Gerhard Mayer-Vorfelder:Abschied vom Lieblingsgegner

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Stets streitbar als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, des Bundesligisten VfB Stuttgart und als Minister in Baden-Württemberg - ein Nachruf.

Von Philipp Selldorf

Gerhard Mayer-Vorfelder hätte es sicher gern erlebt, dass ihn ein führender Vertreter der Grünen als "authentischen Charakter, streitbaren Geist und prägende Gestalt der jüngeren Landesgeschichte" würdigt und sein zielstrebiges und leidenschaftliches Engagement in Politik, Kultur und Sport hervorhebt. Aber Mayer-Vorfelder ist im Alter von 82 Jahren am Montag in Stuttgart gestorben, der Nachruf des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann erreichte ihn nicht mehr.

Es gehört zu den Ärgernissen der menschlichen Existenz, dass es dem Verstorbenen nicht vergönnt ist, die Freundlichkeiten und die Lobreden zu vernehmen, die posthum über ihn verbreitet werden. Andererseits möchte sich mancher wohl im Grabe umdrehen, wenn er erleben müsste, wie die Feinde von einst sich auf einmal als Freunde und die Widersacher als Verbündete aufführen. Mayer-Vorfelder hatte das Glück, diese wundersamen Wandlungen seines Ansehens noch zu Lebzeiten zu erfahren. Ministerpräsident Kretschmann hat in seiner Abschiedserklärung nicht verschwiegen, dass der Politiker Mayer-Vorfelder immer "ein Lieblingsgegner der Grünen" war - was ja auch umgekehrt galt -, aber er konnte auch glaubhaft darauf verweisen, dass in den späten Jahren aus dem erbitterten Gegensatz "ein freundschaftliches Verhältnis" entstand.

Beim VfB Stuttgart, dem Mayer-Vorfelder seit 1975 als Präsident vorstand, bis ihm der Aufsichtsrat nach einem Vierteljahrhundert das Misstrauen aussprach, und beim Deutschen Fußball-Bund, bei dem er 2001 bis 2006 den Vorsitz führte - zum Teil auf Kosten der erzwungenen Amtsteilung mit Theo Zwanziger -, verhielt es sich durchaus ähnlich. Mit seiner herrschaftlichen Geschäftsführung und selbstherrlichen Funktionärsattitüde hatte MV im ganzen Land Ablehnung provoziert, aber als er in Stuttgart und Frankfurt seine Büros geräumt hatte, haben ihn dort viele vermisst, weil ihn anders als manche seiner Nachfolger der authentische Charakter auszeichnete. Eine beachtliche menschliche Größe spricht ihm keiner ab, der ihn näher kannte.

Als konservativer Politiker gefiel es Mayer-Vorfelder, der bereits mit 31 Jahren persönlicher Assistent des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger, später Staatssekretär, Kultus- und schließlich Finanzminister war, regelmäßig die liberale und linke Opposition zu erschrecken, unter anderem durch demonstrative Vaterlandsverehrung und entsprechend verwegene Vorstöße (in den Schulen sollten die Kinder täglich vor dem Unterrichtsbeginn das Deutschland-Lied singen). Auch als Fußballmann hat er mit bizarren Bemerkungen Kontroversen hervorgerufen. In den Nachschlagewerken findet sich unter anderem die Äußerung: "Was wird aus der Bundesliga, wenn die Blonden über die Alpen ziehen und stattdessen diese Polen, die Furtoks und Lesniaks, spielen?" Den nationalistischen Tonfall sollte man nicht missverstehen, ein Rassist war MV sicher nicht. "Geradlinig und entschlossen" nannte ihn jetzt der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. Manfred Rommel, der frühere Stuttgarter OB, dichtete zu Ehren seines Parteifreundes: "Niemals umfällt er/ Mayer-Vorfelder". Sein Selbst- und sein Machtbewusstsein brachten ihm wenigstens ein Dutzend Spitznamen ein: Mayer-Vorderlader, Schlitzmeyer-Ohrfelder, Mayer-Vorstopper, Mayer-Dornfelder und viele mehr. Nicht immer war es schmeichelhaft, was er über sich hören und lesen musste, aber meist hat MV das lässig ertragen. Er sah sich selbst gern als hochbelastbar und unerschütterlich, einer seiner Wahlsprüche lautete: "Der Mensch ist belastungsfähig, wenn er sich nicht selbst bejammert." Dass dem Mann, der am 3. März 1933 in Mannheim zur Welt kam, sozusagen im Zeichen der Schnapszahl, in aller Öffentlichkeit eine erhebliche Trinkfestigkeit attestiert wurde, daran war er durch eigene Imagebildung beteiligt. Nicht ohne Stolz hat er das stehen lassen. Erst später ging er juristisch gegen eine Satire vor, die es zu weit trieb mit der Darstellung seiner Vorliebe zu württembergischen Gewächsen.

Beim VfB Stuttgart firmierte Mayer-Vorfelder zuletzt als Ehrenpräsident. Das war nicht unbedingt abzusehen, als er 2000 sein Amt niederlegte. Der Verein, den er so lange beherrscht hatte, steckte in finanziellen Schwierigkeiten, und mancher erinnerte sich lieber an die Irrtümer als an die Verdienste des Präsidenten. Die Entlassung von Joachim Löw zum Beispiel, den er dann im Alleingang durch Winfried Schäfer ersetzte, obwohl der als langjähriger Trainer des badischen Rivalen Karlsruher SC eine unerwünschte Person im Schwabenreich war. "MV lag nicht oft daneben", sagt einer seiner Mitarbeiter von damals, "aber wenn, dann richtig." Schäfer, Egon Coordes, Otto Baric, mancher Fehlgriff unterlief dem Präsidenten.

Doch es gingen auch viele große Freundschaften aus den VfB-Jahren hervor, mit Jürgen Klinsmann etwa, den er zum Teamchef der Nationalelf machte und dessen kantigen Kurs er gegen die Kritiker im Verband und in der Liga verteidigte. Auch Jogi Löw vertrat eine hohe Meinung von dem Mann, der ihn einst in Stuttgart vor die Tür setzte. Spät im Leben kam Mayer-Vorfelder dann doch noch zu nationalen Ehren. Es war nicht die Furcht vor den Lesniaks und Furtoks, sondern die missratene EM 2000, die ihn als DFB-Chef die Initiative ergreifen ließ, ein flächendeckendes, teures Nachwuchssystem aufzubauen. Bei der WM 2014 setzte die mit seinem Förderprogramm unterstützte Nationalelf dem ewig umstrittenen MV ein unzweideutiges Denkmal.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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