Glosse:Hamburger Nostalgie

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Beim HSV manifestiert sich die Sehnsucht nach der guten, alten Zeit: Aus der AOL-, HSH-Nordbank- oder Imtech-Arena wird nun wieder das Volksparkstadion.

Von Philipp Selldorf

Unter den erstaunlichsten Phänomenen der vorigen Bundesliga-Saison nimmt das Publikum des Hamburger SV eine vordere Platzierung ein. Bis zum letzten Gong hat die HSV-Anhängerschaft Glaube, Liebe und Hoffnung aufrechterhalten, obwohl die Fußballer alles unternahmen, um den Leuten Stolz und Zuneigung auszutreiben. Doch die Fans ließen sich nicht verscheuchen, nach jeder noch so schlimmen Niederlage kamen sie wieder. Nichts konnte die extrem leidensfähigen Hamburger Bürger davon abhalten, in die sogenannte Imtech-Arena zu pilgern, die nun seit Mittwoch wieder so heißt, wie sie früher immer hieß: Volksparkstadion.

Das Volksparkstadion hat sportlich die ungleich bessere Bilanz zu bieten als seine Stiefbrüder aus dem 21. Jahrhundert: AOL-Arena, HSH-Nordbank-Arena und Imtech-Arena. Dass der verschrobene HSV-Fan und Geldgeber Klaus-Michael Kühne die Rückkehr zum alten Taufnamen finanziert, geht auf die Sehnsucht nach den guten, alten Zeiten zurück. Der Begriff Volksparkstadion lässt einen beispielsweise sofort an die HSV-Diktatur Anfang der 80er-Jahre denken, als man glaubte, dass diese Hamburger mit ihrem Fußball, der trockener war als längst vergessener Schiffszwieback, durch nichts und niemanden mehr zu besiegen wären. "Wir verbinden mit dem Namen Volksparkstadion Tradition, Erfolge und unglaubliche Momente", hat Klubchef Beiersdorfer nun erklärt.

Recht hat er. Im Volksparkstadion hat Uwe Seeler mehr Tore geschossen als Bill Cody Büffel im Wilden Westen, Horst Hrubesch verwandelte von früh bis abends Bananenflanken von Kaltz; und Sportschau-Mann Fritz Klein hat von hier äußerst nüchterne Reportagen gesendet, in denen Männer wie Caspar Memering, Klaus Zaczyk und Peter Nogly vorkamen, nicht zu vergessen: Ole Björnmose. Dass das Volksparkstadion bis zum Umbau kalt und ungemütlich war und die HSV-Fans sowieso meistens zu Hause blieben oder ständig schlechte Laune verbreiteten - egal. Die Nostalgie ist stärker als die langweilige Wirklichkeit. Ein gar nicht so seltsamer Widerspruch aus der Gegenwart besagt: Je kommerzieller und globaler der Fußball, desto liebevoller wenden sich die Anhänger der Vergangenheit ihrer Vereine zu.

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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