96 gewinnt Spitzenspiel gegen Union:Schraubenzieher und etwas Glück

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Mannschaft "intakt", "Stellschrauben" gedreht, Sieg. André Breitenreiter ist mit dem Sieg gegen Spitzenreiter Union Berlin zumindest für den Moment, den Erwartungen der Klubführung an ihn gerecht geworden. (Foto: Peter Steffen/dpa)

Kleine Korrekturen des neuen Trainers André Breitenreiter verhelfen Verfolger Hannover zum 2:0-Sieg gegen Tabellenführer Union Berlin. Für den Hauptstadt-Klub ist es die erste Niederlage nach zuvor sechs Siegen.

Von Thomas Hahn, Hannover

Jens Keller, der Trainer des Zweitliga-Ersten Union Berlin, hatte einen festen Entschluss gefasst. Er wollte dem Kollegen André Breitenreiter zur gelungenen Premiere als Hannover-96-Coach gratulieren. Und zwar öffentlich. In der Pressekonferenz. Unmittelbar nach dem Spiel, bei dem sich Union eine unnötige 0:2-Auswärtsniederlage gegen die neue Mannschaft des besagten Breitenreiter eingefangen hatte. Welche Willensanstrengung dieser Entschluss dem Trainer Keller abverlangte, ist nicht ganz klar geworden. Man kann sich vorstellen, dass er sich auf dem Weg zur Pressekonferenz in stillen Selbstgesprächen auf einen möglichst freundlichen Tonfall einschwor. Herausgekommen ist dann allerdings eine Ansprache, die verdächtig nach schlechter Laune klang. "Glückwunsch, André, zum Einstand", knurrte Keller und musste schnell hinzufügen: "Ich hätte Deinen Einstand gerne vermiest."

André Breitenreiter, 43, seit knapp zwei Wochen im Amt beim niedersächsischen Hauptstadtverein Hannover 96, hat sich dann professionell bedankt für Kellers mühsam hervor gepresste Höflichkeit. Wer ihm was gönnt, ist Breitenreiter dieser Tage ohnehin egal, solange sein neuer Arbeitgeber, namentlich der geldmächtige 96-Chef Martin Kind, zufrieden ist. Und der dürfte nach dem 2:0-Erfolg in der Spitzenpartie gegen Union vor 49 000 Zuschauern im ausverkauften Stadion am Maschsee zum ersten Mal seit langer Zeit mal wieder erfreut aus einem Spieltag rausgegangen sein.

Die komplette sportliche Leitung hat Kind in den vergangenen Wochen ausgetauscht, um seinen festen Entschluss umzusetzen, Hannover 96 nach dem Abstieg sofort zurückzuheben in die Bundesliga. Geschäftsführer Martin Bader und den Sportlichen Leiter Christian Möckel hat er durch Sportdirektor Horst Heldt ersetzt. Der wiederum schaute sich zwei holprige Spiele mit Trainer Daniel Stendel an, ehe auch dieser seine Sachen packen musste. 96 war nach dem 0:0 auf St. Pauli auf den Nicht-Aufstiegsplatz vier abgerutscht.

Kompliment an den entlassenen Vorgänger

Und jetzt ist also Breitenreiter da mit der Mission, den Negativ-Trend umzudrehen. Mit guter Laune und Gelassenheit hat er sich an die Arbeit gemacht, damit sich für die Mannschaft dieser zehrende Aufstiegsdruck ein bisschen leichter anfühlt. Und ein paar Umstellungen hat er auch vorgenommen, was prompt Wirkung zeigte und das Werk des Vorgängers nicht im besten Licht erscheinen ließ. Niemand im 96-Team hat nach dem wichtigen Sieg über Berlin etwas Schlechtes über Stendel sagen wollen. Schon gar nicht dessen Nachfolger Breitenreiter.

"Die Mannschaft ist intakt", sagte er und machte Stendel damit ein Kompliment. Nur ein paar Stellschrauben habe er verändert, von denen man manche nicht überbewerten dürfe. Dass zum Beispiel Mittelfeldspieler Iver Fossum, Stammkraft unter Stendel, gegen Union nicht im Kader stand, habe allein mit dem Umstand zu tun, dass Fossum zuletzt mit Norwegens Nationalmannschaft unterwegs war. "Ich hatte nur kurze Zeit, ihn kennen zu lernen", sagte Breitenreiter.

Andererseits wirkten die Hannoveraner schon sehr viel geordneter als noch drei Wochen zuvor beim glücklichen 1:0-Heimsieg über 1860 München. 96 agierte nicht gleich mit unbeschwertem Hurra gegen die selbstbewussten Tabellenführer aus Berlin, die Mannschaft wirkte etwas nervös. Aber zwei torgefährliche Situationen ergaben sich doch für Hannover in der ersten Halbzeit, das waren immerhin zwei mehr als gegen 1860. Auf der anderen Seite kamen die Gäste kaum durch, was gegen die Münchner auch anders war. Und es schien, dass diese neue Ordnung viel damit zu tun hatte, dass Breitenreiter das Offensivsystem leicht umoperiert hatte. Der österreichischen Sturmspitze Martin Harnik stellte er den hochbegabten Niclas Füllkrug zur Seite, der im Sommer aus Nürnberg für 2,2 Millionen Euro in seine Heimatstadt zurückgekehrt war und unter Stendel nicht richtig zum Zug kam. Füllkrug arbeite zu wenig nach hinten, klagte Stendel zeitweise und fand keine dauerhafte Lösung fürs Offensivspiel. Gegen Union gaben Harnik und Füllkrug ein Duo, das sich auf seine offensiven Aufgaben konzentrierte, das dadurch das 96-Spiel entzerrte und in der 54. Minute prompt die Führung erzielte. Flanke Harnik, Volleyschuss Füllkrug. "Sauwichtig" nannte Harnik dieses 1:0. "Grandios", sagte Füllkrug.

Befreiung durch ein Gäste-Eigentor

Glück haben sie dann auch noch gehabt. In der 67. Minute fiel dem Berliner Damir Kreilach nach einer Ecke des Hannoveraners Edgar Prib der Ball auf den Kopf und tropfte ins Netz. Wieder rief der Stadionsprecher Füllkrug als Torschützen aus, was zwar nicht stimmte, aber den wiedergefundenen Stürmer durchaus freute. "Ich dachte, wer weiß, vielleicht habe ich es ja wirklich gemacht." Und etwas ernster fügte Niclas Füllkrug hinzu: "Das ist ein befreiender Moment, wenn du gegen so eine Mannschaft das 2:0 schießt."

Der Sieg hält Hannover im Aufstiegskampf, ohne dass er schon irgendeine Garantie bedeutet. Und der Kiezklub Union? Der Emporkömmling aus Ostberlin? Der sich ganz zwanglos in der Aufstiegszone festgesetzt hat und vor dem Hannover-Spiel sechs Mal nacheinander gewonnen hatte? Trainer Keller murrte über das 0:1: "Sehr unaufmerksam. Wir verlieren den Ball einfach und gehen mit dem Stürmer nicht richtig mit." Aber im Grunde fand er seine Mannschaft wieder gut und die Niederlage ein normales Geschehen nach dem Gesetz der Serie, wonach alles irgendwann ein Ende hat. "Für uns ist das überhaupt kein Rückschlag", sagte Keller und wäre trotzdem gerne so unhöflich gewesen, André Breitenreiter die Heim-Premiere zu vermasseln.

© SZ vom 02.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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