Fußball in Österreich:Der alte Römer

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Der 38-jährige Ivica Vastic führt Österreich zum 5:1-Testspielsieg gegen Malta und landet damit einen Erfolg gegen die Negativisten im EM-Gastgeberland.

Klaus Hoeltzenbein

Über die Lautsprecher dröhnte "Junge Römer", ein Hit von Falco. Und voran ging der Senior. Das rote Leibchen wie ein Lasso schwingend, nahm Ivica Vastic ein paar Kollegen mit in jene Stadionkurve, aus der die Fans den Abend hindurch seinen Namen gerufen hatten. Als er auf der Ersatzbank saß, und später, als er spielte. Er spielt jetzt in der Liga für Linz, aber sie lieben ihn in Graz noch immer. Und nicht nur dort, sondern quer durch Österreich. "Ich habe mir nichts anderes gewünscht, als mich beim Publikum zu revanchieren mit einem Tor", sagte Vastic. Weil dies gelang, wurde der Fernsehmoderator vom ORF zum Großdichter: "Er kam, sah und kriegte den Ball irgendwie ins Tor", während Josef Hickersberger, der Trainer, den Anlass gegeben sah, eine kurze Dankesrede zu halten: "Vastic hat die Situation gerettet. Seine Einwechslung war positiv, plötzlich waren die Pfiffe weg."

Österreichs Nationalspieler Ivica Vastic (rechts) hat auch mit 38 Jahren noch einen Waschbrettbauch. (Foto: Foto: dpa)

In Österreich sind jetzt nicht wenige der Meinung, dass ihnen dieser Vastic beim letzten Test am Freitag, dem 5:1 gegen Malta, das kleine bisschen Vorfreude auf das große Turnier erhalten habe. Ausgerechnet Vastic, der gebürtige Kroate, den Hickersberger nicht dabei haben wollte, weil er für die EM anfangs auf die Jugend setzte. Der aber so ein feiner Sportsmann ist, dass er geräuschlos zurückkam, als Hickersberger ihn jüngst nominierte, und der nun der älteste Spieler des Turniers sein wird. 38 Jahre, acht Monate und neun Tage wird Vastic am Sonntag beim Auftaktspiel gegen Kroatien alt sein; nur Jens Lehmann, der deutsche Torwart, ist ebenfalls schon 1969 geboren.

Waschbrettbauch mit 38

Vastic kam unter ohrenbetäubendem Jubel in Minute 57, als seine Kollegen drauf und dran waren, ihre frühe 2:0-Führung zu verspielen, weil sie Maltas Michael Mifsud nicht unter Kontrolle bekamen. Hätte der Stürmer, einst in Kaiserslautern, heute in Coventry unter Vertrag, seinem 1:2 noch das 2:2 folgen lassen - es wäre ein weiterer Triumph für die ohnehin in Überzahl scheinenden Grantler und Negativisten der Alpenrepublik geworden. So aber: Vastic schiebt den Ball dem Bremer Martin Harnik in den Lauf, der den Elfmeter zum 3:1 rausholt, und Vastic drückt ihn mit der Fußspitze zum 4:1 höchstselbst in Netz. Später zeigt er den Grazern, für die er einst sogar in der Champions League stürmte, seinen Waschbrettbauch. Respektabel, der alte Römer. Mit 38.

Das alles ändert jedoch nichts daran, dass die Gastgeber als der extremste Außenseiter ins Turnier einziehen. Ein im Lande ansässiges Wettbüro gibt derzeit bei Titelgewinn generös den Kurs von 1:101 aus, die Gegner in Gruppe B, Kroatien (1:12), Polen (1:40) und Deutschland (1:4), sind da in einer ganz andere Liga. Einer allerdings stuft die Österreicher inzwischen weit höher ein, jedenfalls sagt er das so: "Es kann passieren, dass sie dich massakrieren", hat Slaven Bilic, Kroatiens Trainer, erklärt: "Sie springen dir auf den Kopf, sie sind bis zum Himmel motiviert."

Eine Einschätzung, die er als Beobachter in Graz bestätigt sah: Es gelang ein Blitzstart zum 2:0, als die Malteser noch so wirkten, als seien sie mit Sachertorte, Mozartkugeln und Mohn-Topfenstrudel beschwert. Und auch mit der Flughöhe hat Bilic recht: Die Ecken von Regisseur und Linksfuß Andreas Ivanschitz sind fast schon Weltklasse. Tor zwei folgte diesem Muster: Ecke Ivanschitz in den Fünf-Meter-Raum, Kopfball Aufhauser.

"Ich rechne immer noch in Schilling"

Dennoch setzt Hickersberger streng aufs Kollektiv und er sagt das seinen Landsleuten schonungslos: "Die individuelle Klasse bei der EM wird höher sein als bei Malta, und mit Sicherheit auch die bei Österreich." Es soll Länder geben, in denen einer derartigen Botschaft ein Verfahren wegen Landesverrat folgen würde, das im Fußball zuletzt so unglückliche Austria aber existiert mehr oder minder unaufgeregt neben dieser Wahrheit. Eine Woche vor Turnierstart hat es noch Ablenkung genug.

Seit Donnerstag feiert sich die Republik als Ski-Weltmeister bei 30 Grad, da Schladming die Titelkämpfe 2013 zuerkannt bekam. Zudem droht eine Ausweitung der Regierungskrise, sollten die Volksparteien ÖVP und SPÖ am Auftaktwochenende der EM die in den Medien prognostizierte "Riesen-Watsche" bei der Landtagswahl in Tirol kassieren. Und das Unterirdische bleibt das Dauerthema: von Amstetten, von Josef Fritzl ist weiterhin die Rede; die Schlagzeilen des Boulevards aber gehörten zuletzt Natascha Kampusch, 20, die am Sonntagabend mit einer Talkshow in ihre selbstbestimmte Fernsehlaufbahn startete. Erster Gast war Niki Lauda, dem sie im Vorgespräch offenbarte: "Es ist zwar riskant, aber ich will die Welt erforschen."

Ein bisschen neugieriger wirkt Österreich insgesamt, denn wenn nicht alles täuscht, so ist nach Graz ein leichter Stimmungswandel zu erkennen. Es scheint, als hätte das 5:1 etwas Zuversicht in die Gesichter und ein paar rot-weiß-rote Fähnchen an Balkone und Autodächer getragen. Nur Malta? Wer weiß, vielleicht gelingt es dem Vastic und dem Ivanschitz ja doch, in diesem Juni das fußballsportliche Bildungsniveau höher zu schrauben als jüngst im Ö3-Radio in einer Straßenumfrage offenbart. Frage: "Was halten Sie von der Euro?" Antwort: "Ach, wissen Sie, ich rechne immer noch in Schilling."

© SZ vom 02.06.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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