golf spielen:Wenn Götter weinen

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Der Fernsehsessel ist ein guter Ort, um das Golfspiel zu lernen - sogar ein missratener Putt des Tigers kann dort wahre Wunder wirken

Evelyn Roll

Gehirnforscher wissen, dass nur zwei Orte empfehlenswert sind für Menschen, die ihr Golfspiel voran bringen wollen: Die Driving Range und der Lieblingssessel vor der Glotze. Der Sessel ist im Winter oder bei lang anhaltenden Hitzeperioden zu empfehlen und nach jedem normalen Golf-Wochenende. Er funktioniert allerdings nur bei Menschen, die visuelle Lerntypen sind, ein Premiere-Abo haben und an Götter glauben.

(Foto: Foto: AP)

Die meisten ahnen nicht, was sie ihren golfspezifischen Gehirn- Synapsen Wochenende für Wochenende auf privaten Golf-Runden antun. In einem durchschnittlichen Vierer-Flight nötigen sich durchschnittliche Spieler gegenseitig, pro Runde etwa 240 Golfbewegungen anschauen zu müssen, die alles andere als perfekt sind: verkorkste Griffhaltung, verkrampfte, zu weite oder zu enge Ansprechpositionen, Katastrophen-Timing, gewaltsam gehackte Abschläge, getoppte und geknickerte Flitzmäuse, die wir Transportschläge nennen, gelöffelte Kunstchips mit eingesprungener Knicktechnik, gefühllose Putts mit brechendem linken Handgelenk, dazu mentales Chaos und emotionale Entgleisungen.

Das alles richtet im Golfgehirn Verheerungen an. Wiederholte Abweichungen vom Idealschwung gelangen, vor allem, wenn sie unreflektiert bleiben, unter Umgehung des Neocortex direkt vom Sehnerv ins limbische System, in dem unsere Reflexe und feinmotorischen Potenzen emotional verwaltet werden. Dadurch werden schon bestehende sinnvolle Synapsenverknüpfungen wieder in Frage gestellt, umgeleitet oder ganz zertrümmert. Möglicherweise ist es viel besser, wenn man diese Zusammenhänge gar nicht kennt. Wenn man sie kennt, versucht man sich bei jedem Golfschlag, den man mit ansehen muss, die Fehler klar zu machen, um so zu verhindern, dass sich im eigenen Gehirn etwas Falsches einnistet. Noch anstrengender, sehr unhöflich aber empfehlenswert wäre, grundsätzlich wegzuschauen, wenn die anderen schlagen.

Weil beides nicht funktioniert, brauchen wir irdischen Golfspieler unseren alten Lieblingssessel und unsere persönlichen Golf- Götter: Ernie Els, Vijay Singh, Chris di Marco oder Michelle Wie. Wer ein Profiturnier anschaut, gibt seinen vom Wochenende gereizten, fehlgeschalteten und verwirrten Synapsen Gelegenheit zur Selbstheilung. Bei mir zum Beispiel gelingt das am Besten, wenn Tiger Woods mitspielt und gewinnt. Ich spiele dann einen Tag später erstaunlich gut, das bringt zwischen zwei und sieben Schläge weniger.

Wer nach zwei oder drei Stunden Golfgucken im Fernsehen glaubt, sich nur noch zu langweilen oder über Herbert Gogels Moderationstechnik nachzudenken, der irrt. Gerade jetzt macht sein Gehirn einen tollen Job: Was hat der Tiger an seiner Pre- Shot-Routine geändert? Wie genau zupft er sich kurz vorm Ansprechen immer am linken Ärmel seines Polos? Was sind das neuerdings für ganz andere und offenbar sehr ernst genommene Probeschwünge? Wann im Durchschwung streckt sich das linke Bein? Was macht die rechte Schulter? Wo ist der Rücken der linken Hand? Mit welchen Schritten misst der Tiger seinen Chip? Wie liest er das Grün? Welche Rolle spielt dabei die Biegung seiner Kappe? Und wie schafft er es, sein Spiel so vollkommen frei zu halten von Emotionen?

Einmal aber, an einem dieser unfassbar heißen Sonntage im Juli, war alles anders in meinem Lieblingssessel vor der Glotze. Seit zwei Tagen war klar, dass der Tiger gewinnen würde am Strand von Hoylake. Er war ganz bei sich. Er schlug die Eisen mit überirdischer Präzision. Er lochte jeden Birdie-Putt ein. Er machte einfach keinen Fehler. Ich nehme an, dass meine Synapsen fröhlich in die perfekten Richtungen feuerten, als ich plötzlich Herzklopfen bekam. Etwas Unfassbares war geschehen: Der Tiger hatte den Birdie-Putt am 18. Loch noch vor sich. Aber er nahm seine Kappe ab, als wäre das Turnier schon vorbei. Der Gesichtsausdruck war verändert. Der göttliche Golfspieler sah menschlicher aus, jünger, verletzbarer und, ja tatsächlich, unkonzentriert. Meine Güte, dachte ich, jetzt denkt er an seinen Vater, der gestorben ist, der ihn sonst immer in den Arm genommen hat am 18. Grün. Dann schob Tiger Woods den Birdie- Putt vorbei. Einfach so. Wie wir alle unsere Putts vorbei schieben, wenn wir uns Emotionen leisten. Erst mit dem nächsten Schlag lochte er ein und gewann die British Open. Dann fiel Tiger Woods seinem Caddie um den Hals, weinte und schluchzte vor den Kameras der Welt. Ein verlassenes Kind.

Ich muss da in meinem Lieblingssessel noch eine ganze Weile wie verzaubert gesessen haben. Wenn Götter Emotionen zeigen, werden sie menschlich. Dann kommen sie uns näher. Wir mögen sie dann umso mehr. Draußen war es immer noch 37 Grad, Ozonwerte und Luftfeuchtigkeit waren kriminell, als ich an jenem Tag doch noch auf die Driving Range gefahren bin. Langsam und diszipliniert habe ich einen Eimer Bälle abgeschlagen. Es war wie ein kleiner Gottesdienst. Kein Mensch war da draußen. Aber ich hatte das deutliche Gefühl, nicht allein zu sein.

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