Gladbacher Auswärtssieg:Im Rausch

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Ein irres Comeback: Erst vergibt Gladbach Chance um Chance, Leverkusen dagegen ist eiskalt. Dann dreht die Borussia ein 0:2 doch noch in ein 3:2. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

In einer spektakulären Partie verwandelt die Borussia einen 0:2-Rückstand in Leverkusen noch in einen 3:2-Sieg.

Von Milan Pavlovic, Leverkusen

Wenn zum Rückrunden-Auftakt zwei Klubs wie Leverkusen und Gladbach aufeinander treffen, die am liebsten die Hinrunde vergessen machen würden, ist ein Sieg automatisch eine Nummer größer - und eine Niederlage doppelt schmerzlich. Aber wie sind dann erst die Maße für das, was am Samstagabend in Leverkusen geschah? Da führte Bayers Werkself zur Pause 2:0 gegen Mönchengladbach - und musste mit ansehen, wie die Gäste als verdienter 3:2-Sieger vom Platz gingen. Während Leverkusens Attacke auf die internationalen Plätze im Ansatz gestoppt wurde, ließ die Borussia erkennen, dass sie am Ende der Saison die Leverkusener vielleicht doch noch überholen könnte.

Gladbach stellte zunächst die bessere, aufgewecktere Mannschaft. Allerdings hatte sie das gleiche Problem wie so oft in der Hinrunde: Sie agierte gefällig, bis zum Strafraum richtig sehenswert - aber die Zuspitzung blieb aus. Die beste Gelegenheit bot sich Mo Dahoud, der nach einem feinen Zuspiel von Raffael frei im Strafraum auftauchte, mit seinem Schrägschuss aber an Bernd Leno scheiterte (13. Minute).

Zwei Calhanoglu-Ecken, zwei Tore

Bei den Gästen war der erfahrene Wintereinkauf Timothée Kolodziejczak wegen einer Magen-Darm-Grippe ausgefallen, eine bittere Tatsache sowohl für alle TV- und Radio-Kommentatoren, die lange die Aussprache seines Namens geübt hatten, als auch für die Gladbacher. Denn in einer Phase, als Leverkusen sonst kaum etwas einfiel, kam es zum zweiten Eckball von Hakan Calhanoglu, bei dem der 1,99 Meter große Gästeverteidiger Jannik Vestergaard plötzlich einen Kopf kleiner aussah als sein 1,92 Meter großer Gegenspieler Jonathan Tah. Leverkusens Jungnationalspieler, der nur wegen einer Verletzung von Alexander Dragovic in der ersten Elf stand, überwand Yann Sommer aus kurzer Entfernung (31. Minute).

Und Gladbach konnte den Schock zunächst nicht abschütteln, wieder war Calhanoglou beteiligt, mit einem Eckball von der anderen Seite. Seine scharfe Bananenflanke wurde von Bellarabi mit dem Kopf verlängert und von Chicharito aus fünf Metern ins Tor bugsiert (34.) - das erste Liga-Tor des Mexikaners seit dem 6. Spieltag, als er gegen Dortmund traf.

Das 70. Bundesliga-Duell der beiden Teams hatte eine unerwartete Wendung genommen. An der Seitenlinie gestikulierten die beiden Trainer um die Wette: Hecking gut eingemummt, Roger Schmidt in einem fahrlässig dünn aussehenden Sakko (und mit dynamisch gestutztem Kurzhaarschnitt). Ergebnistechnisch konnte nur der Leverkusener zufrieden sein.

Gladbach wird vom Trainer stark geredet

War die Borussia geschlagen? Es sah so aus. Doch während der Pause geschah in der Gladbacher Kabine Entscheidendes. Trotz des Rückstands "hatten wir ein gutes Gefühl", schilderte Kapitän Lars Stindl später. "Der Trainer hat gesagt: wenn wir so weiterspielen, vielleicht noch ein bisschen konstruktiver, dann bekommen wir unsere Chancen." Daran glaubten die Spieler, und so wurde aus einer feurigen Partie eine spektakuläre - auch weil die Leverkusener "nichts von dem, was wir uns in der Halbzeit vorgenommen hatten, gemacht haben", wie es Schmidt auf den Punkt brachte.

Die Gladbacher überstanden zunächst eine weitere Calhanoglu-Ecke knapp (48.) und begannen dann zu spielen, als hätte es die Hinrunde und die Rückschläge der ersten Halbzeit nicht gegeben: Es waren rauschartige acht Minuten mit cleveren Kombinationen, vier Chancen und zwei Toren. Lars Stindl nutzte einen Moment der kollektiven Bayer-Verwirrung sowie die Schlafmützigkeit des langen Tah aus, um sich an der Strafraumlinie eine gute Schussposition freizusperren und per Dropkick zum 2:1 abzuschließen (52.); und nach einem Flügellauf von Oscar Wendt schlüpfte Stindl in den Raum zwischen den Verteidigern Toprak und Wendell und setzte einen Kopfball ins Netz (59.).

Raffael landet den K.o.-Schlag

Das Momentum der Partie war völlig gekippt, und die bessere Mannschaft war auf den K.o.-Schlag aus. Er kam in der 71. Minute. Ausgangspunkt war wieder ein Gedränge wie im Rugby, diesmal am Mittelkreis. Aus dem Getümmel lupfte Gladbachs Kramer den Ball mit höchster Übersicht in den Lauf von Raffael. Der narrte im Zweikampf Tah und schob den Ball aus zehn Metern cool ins Tor. Die Komplettwende war vollzogen, und das mit Recht. Denn Leverkusen wirkte nach dem 2:3 wieder blockiert wie in den letzten Partien vor der Winterpause und brachte nichts mehr zustande, was die vierte Heimniederlage hätte verhindern können

Auf der anderen Seite waren die stolzen Gewinner: "Das war eine überragende Leistung in der zweiten Halbzeit", sagte der Gladbacher Trainer Dieter Hecking. Kaum zu glauben, dass diese Mannschaft ihren ersten Auswärtssieg der Saison geholt hatte. Die Lobreden der Spieler auf ihren neuen Coach kommentierte dieser mit seinem nüchternen Humor: "Die wollen nur zwei freie Tage haben. Bekommen sie aber nicht."

© SZ vom 29.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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