Glückwunsch!:"Schalke ist das Leben in Gelsenkirchen"

Lesezeit: 7 min

Rolf Rüssmann zum 100. Geburtstag des Vereins: Wie der FC Meineid entstand und der Papst zum Ehrenmitglied wurde.

Rolf Rüssmann, 53, machte von der Saison 1969/70 bis 1980/81 304 Bundesligaspiele für den FC Schalke 04 (30 Tore), danach noch 149 Partien für Borussia Dortmund; zudem war er von Januar bis August 1987 Manager bei Schalke. Im Interview spricht er über Triumphe, Skandale und Kuriositäten des Vereins, der in dieser Woche seinen 100. Geburtstag feiert.

SZ: Herr Rüssmann, elf Jahre haben Sie bei Schalke gespielt und vermutlich genug erlebt, um ein Lexikon damit zu füllen. Welche Erinnerungen bleiben von Beginn und Ende Ihrer Zeit bei Schalke?

Rüssmann: Als ich da hin kam, 1969 als 18-Jähriger, habe ich im Getränkelager von Präsident Günter Siebert übernachtet, jede Nacht stand mein Bett in einer anderen Ecke - das wurde mit dem Gabelstapler hin und her geräumt. Die Geschäftsstelle war besetzt mit zwei Frauen und einem Geschäftsführer. Das war"s. Weggegangen bin ich dann elf Jahre später, weil der Verein mich verkaufen musste. An Borussia Dortmund. Aber es war nicht so dramatisch - ich hab" weder geistige noch körperliche Schmerzen empfunden.

SZ: Ist das Schalke von damals noch identisch mit dem Schalke von heute? Rüssmann: Es ist alles viel größer geworden, klar. Aber wenn ich da hingehe, sehe ich viele, viele Gesichter, die ich schon seit Jahrzehnten von dort kenne. Es macht ja auch die Authentizität von (Manager) Rudi Assauer und (Präsident) Gerd Rehberg aus, dass sie dem alten Geist von Schalke entsprechen - diesmal mit positiver Wirkung.

SZ: Als Sie als Profi anfingen, war Günter Siebert Präsident, in der ersten von drei Amtsperioden, zwölf Jahre insgesamt. Der Mann war wohl Fluch und Segen zugleich für Schalke.

Rüssmann: So kann man das nennen. Als ich kam, hatte er als ehemaliger Meisterspieler (1958 gewann Schalke den letzten von sieben Meistertiteln/die Red.) den Job zwei Jahre zuvor von Fritz Szepan übernommen. Siebert war ein erfolgreicher Geschäftsmann, er hatte diese Disi-Märkte - Discount Siebert -, und war sehr beliebt, ein Volkstribun, stimmgewaltig und stimmungsvoll, aber auch fachlich sehr gut. 1969 fing er an, die Mannschaft umzubauen, und 1972 hatte er eine Mannschaft, von der die Schalker noch heute sagen, dass sie die beste aller Zeiten war: Mit Nigbur, Sobieray, Helmut Kremers, Fichtel, Lütkebohmert, von Haaren, Scheer, Libuda, Fischer, Erwin Kremers.

SZ: Lütkebohmert ist übrigens ein besonders schöner Fußballername.

Rüssmann: Aki Lütkebohmert, Münsterländer. Er war außergewöhnlich sympathisch, spielte auf seiner Position immer gegen die Regisseure, gegen Overath und Netzer. Er war aber von seiner Mentalität her eigentlich ein großer Bewunderer dieser Spieler und war schon ganz stolz, wenn Overath ihn grüßte. Da war der Aki dann immer in so einer Zwittersituation: Der konnte den Overath gar nicht foulen, nur totlaufen konnte er ihn.

SZ: Eine der besten Schalker Mannschaften beteiligte sich am schlimmsten Skandal der Bundesliga - der Bestechungsaffäre um Arminia Bielefeld, 1971. Auch Sie waren verwickelt.

Rüssmann: Ich rede nicht gern darüber, aber wenn Sie mich danach fragen - es gehört ja auch dazu. Das ist damals so entstanden, dass unser ehemaliger Spieler Waldemar Slomiany zu Arminia Bielefeld gegangen war und noch Freunde in der Mannschaft hatte. Bielefeld stand im Abstiegskampf, und dann haben einige ältere Spieler von uns gesagt: ¸¸Wir müssen doch dem Walusch helfen" (prompt verlor Schalke 0:1 gegen Arminia/Red.). Verdient haben wir keinen Pfennig dabei - im Gegenteil, fünf, sechs Jahre haben wir bezahlt dafür, da ging alles drauf.

SZ: 2300 Mark gab es für die Schiebung, schon damals eine bescheidene Summe für Fußballer. Warum haben Sie mitgemacht?

Rüssmann: Ich hatte nicht die Größe, mich dagegen zu wehren. Der einzige, der das getan hat, war Reinhard Libuda. Als dieser Vorschlag kam in der Kabine - ¸¸die haben da Geld für uns, sollen wir das machen?" -, hat der Stan gesagt: ¸¸Nein, mache ich nicht." Eigentlich gab es dann nicht mal einen richtigen Beschluss, es hat sich einfach so ergeben, auch im Spiel. So ein Blödsinn.

SZ: Dieser Blödsinn hat Schalke über Jahre geprägt. Mit Ermittlungen, Prozessen, Zivilverfahren. Schalke war abgestempelt als Skandalklub.

Rüssmann: In diese Rolle ist Schalke zu Unrecht gedrängt worden, ich hab" ja nun genügend Erfahrung in der Bundesliga und weiß, dass andere Vereine keinen Deut besser waren. Natürlich hat der Skandal dem Ruf geschadet. Wir haben einen Fehler gemacht, aber weniger aus materiellen Gründen - es war einfach eine Eselei. Ich will das nicht runterspielen mit so einem Begriff. Das Ganze war verwerflich, Betrug am Zuschauer, und ich habe das immer wieder bereut und aufzufangen versucht mit sozialen Geschichten. Aber was ich einfach sagen will: Es hat eine Mannschaft kaputt gemacht, die ganz Großes hätte leisten können.

SZ: Schalke hätte sogar dem FC Bayern Konkurrenz machen können, der zu der Zeit zum Riesen heranwuchs.

Rüssmann: Durch den Skandal ist unser Potenzial völlig verschüttet worden. Als das 1971 passierte, wurden Klaus Fichtel, Reinhard Libuda und ich für die Nationalelf und die Europameisterschaft gesperrt - ¸¸Bannstrahl" hieß das. Ich erinnere mich an ein Länderspiel gegen Albanien, wo ich plötzlich ausgeladen wurde. Da hat der Georg Schwarzenbeck debütiert. Vielleicht wäre ich sonst der Putzer des Kaisers geworden.

SZ: 1972 wurde Schalke hinter Bayern Zweiter und auch Pokalsieger. Ein Jahr später wurde man 15. - eine Folge der Bestrafung durch den DFB.

Rüssmann: Am 18. März 1973 wurden die Sperren ausgesprochen, für viele lebenslänglich. Der DFB hatte ermittelt, wusste aber schon alles, weil ein Spieler geplaudert hatte. Ein Staatsanwalt war auch beteiligt. Das wussten aber wir nicht und sind dann alle in den Eid gelaufen, um dem Berufsverbot zu entgehen.

SZ: Der ¸¸FC Meineid" war geboren.

Rüssmann: Hinterher wurde uns Eidesnotstand zuerkannt, so dass wir aus der Geschichte rauskamen und im Januar 1974 begnadigt wurden und wieder spielen durften. 1976 hat der DFB den Klaus Fischer und mich auch wieder für die Nationalmannschaft zugelassen. Von Schalke kam zu dieser Zeit noch der junge Rüdiger Abramczik dazu, der neue Libuda.

SZ: Der alte Libuda bleibt aber doch einzigartig?

Rüssmann: Natürlich. Libuda gehört in die Reihe dieser großen Schalker Szepan und Kuzorra, fußballerisch war er eine Rakete. Ein anständiger Kerl, ein schlichtes Gemüt, ein Gefühlsmensch, geprägt von dieser Stadt. Bei ihm hing zwischen Himmel und Hölle alles zusammen, und das hat die Leute fasziniert.

SZ: Ein berühmter Gelsenkirchner Glaubenssatz besagte: ¸¸An Jesus kommt keiner vorbei - außer Stan Libuda."

Rüssmann: Ich erinnere mich daran, als es 1985 das letzte Grubenunglück in Gelsenkirchen gab. Acht oder neun Bergleute sind gestorben. Ich war noch Spieler in Dortmund. Dann habe ich die 72er-Mannschaft für ein Spiel in der Glückaufkampfbahn zusammengebracht und alle Meisterspieler aus den Dreißigern kommen lassen, die noch lebten. An einem Ostermontag kamen gegen eine Stadtauswahl von Gelsenkirchen mehr als 20 000. Sie können sich nicht vorstellen, wie die Leute Stan gefeiert haben.

SZ: Die Verehrung für die Größen des Klubs dauert bis heute an und musste von allen Präsidenten geachtet werden. Überliefert ist, wie Günter Eichberg 1990 aus Florida zu spät zur Beerdigung Ernst Kuzorras kam - und die Zeremonie einfach wiederholt wurde.

Rüssmann: Das hat der Charly Neumann arrangiert, typisch. Der hat den Oberbürgermeister noch mal rangeschafft, den Kranz und die Fahne herausgeholt, und dann wurde das alles fotografisch festgehalten. Aber die viel schönere Geschichte ist die, wie 1974 Fritz Szepan beerdigt wurde. Da war zufällig auch noch eine andere Beerdigung, die den unglaublich langen Trauerzug von der Glückaufkampfbahn zum Friedhof Rosenhügel kreuzte. Prompt sind dann die Leute hinter dem falschen Zug hergelaufen. Alle waren tieftraurig und hatten den Kopf gesenkt - und dann pfiff einer auf zwei Fingern und rief: ¸¸Hier ist der Fritz!" Und all die Tausend Leute schwenkten um, wie die Ameisen.

SZ: Mit dem neuen Libuda - Abramczik - gab es dann 1977 noch einmal die Chance auf den großen Wurf, die Mannschaft wurde Zweiter. Warum ist es diesmal nicht gelungen, eine solide Zukunft zu schaffen?

Rüssmann: Siebert hatte mit den Fragmenten der 72er-Elf und Leuten wie Bongartz und Oblak wieder eine tolle Mannschaft gebaut. Aber die Crux war, dass er in Schwierigkeiten geriet mit seinen Disi-Märkten und vereinsintern immer große Turbulenzen herrschten.

SZ: Auf Siebert folgte 1976 der Rechtsanwalt Hütsch. Dem wurde mal ein Sarg zugestellt, als ihn die Schalker nicht mehr wollten, und Siebert kehrte für ein Jahr zurück, 1986 - Schalke war inzwischen zweimal ab- und aufgestiegen - sogar ein drittes Mal. Auch Sie kamen wieder ins Spiel.

Rüssmann: Manager Assauer war weg, Präsident Fenne auch, Siebert war plötzlich wieder da, rief mich an und sagte: ¸¸Hör zu, ich hab" meine Kneipe auf Gran Canaria, und Du willst doch Manager werden. Jetzt kannst Du den Laden haben, hier ist nix mehr zu holen. Der Laden ist tot."

SZ: Schöne Ansage.

Rüssmann: So hab" ich dann allein die Geschäfte geführt und die Sanierung eingesetzt. An einem Vormittag hab" ich drei Spieler verkauft: Wegmann zum Uli Hoeneß, den Klaus Täuber zum dicken Calmund und Roth zum Hölzenbein nach Frankfurt. Dem jungen Olaf Thon und dem alten Enatz Dietz hab" ich die Prämien gestrichen, also Gehaltsverzicht, ganz modern. Aber als ich das gerade in die richtigen Bahnen bekam, sind da ein paar Dinge gelaufen . . .

SZ: . . . ein legendärer Skandal war die nächste Jahreshauptversammlung. Siebert hatte seine Unterstützer mit Bussen herangekarrt und Freibier ausschenken lassen.

Rüssmann: Freibier und auch die Kleinen, Kurzen. Ich hatte mir für den Abend eine Rede schreiben lassen vom Redenschreiber vom Helmut Schmidt. Aber dann kam diese Versammlung. Da wollte ich nicht mehr, und ich hab" meinen Drei-Jahres-Vertrag gekündigt.

SZ: Vielleicht wären Sie andernfalls zu jenem Mr. Schalke geworden, der Rudi Assauer heute ist.

Rüssmann: Weiß ich nicht, aber was Assauer und Rehberg in den Neunzigern aus Schalke gemacht haben, das ist sehr zu loben, find" ich toll. In einer Stadt, die früher immer Schalke 04 helfen musste, und die heute leider deindustrialisiert ist, hat sich das Verhältnis umgedreht. Heute ist Schalke 04 einer der größten Steuerzahler Gelsenkirchens. Schalke 04 ist das Leben in Gelsenkirchen.

SZ: Wie passend, dass Papst Johannes Paul II. Ehrenmitglied bei Schalke ist.

Rüssmann: Ja, das fiel in meine Managerzeit, 1987 vor seiner Predigt in Gelsenkirchen. Das waren schlimme Zeiten bei uns, die Kasse wurde gepfändet. Da hat mir ein Journalist geraten, den Papst zum Ehrenmitglied zu ernennen, und wie ich das dann Siebert vorgeschlagen habe, hat der gesagt: ¸¸Ich wusste immer schon, dass Schalke die Größe hat, den Papst aufzunehmen." Der wollte für die Zeremonie die ganze Mannschaft in Vereinsanzüge stecken - aber so viel Geld hatten wir gar nicht, um das zu bezahlen.

SZ: Wird Schalke auch die nächsten 100 Jahre fortbestehen?

Rüssmann: Da bin ich sicher. Da ist so viel Substanz und Sympathie bei den Leuten. Schalke bleibt uns erhalten.

Interview Philipp Selldorf

© N/A - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: