Fußballgeschichte:Freispruch für Fritz Walter

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In dieser Woche wird eine neue Studie vorgestellt: "Der Betze unterm Hakenkreuz" will zeigen, wie sich der 1. FC Kaiserslautern in der Zeit des Nationalsozialismus präsentierte.

Alexander Kissler

Fremd und fern ist diese Zeit und sehr lebendig: Heute, da der 1. FC Kaiserslautern sich müht, die Niederungen der Zweiten Liga zu verlassen, markiert die ,,Walter-Elf'' den maximalen Gegensatz. Die Wundermannschaft aber, der Kern der ,,Helden von Bern'' war keineswegs ein Kind der fünfziger Jahre.

Hermann Graf (mit Armbinde) war einer der erfolgreichsten Flieger des Dritten Reiches. Rechts neben ihm: Fritz Walter (Foto: Foto: Der "Betze" unterm Hakenkreuz)

Sie bestand ,,in wesentlichen Teilen bereits in der NS-Zeit''. Das bedeutet: Fritz Walter & Co. waren eingebunden in ein Netz aus Propaganda, Dummheit und Brutalität. Der FCK trug ,,seinen Teil bei zur Eroberungspolitik der nationalsozialistischen Diktatur''. Das schreibt Markwart Herzog in seinem Buch ,,Der ,Betze' unterm Hakenkreuz'', das am Freitag in Kaiserslautern vorgestellt wird.

Lebendig ist diese von Herzog akribisch und anschaulich rekonstruierte Vergangenheit, weil damals die Grundlagen gelegt wurden für die Professionalisierung des Fußballs. In den dreißiger Jahren begann die Allianz von Politik und Sport. Wenn heute Bürgermeister, Ministerpräsidenten, Bundeskanzler vom Glanz des Fußballs profitieren wollen, bewegen sie sich ,,im Kraftfeld einer Tradition, deren Anfänge sich bis in die nationalsozialistische Kommunal- und Regionalpolitik zurückverfolgen lassen.'' Selbst die Versuchung zur Illegalität, der heute nicht jeder Klubchef widersteht, wird in den dreißiger Jahren erstmals aktenkundig. Ludwig Müller, FCK-Präsident von 1931 bis 1936 und von 1950 bis 1955, wurde dreimal aus dem Verein ausgeschlossen. Er hatte eine Schattenwirtschaft installiert, war wohl wirtschaftskriminell geworden.

Markwart Herzog, Bildungsreferent der Schwabenakademie in Irsee, betritt Neuland. Noch nie wurde die Geschichte der ,,Walter-Elf'' von ihren Anfängen her erzählt - gewiss auch darum, weil der vierfache Deutsche Meister über kein Archiv verfügt. Herzog durchkämmte Landes- und Stadtarchive, befragte Zeitzeugen, las Heimat-, Soldaten- und Kameradenbriefe, studierte die ,,Gefallenenakten'' der Stadtverwaltung Kaiserslautern und zeichnete so ein ,,irritierend widersprüchliches Bild''. Nazis und Pazifisten, Philosemiten und Judenhasser prägten die Geschichte des 1. FC Kaiserslautern zwischen 1933 und 1945.

Bis 1936 ,,judenfrei''

Schon Ludwig Müller war ein zwiespältiger Charakter. In seine Ägide fallen die Weltmeisterschaft 1954 und die Meistertitel von 1951 und 1953, aber auch die ,,Stuttgarter Erklärung'' vom 9.April 1933, mit der sich die süddeutschen Fußballvereine verpflichteten, keine Juden in ihren Reihen zu dulden. Während aber etwa der 1. FC Nürnberg bereits am 27. April 1933 ,,judenfrei'' war, ließ der FCK sich Zeit bis Ende 1936. Nicht zufällig gingen ,,Arisierung'' und Müllers Ablösung miteinander einher. Müller war Philosemit. Er stand vor Gericht, weil er NS-Fahnen nicht gegrüßt, wohl aber öffentlich mit dem jüdischen Mitglied Max Jakob geplaudert hatte. Jakob starb 1942 im Ghetto Lodz. Müller, der studierte Volkswirt, leitete von 1941 bis 1945 ein Heeresbekleidungslager.

Als unzuverlässig galt Müller wegen seines Widerstands gegen die Fusionspläne. Gleich nach der ,,Machtergreifung'' begann die neue Elite mit ihrem propagandistischen Feldzug zugunsten einer ,,Kaiserslauterer Fußballgemeinschaft''.

Frühe Premiere

Im Rahmen ,,völkischer Kulturarbeit'' sollten alle bürgerlichen, konfessionellen, proletarischen Vereine verschwinden. Besonders Peter Meyer tat sich früh hervor, ehemaliger Torwart, FCK-Vize von 1933 bis 1936 und Leiter des Sportressorts der NSZ Rheinfront von 1931 bis 1945. Meyer polemisierte gegen ,,eingerostete Kleinigkeitskrämer'', die blind seien für die ,,hohe nationale Aufgabe''. Im Krieg pries er den Beitrag der Sportvereine zur ,,inneren Front'' und ,,totalen Wehrhaftmachung unseres Volkes''. Eine gute Defensive nannte er ,,Bunker''.

Auch Oberbürgermeister Richard Imbt, Parteigenosse seit 1926, wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Er ließ 1938 die Kaiserslauterer Synagoge abreißen; er intensivierte die Bemühungen, den FCK aufzulösen. Endgültig ins Stocken gerieten die Pläne erst mit Kriegsbeginn und mit den Erfolgen der ,,Walter-Elf''. Deren Geburt fällt, so Herzog, zusammen mit dem ,,Beginn der politischen Ära unter Richard Imbt'' 1938. Jeder Sieg des FCK in der Gauliga entkräftete fortan das Argument, nur durch eine Fusion könne der Fußball in der Barbarossastadt reüssieren. Nun ließ sich Imbt als Förderer des FCK ablichten.

Imbts Macht endete keineswegs an der Stadtgrenze. Er war nicht nur NSDAP-Kreisleiter, sondern von Juli 1940 an auch Stadtkommissar von Metz. Im besetzten Lothringen war eine Clique pfälzischer Fußballfreunde am Werk: Als Imbts Stellvertreter fungierte SA-Mann Carl Allbrecht, Präsident des FCK von 1938 bis 1940. In Metz betrieben Allbrecht und Imbt die ,,Entwelschung'', fusionierten Vereine, deutschten deren Namen ein. Richard Imbts Bruder Heinrich war Stadtamtmann in Diedenhofen, auf Französisch: Thionville. Ist es da ein Wunder, dass bald in Metz wie in Diedenhofen Fritz Walter Geschichte schrieb?

In seinen Erinnerungen behauptet Walter, er habe sein ,,erstes Spiel im Trikot der Nationalmannschaft'' am 14. Juli 1940 gegen Rumänien bestritten; ,,ich wurde noch im selben Jahr, am 5. Dezember, als Soldat zur Infanterie eingezogen. Ich kam nach Diedenhofen bei Metz.'' Herzog zufolge fand Fritz Walters ,,Premiere in der Reichsauswahl'' bereits ein Jahr früher statt, am 15. Juli 1939 in Schweinfurt beim Spiel gegen die Vertretung Bayerns. Und in Diedenhofen wirkte nicht nur der Infanterist, sondern auch der Fußballkünstler. Zwischen April und Juni 1943 stürmte Fritz Walter für die TSG Diedenhofen, damit diese aus der Kreisklasse Westlothringen in die Gauliga aufsteige. Der Plan misslang.

Wichtiger für die Legitimation der NS-Eroberungspolitik waren die Auftritte des FCK in der aus pfälzischen, saarländischen, lothringischen Landesteilen neu gegründeten ,,Westmark''. Gauleiter Josef Bürckel forderte einen ,,westmärkischen Bluttransfer'', die Herausbildung einer neuen gemeinsamen Identität. Prompt schrieb Peter Meyer, Fritz Walter verleihe dem Spiel einen ,,tüchtigen Spritzer westmärkischer Spielintelligenz''. Gelegenheit dazu hatte Walter schon am 11. August 1940, sieben Wochen nach der Kapitulation der französischen Truppen. Der FCK war der erste Gegner des ,,völkisch reorganisierten FV Metz'', gastierte ,,als erste reichsdeutsche Elf nach dem Waffenstillstand in der lothringischen Metropole'', gewann mit 9:1. Fritz Walter traf sechs Mal.

Walters untadeliges Verhalten

Bei diesem Propagandaspiel blieb es nicht. Der FCK-Angriff um Fritz Walter, den eine Lokalzeitung mit dem ,,Wirken auf den Feind tollkühn herabsausender Stukas'' verglich, wirbelte im September 1941 abermals in Metz und stand damit weiter ,,im Dienst der Volkstumspolitik der NSDAP.'' Herzog gelangt zum Fazit: ,,Die Führung des FCK und die Walter-Elf waren in Frankreich aktiv an der Konsolidierung der Eroberungen der nationalsozialistischen Diktatur beteiligt.''

Trifft die Spieler, trifft den 20-jährigen Fritz Walter eine Verantwortung, eine Mitschuld? Nach den vorliegenden Dokumenten hat sich Walter untadelig benommen. Er, der während des Krieges trotz Malaria-Erkrankung in elf verschiedenen Mannschaften spielte, zwischen Saargemünd, Kaiserslautern, Paris, bei der Luftwaffenelf ,,Rote Jäger'', in Reichself, Gauauswahl, Standortmannschaft: Fritz Walter hat den ,,Deutschen Gruß'' abgelehnt, Briefe nicht mit ,,Heil Hitler'' unterzeichnet, im Vereinslokal der TSG Diedenhofen soll er gar ,,Heil Moskau'' gerufen haben. Sein Verein, der FCK, hat der Gleichschaltung und der ,,Arisierung'' dank Ludwig Müller etwas länger Widerstand geleistet, stand aber von 1938 an unter nationalsozialistischer Führung. Der Aufstieg von ,,Walter-Elf'' und Nationalsozialismus ereignete sich parallel, und darum war es faschistische Politik, die den neuen Ruhm für ihre Zwecke instrumentalisierte.

Markwart Herzogs Fleißarbeit mit 1542 Fußnoten ist trotz gelegentlicher Schwerfälligkeiten ein packendes Stück Zeitgeschichte. Ein bisher unbekanntes Kapitel aus der Kulturhistorie des Dritten Reiches ist nun eröffnet - mit wenigen Helden, vielen Mitläufern und manchen Schurken. Peter Meyer, der im Sport einen ,,Meilenstein auf dem Marsch zum Endsieg'' sah, ging übrigens aus dem Entnazifizierungsverfahren als Minderbelasteter hervor. Er habe Politik und Sport immer getrennt. Nach dem Krieg schrieb er für die Fachzeitschrift Kicker.

MARKWART HERZOG: Der ,,Betze'' unterm Hakenkreuz. Der 1. FC Kaiserslautern in der Zeit des Nationalsozialismus. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2006. 336 Seiten, 24,90 Euro.

© SZ vom 20.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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