht auftanken.

Die Formel 1 ist auch ein Strategiespiel. Man muss im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein. Der eindeutige Verlierer in dieser Disziplin ist Fernando Alonso. Als Einstimmung auf das Heimrennen von Renault ließ er den Vorjahreswagen R27 am Wochenende mit großem Spaß im Technologiezentrum des Konzerns in Guyancourt vor mehr als 10.000 Angestellten heulen. Die Freude am aktuellen Dienstwagen, dem R28, hält sich dagegen in Grenzen. "Das Jahr war schlechter als erwartet", grollt Alonso, "wir waren noch nicht auf dem Podium, von einem Sieg ganz zu schweigen."

Seine Zukunft bei dem Team lässt er deshalb weiter offen. Das Ergebnis dieses Wochenendes wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Für den Frankreich-Grand-Prix hat die französische Firma Anlauf zu einem Entwicklungssprung genommen. Bringt der den Anschluss zur Spitze, wird sie ihr Engagement für dieses Jahr weiter vehement fortsetzen. Bleibt der Sprung hinter den Erwartungen zurück, sollten alle Ressourcen auf 2009 gelenkt werden - womit Alonso die Lust auf Renault endgültig verlieren dürfte.

© SZ vom 20.06.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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