Fußballfans im Schloss Bellevue:Bundespräsident als Mittler

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Von Christoph Biermann

Der Bundespräsident war verblüfft. Im vergangenen Sommer hatte Johannes Rau Trainees der Deutschen Bank getroffen, Studenten der Universität Osnabrück und Auszubildende von Daimler Benz. "Reden wir über Deutschland", war das Motto dieser Begegnungen, von denen eine mit Fußballfans im Dortmunder Westfalenstadion stattfand.

"Mit alten Klischees von Fußball-Rabauken hatte das nichts mehr zu tun", sagt ein Mitarbeiter des Bundespräsidialamtes, "sie haben damals einen sehr guten Eindruck gemacht." Und weil das so war und die Fans den ersten Mann des Staates baten, sich ihrer Probleme anzunehmen, hat Rau sie für den heutigen Donnerstag ins Schloss Bellevue nach Berlin eingeladen.

Gefallen gefunden hatte der Bundespräsident in Dortmund vor allem an diesem Plan aus den Kurven: "Unser Ziel ist es, aus Zuschauern Fans zu machen." Das passt zu seinen Vorstellungen von gesellschaftlichem Engagement, dem jedoch, das war ebenfalls klar geworden, etliche Hindernisse im Weg stehen. "Inzwischen wird man als Fußballfan grundsätzlich als potenzielles Sicherheitsrisiko gesehen", sagt Martin Kößler von den Ultras Karlsruhe, der auch nach Berlin eingeladen worden ist.

Bei dem zweieinhalbstündigen Gespräch zwischen Wissenschaftlern, Vertretern des Innenministeriums und der Polizei, Abgesandten vom Deutschem Fußball Bund, der Deutschen Fußball-Liga und einzelner Klubs werden die Fans daher vor allem auf das Missverhältnis von sinkender Gewalt in den Stadien und wachsender Kriminalisierung hinweisen. "Es fehlt das gesunde Maß", sagt Matthias Bettag, Fan von Werder Bremen, der Rau auch ein Buch überreichen wird, das dieser Tage erscheint.

Barfuß ins Stadion

"Die 100 'schönsten' Schikanen gegen Fußballfans", heißt es, und versammelt ebenso erschreckende wie skurrile Beispiele. Da werden teure Digitalkameras an Stadiontoren als vermeintliche Wurfgeschosse konfisziert. In Stuttgart mussten sich Fans aus Berlin vor dem Gästeblock bis auf die Unterhose ausziehen, während einige Anhänger aus Offenbach in Berlin barfuß ins Stadion mussten, weil ihre Schuhe zu Waffen erklärt wurden.

Ein besonderes Problem sind Security-Dienste geworden, die mit martialischem Auftreten und rüdem Ton oft zur Eskalation beitragen. Ordner in Kaiserslautern etwa beschimpften Fans aus Wolfsburg als "Scheiß-Ausländer". Auch Polizei und Bundesgrenzschutz agieren oft unverhältnismäßig. Einem Fan aus Hannover wurde in Frankfurt vor dem Besteigen des Zuges ein Döner-Sandwich abgenommen. Der Beamte aß es dann selber auf.

Besonders problematisch sind aus Sicht der Fans Stadionverbote und die Aufnahme in die Datei "Gewalttäter Sport". Sie werden in Berlin daher erneut ein Einspruchsrecht gegen Stadionverbote fordern, zudem soll es eine Mitteilungspflicht geben, wenn man als vermeintlicher Gewalttäter erfasst worden ist. Es gibt genug Beispiele, dass Betroffene nichts davon wussten, da mitunter schon ein Verdacht für die Aufnahme in die GWS reicht. Obwohl es nie ein Strafverfahren gab, kann es passieren, dass man an der Grenze plötzlich als reisender Gewalttäter zurückgewiesen wird.

"Es läuft etwas falsch, wenn elementare Grundlagen wie Unschuldsvermutung und Anhörungsrecht für Fußballfans außer Kraft gesetzt sind", sagt Martin Kößler. Johannes Rau wird daher heute eine stärkere Unterscheidung im Umgang zwischen engagierten aber friedlichen Fans und den nur noch wenigen gewalttätigen Anhängern fordern. "Er möchte dazu beitragen, dass sich die Atmosphäre verbessert", heißt es aus dem Bundespräsidialamt. Eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang spielt die Fußball-WM 2006 in Deutschland. Der Umsetzung des Slogans "Die Welt zu Gast bei Freunden" steht derzeit nämlich eine Sicherheitsdoktrin im Weg, die Fußballfans zunächst einmal als Problem sieht.

Rau mag einen Impuls geben, wenn er den Fans heute gezielt ein Podium zur Verfügung stellt, doch einer vorurteilslosen Diskussion stehen auf beiden Seiten bislang oft reflexartige Reaktionen entgegen. Fans wie Offizielle neigen zu gegenseitigen Verdächtigungen. Bezeichnend ist auch, dass der DFB zwar einen Sicherheits-, aber keinen Fan-Beauftragten hat. Aus diesem Grund begleiten das heutige Treffen von Seiten der Fans eher zarte Erwartungen. "Für mich wäre es bereits ein Erfolg, wenn es nicht bei diesem einen Gespräch bleibt", sagt Matthias Bettag. Um die Situation entscheidend zu verbessern, das wissen alle Beteiligten, werden noch eine ganze Reihe Treffen mehr nötig sein.

© SZ vom 15.1.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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