Fußball-Weltverband:Die neue Fifa? Nicht mit diesem Chef

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Umstritten: Gianni Infantino. (Foto: Arnd Wiegmann/Reuters)

Vertraute machen Ärger, Sponsoren halten Distanz - und die Ermittler sind alarmiert: Gianni Infantino ist nach einem Jahr im Amt fast völlig isoliert.

Von Thomas Kistner, München

Die Fußballwelt ist in Aufruhr - und Gianni Infantino ist ständig auf Achse. Von Simbabwe bis Katar. Der Schweizer macht gerade wieder das, was er im formal reformierten Amt des Fifa-Präsidenten nicht tun sollte: Politik, Strippen ziehen. Infantino ist nächstes Wochenende ein Jahr lang an der Fifa-Spitze. Dass ihm die Medien dann eine lange Mängelliste präsentieren, kann der Mann mit dem gusseisernen Ego verschmerzen. Die wahren Probleme lauern dort, wo sie dem Weltverbandschef gefährlich werden können: innerhalb der Funktionärsfamilie.

Fifa-intern zog er ein Revirement durch: 81 Mitarbeiter verließen die Fifa, jeder Fünfte. Aus Angst, Resignation oder im Zorn. Neubesetzungen wirken oft bizarr, angefangen beim mächtigsten Amt: Generalsekretärin wurde Fatma Samoura. Die langjährige UN-Mitarbeiterin ist bar jeder Sporterfahrung. Soeben brachte die Senegalesin das neue Regime im Schweizer TV stolz auf den Punkt: "Ich sage den Leuten intern: Wenn sie ihr Verhalten nicht ändern und nicht die Interessen der Fifa vertreten, müssen sie die Fifa verlassen!"

Im Untergrund des Zürichbergs, wo die Verbandszentrale sechs Stockwerke tief ins Erdreich geht, hat Infantino alles im Griff. Doch draußen entgleitet ihm die Macht. Nur ein Jahr brauchte Infantino, um in die Isolation abzudriften. Sein Wahlvolk hat von dem Geldsegen, den er bei seiner Kür vor einem Jahr in Aussicht gestellt hatte, noch nichts gesehen. Beim Kongress in Mai in Bahrain wird gar ein Defizit erwartet, aufgehübscht womöglich mit Rücklagen. Die Fifa findet keine Topsponsoren mehr: 2018 wird die WM in Russland gespielt, noch immer sind zwei der höchsten Werbeplätze vakant. Die neue Fifa, die Infantino versprach, mag niemand erkennen. Nun setzt sogar der Europarat eine Fifa-Untersuchung an. "Wir sind besorgt", sagt Anne Brasseur, Chefin des Sportkomitees in Straßburg, "ich sehe keine Reform unter der neuen Führung."

"Falls Aufklärer entfernt werden, wird das gefährlich"

Auf Distanz zu Infantino gehen auch die dunklen Mächte auf der Führungsebene, ohne deren Support ein Fifa-Chef eine kurze Halbwertszeit besitzt. Am heikelsten ist ein Dissens mit Witalij Mutko. Unlängst soll Infantino dem russischen Vize-Premier und Fifa-Vorstand geraten haben, das Amt des nationalen Fußballchefs abzugeben (was er bestreitet). Mutko soll das verärgert haben. Jedenfalls ignorierte er den Rat und hat nun eine so bizarre Ämterfülle, dass das Governance-Komitee der Fifa vor der Zerreißprobe steht, wenn es im März urteilen muss, ob der Russe noch für das hohe Fifa-Amt taugt. Sport und Politik dürfen nicht vermischt werden, lautet in der Sportwelt das oberste Gesetz - dank dieser frommen Regel haben Fifa und andere Verbände schon manches Land suspendiert, dessen Politiker korrupte Funktionäre absetzen wollten. Kann also ein Vize-Premier zugleich nationaler Fußballchef sein? Miguel Poiares Maduro aus Portugal, der Chef des Governance-Stabs, gilt als mutiger Mann. Früher war er Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof.

An der Causa Mutko hängt für Infantino noch viel mehr. Der Russe hat die Europa-Union Uefa im Griff; besonders nahe steht ihm der neue Uefa-Präsident Alexander Ceferin, ebenfalls Fifa-Vize. Dem hatte massive Hilfe aus Osteuropa in den Sattel geholfen. Ceferin ist Teil eines aus dem Nichts erblühten Slowenen-Doppels: Sein Freizeitkicker-Kollege Thomas Vesel ist neuer Compliance-Chef der Fifa. Der Oberaufseher und der wichtigste Vize könnten Infantino viel Ärger bereiten. Über Vesels Tisch geht etwa die Gehaltserhöhung Infantinos, die für 2018 geplant ist. Auch das ist umstritten: Eigentlich sollten die Saläre im Zuge der Reform gedrosselt werden.

Der Ärger mit Ceferin hat wohl schon begonnen. Bei der Fifa-Ratssitzung im Januar soll der Uefa-Chef Infantino wegen der Millionenzahlungen angegangen worden sein, die für die US-Kanzlei Quinn Emanuel anfallen. Die Anwälte arbeiten seit 2015 den internen Korruptionssumpf auf, zudem fungieren sie als Bindeglied zu den US-Justizbehörden, die umfangreiche Ermittlungen führen. Diese Tätigkeit muss manchen Fifa-Haudegen beunruhigen. Auch Mutko: Wie die Russen unter ihm die Winterspiele 2014 in Sotschi manipulierte und welche Rolle er selbst dabei spielte, ist in zwei Dopingreports vermerkt und müsste beim Governance-Komitee Beachtung finden. Da wollen viele lieber gar nicht so genau wissen, wie Russland die WM 2018 von einer korrupten Fifa ergattert hat.

Mutkos Slowenen sind eng am Boss. Passend dazu gilt in Fifa-Kreisen als offenes Geheimnis, dass Infantino, auch auf Druck einflussreicher Hinterleute, gern alle kritischen Geister beseitigen würde. Die US-Anwälte, aber auch den eigenen Chefjustiziar Marco Villiger, der die Geheimnisse der Blatter-Ära so gut kennt, und natürlich die Spitzen der Ethikkammern, die ihm und seinen Kollegen so akribisch auf die Finger schauen.

In Kreisen, die mit der Sachlage befasst sind, heißt es, Infantino balanciere da auf einem Hochseil. Schweizer und US-Behörden, sagt eine mit den Vorgängen gut vertraute Quelle der SZ, "wissen genau, wer involviert war und wer nicht. Falls Aufklärer entfernt werden, wird das sehr gefährlich für diejenigen, die das tun". Auch die neue Fifa-Führung stehe ja unter Beobachtung. Bisher wird nur gegen korrupte Funktionäre ermittelt, die Fifa gilt unter dem US-Anti-Mafia- Gesetz formal als Opfer. Sie könne diesen Opferstatus aber "auch jederzeit verlieren", sagt die gut informierte Quelle.

Was Infantino jetzt schon verliert, ist Einfluss in der Fußballwelt. In der Karibik unterlag sein Favorit für das Spitzenamt in der Regionalunion CFU. Und im Asien-Verband AFC wurden zwei Infantino-nahe Kandidaten für den Fifa-Vorstand, aus Singapur und dem Iran, spektakulär gestoppt. Der Wahlkongress im Herbst 2016 in Indien war nach 27 Minuten vorbei, das 42:1-Votum für den Abbruch erfolgte in Gegenwart Infantinos.

In Afrika sähe der Fifa-Boss nun gern das Ende seines Widersachers Issa Hayatou, Chef des Kontinentalverbandes Caf. Der Kameruner amtiert seit 1988, ein Wechsel wäre dringend nötig - nur wirkt der Herausforderer kaum seriöser. Ahmad Ahmad, Verbandschef Madagaskars, findet sich auf der Liste der Personen, die der wegen Korruption lebenslang gesperrte Katarer Mohamed Bin Hammam bedient haben soll. Das zeigen Mails aus 2010. Ahmad bestritt jedes Fehlverhalten, nun will er Afrika-Boss werden. Ende 2015 übrigens lernte bei ihm in Madagaskar Infantino die langjährige dortige UNO-Koordinatorin kennen: Fatma Samoura. Monate später wurde sie Generalsekretärin in Infantinos neuer Fifa.

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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