Fußball-WM in China:Geschmückt mit Marketing und stählernen Rosen

Lesezeit: 5 min

Für die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen legt sich China ins Zeug. Das geschieht nicht nur aus Begeisterung für die Kickerinnen - es ist ein Trainingslauf für Olympia.

Kathrin Steinbichler, Schanghai

In einer Stadt, die einem keine Ruhe lässt, fällt Stille auf. Sun Wen, die in Schanghai geboren ist, mochte noch nie laut sein. Auch jetzt, da sie es mit ihrer Bekanntheit könnte, hält sich Sun Wen zurück. Immer wieder drängen vor dem Hongkou Football Stadium Menschen an ihren Tisch: Männer in Anzughosen und T-Shirts, die mit einem kurzen, scharfen Laut auf sich aufmerksam machen. Frauen in den hier beliebten dünnen Gummi-Turnschuhen, die in der Schlange der Wartenden munter mitdrängeln.

Wer auch immer an diesem Vormittag vor Sun Wen tritt, bekommt einen Moment ihrer Zeit und eine Unterschrift, die sie ernst und geduldig auf die ihr hingehaltenen Papiere und Kuverts setzt.

"Es gehört bei dieser Weltmeisterschaft zu meinen Aufgaben, Termine wahrzunehmen und Werbung zu machen", sagt die populäre, ehemalige chinesische Fußball-Nationalspielerin und nickt sachte mit dem Kopf. So richtig ist nicht klar, ob sich die 34-Jährige damit nun Chinas Regierung oder dem Fußball verpflichtet fühlt. "Die Frauen-WM ist für China eine große Chance, sich zu zeigen", fährt Sun Wen fort, "und es macht mich froh, ein Teil davon zu sein."

Die Hafenstadt Schanghai dampft an diesem Morgen von der aufkommenden Schwüle des Tages. In den Gassen von Hongkou verdunstet das erste Wasch- und Kochwasser, auf den mehrspurigen Hochstraßen um und in das Geschäftsviertel Pudong schieben sich die Fahrzeuge im üblichen Dauerstau voran. Überall gehen und stehen Leute mit Thermoskannen oder Plastikflaschen, in die sie heißes Wasser und ihre Lieblings-Teemischung gefüllt haben.

Klatschen auf Zuruf

Auf dem Vorplatz des Hongkou Fußball Stadions aber sind jetzt neben einer Blaskapelle in weißer Paradeuniform rund 200 Schülerinnen und Schüler in Reih und Glied angetreten, um an den passenden Stellen der vielen Reden auf Zuruf Beifall zu klatschen. Chinas Staatspost und die Fifa haben zur Veröffentlichung einer WM-Sondermarke der Frauen geladen, eine von vielen Marketing-Ideen, mit denen das Turnier in dem riesigen Land beworben wird. Es ist eine bildträchtige Aktion, die das sportliche Interesse von Chinas Bürgern schon im Hinblick auf Peking 2008 wecken soll. Sun Wen blickt ernst. Es ist vor allem ein anstrengender Termin.

Die lokalen Funktionärsgrößen enthüllen einer nach dem anderen unter Tusch und Beifall die Gestelle mit den Sondermarken. Sun Wen bleibt die ganze Zeit still und zurückhaltend auf dem Podium auf ihrer Position, die mit einer bronzefarbenen Plakette auf dem Teppich markiert ist.

Die heutige Fußballfunktionärin und Fernsehkommentatorin, die noch 2002 von der Fifa neben der Amerikanerin Michelle Akers zur Jahrhundert-Fußballerin gekürt wurde, ist eine der berühmtesten Sportpersönlichkeiten Asiens und im Frauenfußball ein Weltstar. Doch die Rolle Sun Wens, die nach einigen Jahren in der US-Profiliga wieder in der 19-Millionen-Metropole Schanghai lebt, ist nicht länger die der Macherin, wie einst auf dem Rasen.

Die Welt beeindrucken

Auf dem Spielfeld, da war sie frei. Da konnte die begnadete Spielmacherin mit der feinen Technik, die bei ihrem Ligadebüt in den USA als "chinesische Sensation" angekündigt wurde, gestalten und initiieren, anstoßen und entscheiden.

Jetzt, nach vier Weltmeisterschaften als Spielerin, ist sie Fifa-Botschafterin und Repräsentantin ihres Landes, eine gern gesehene Galionsfigur und zweite Vorsitzende des chinesischen Fußballverbandes. Sun Wen muss jetzt lernen, nicht mehr alles selbst in die Hand nehmen zu können. Dass diese Weltmeisterschaft funktionieren muss, um einen guten Eindruck auf die Welt vor Peking 2008 zu machen.

"Ich denke, das ist ein guter Test für die lokalen Komitees, um sich und die Organisation für die Spiele vorzubereiten. Speziell für Schanghai, das nicht nur Ort des Eröffnungs- und Endspiels ist, sondern auch 2008 bei Olympia Spiele austrägt."

Die ehemalige chinesische Spitzenfußballerin Sun Wen sieht sich als Botschafterin ihres Landes. (Foto: Foto: AP)

Sun Wen sagt es sehr ruhig, sehr bestimmt. Sie sagt auch: "Ich kann den Druck spüren, den unser Nationalteam hat." Sie kann sich in die Sportlerinnen hineinfühlen, und sie spürt selbst die Verantwortung, die dieses 1,3 Milliarden Menschen große Land der Frauenfußball-WM und seinen einheimischen Fußballerinnen aufgeladen hat.

Seit 10. September läuft in China die fünfte Fußball-WM der Frauen, an der neben Deutschland 15 Mannschaften, 900 streng beäugte internationale Journalisten und Millionen Fernsehzuschauer weltweit teilnehmen. Das Unterfangen gilt als politische und logistische Nagelprobe für die Olympischen Spiele 2008 in Peking, flächendeckend zieht sich daher die orangerot geprägte Turnierwerbung durch die fünf WM-Städte, darunter Schanghai und Tianjin, die 2008 auch olympische Fußballspiele ausrichten werden.

Im offiziell kommunistischen China hat das lokale WM-Komittee mit der Fifa auch erstmals zwei Läden eröffnet, die, ganz kapitalistisch, die offiziellen Merchandising-Produkte des Turniers verkaufen. Im Bailian Shimao Shopping Center in Schanghai und an der Yan'an Road in Hangzhou bieten rotgekleidete Verkäuferinnen Unmengen von Schlüssel- und Armbändern, Fächern, Kappen mit dem Maskottchen Rongrong und T-Shirts in den verschiedenen Mannschaftsfarben und mit dem geschwungenen WM-Logo an.

Kontingente, die füllen

Noch gibt es vom chinesischen WM-Komitee keine offiziellen Verkaufszahlen. Doch schon beim letzten Gruppenspiel der Deutschen gegen Japan in Hangzhou am Montag wirft der Verkäufer im Stadion jedem ein zweites T-Shirt in die Tüte, der zuvor eines gekauft hat. Ein Fanverhalten wie in Europa, wo die richtige Ausstattung und der Konsum zum Stadionerlebnis gehören, scheint sich in China noch nicht durchgesetzt zu haben.

In Schanghai füllten trotz spürbarer Begeisterung der Städter in der Vorrunde bislang vor allem große Kontingente von Studenten und Firmenarbeitern den Großteil der 31.000 Stadionsitze. Nur 30 Prozent der WM-Karten, die schon ab 30 Yuan, rund drei Euro, zu erstehen sind, waren bis kurz vor dem Turnier verkauft.

Der große Rest ging an Sponsoren und Vips, "außerdem sind wir mit Betrieben und Universitäten im Gespräch", gab Lily Xue, Vize-Präsidentin des Chinesischen Fußballverbandes, wenige Tage vor Turnierstart zu. Ob es nun die offizielle Abordnung zum WM-Besuch ist oder doch gesteigerter Kartenverkauf: Die ersten 16 Spiele, so die Fifa, hatten eine Zuschauer-Auslastung von durchschnittlich 36.930 Stadionbesuchern, was fast an den Zuschauerrekord der WM 1999 in den USA heranreicht.

Schlappe der Chinesinnen

Der Spaß am Stadionbesuch könnte bei den Chinesen allerdings bald wieder abnehmen: Nach dem 0:4 der chinesischen Fußballerinnen gegen Brasilien stehen die Gastgeberinnen bereits im letzten Gruppenspiel am Mittwoch auf dem Prüfstand, und damit auch die Stimmung im Land.

Nur der Viertelfinaleinzug durch einen Sieg gegen Neuseeland wird Chinas schwedischer Trainerin Marika Domanski-Lyfors das Vertrauen der Funktionäre erhalten. Die 47-Jährige ist seit März die erste ausländische Trainerin Chinas, nachdem Deutschlands ehemalige Bundestrainerin Tina Theune-Meyer den laut Bejing News mit rund 400.000 Euro im Jahr bezahlten Posten ausgeschlagen hatte.

Während in Europa der Trainertransfer der erfahrenen Domanski-Lyfors großes Lob und Neugier erntete, herrschten in Chinas Bevölkerung anfangs Zweifel am Sinn der Zusammenarbeit mit einer Europäerin. Doch die Damen-Trainerin, die zuvor mit Schwedens Nationalteam jeweils bei der letzten und vorletzten WM ins Finale gekommen ist, konnte das Land inzwischen für sich gewinnen. Überlebensgroß hängen Plakate der Spielerinnen in den Sportgeschäften und an Häuserwänden, und mittendrin, genau in der Mitte, steht mit verschränkten Armen und erwartungsvollem Blick die neue, blonde Nationaltrainerin aus Europa.

Sun Wen hat in ihrer Karriere etliche ausländische Trainer kennengelernt. Sie ist überzeugt, dass Domanski-Lyfors Chinas "stählerne Rosen", wie die Fans sie nennen, bis ins WM-Halbfinale bringen wird. Europäische und asiatische Trainingslehre zu verbinden, "das ist der neue Weg, denke ich", sagt Sun Wen, "aber gebt uns etwas Zeit, zu sehen, was dabei herauskommt". Dann neigt Sun Wen den Kopf, um weiter Autogramme zu schreiben. Wenn es sein muss, bis 2008 in Peking.

© SZ vom 18.09.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: