Fußball in Lateinamerika:Virgin Islands

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Kandidat für die Welttrainer-Wahl der Fifa: Jorge Sampaoli. (Foto: Natacha Pisarenko/AP)

Ein halbes Jahr nach dem Triumph bei der Copa América versinkt Chiles Fußball-Verband im Chaos und Nationaltrainer Jorge Sampaoli zieht es weiter.

Von Javier Cáceres, Santiago de Chile

Vor gut einem halben Jahr war die Welt in Chile noch in Ordnung. Zumindest in fußballerischer Hinsicht. Anfang Juli errang das lange Land zwischen Anden-Kette und Pazifik erstmals die Copa América, das Nationenturnier Lateinamerikas, und von der Atacama-Wüste bis nach Feuerland feierten siebzehn Millionen den unerhörten Erfolg nach Landessitte mit zu viel Pisco sowie anderen spirituellen Getränken, bis die Polizei die nach einem speienden Säugetier namens Guanako benannten Wasserwerfer einsetzte und den Feierlichkeiten unter freiem Himmel ein Ende bereitete.

Es gab einige Spieler, die Kultstatus erlangt hatten: Bayern Münchens Arturo Vidal, weil er im Suff seinen neuen Ferrari zerlegte, Hoffenheims Eduardo Vargas, weil er eine ungeheuerliche Treffsicherheit an den Tag legte; der Noch-Mainzer Gonzalo Jara, weil er den Uruguayer Edinson Cavani auf offenem Feld unverlangt einer Art Prostata-Vorsorge-Untersuchung unterzog. Und dann war da auch noch der Chef des Ganzen, Trainer Jorge Sampaoli, ein gebürtiger Argentinier, der all die Skepsis, die ihm entgegengeschlagen war, mit einem Mal besiegt zu haben schien. An diesem Montag wird Sampaoli in Zürich bei der Fifa-Gala sein, neben Luis Enrique, der mit dem FC Barcelona das Triple holte, sowie FC-Bayern-Trainer Pep Guardiola ist Sampaoli einer von drei Anwärtern auf den Titel "Trainer des Jahres".

Sampaolis Chancen sind am Wochenende nicht schlechter geworden: Wie Guardiola kündigte Enrique an, nicht zur Gala reisen zu wollen. Sollte Sampaoli den Titel tatsächlich einheimsen, dürften sich die Chilenen die Frage, die ihr fußballerisches Interesse zurzeit überlagert, noch dringlicher stellen: Nimmt Sampaoli seine Arbeit nach der Rückkehr aus der Schweiz überhaupt wieder auf? Die eher zurückhaltende Zeitung El Mercurio urteilt bereits skeptisch: "Die Ära Sampaoli geht ihrem Ende entgegen", titelte sie am Wochenende.

Zwar ist Don Sampa noch mit einem Vertrag bis zur WM in Russland 2018 ausgestattet. Bei einem Krisentreffen am Freitag ließ Sampaoli die neue Führungsriege des Verbands ANFP aber wissen, dass er Chile gern verlassen würde. Er bat offen darum, die vertraglich fixierte Konventionalstrafe von 6,2 Millionen Dollar (knapp 5,7 Millionen Euro) auf ein Drittel, also zwei Millionen Dollar, zu reduzieren. Die Summe entspricht seinen ausstehenden Honoraren bis 2018. Seine Argumente: Er sei amts- müde; Chiles goldene Fußballer-Generation sei aufgebraucht; vor allem aber halte er das aktuelle Szenario für unbehaglich.

"Er fühlt sich verletzt", sagte Chiles neuer Verbandschef Arturo Salah nach einer fünfstündigen Unterredung mit Sampaoli. Der Grund für Sampaolis dürftige Laune: Rund um den Jahreswechsel wurden pikante Details aus seinem Vertrag bekannt. Dem Periodikum The Clinic, einer Mischung aus Reportage-Magazin und Satireblatt, war der Kontrakt zugespielt worden. Das Medium legte nicht nur offen, wie geschickt Sampaoli seit seinem Amts- antritt im Dezember 2014 seine Honorare nachverhandelt hatte und üppige Extras für luxuriösen Wohnraum und Autos herausschlug. Es schien auch nachzuweisen, dass er einen Teil des Salärs auf ein Konto auf den Virgin Islands überwiesen bekam, einem Steuerparadies.

Das war für das Image des Trainers, der stets den "Geist des Amateurwesens" als Ideal seines eigenen Schaffens verklärte, nicht ganz so förderlich. Verbandschef Salah brachte nicht viel Licht in die Angelegenheit. Einerseits sagte er, Sampaoli und sein Trainerteam hätten "keine Ressourcen in Steuerparadiesen" gehabt. Andererseits räumte Salah ein, dass es solche Konten schon gegeben habe, aber alles "in Ordnung gebracht" worden sei. Angeblich überwies der Verband vorbeugend eine halbe Million Dollar an die chilenischen Steuerbehörden.

José Mourinho, Cristiano Ronaldo: In dieser Gesellschaft sieht der Coach sich selbst gerne

Dass Sampaoli gerne weg will, hat freilich nicht nur mit den ärgerlichen Indiskretionen zu tun. Vor einigen Monaten wurde der portugiesische Manager Jorge Mendes bei Sampaoli vorstellig - und versprach dem durchaus innovativen Argentinier, ihn ähnlich groß rauszubringen wie seine Top-Klienten José Mourinho oder Cristiano Ronaldo. Zeitweise wurde Sampaoli als Kandidat für den FC Chelsea gehandelt. Doch ob das wirklich stimmte, darf bezweifelt werden: Sampaoli, 56, spricht nur Spanisch. Der Kreis der Klubs, die ihn aus dem Vertrag herauskaufen würden, ist also nicht unendlich.

Notwendig wäre das schon, denn Chiles Verband besteht auf dem Kontrakt. Gleichwohl ergießen sich Chiles Medien in Spekulationen über einen möglichen Nachfolger.

Kandidat Nummer eins ist Eduardo Berizzo, der bei Celta de Vigo in der spanischen Liga eine gute Figur abgibt. Der Chilene Manuel Pellegrini ist Dauerkandidat und ab Sommer wohl seinen Job bei Manchester City los - aber er ist mit Verbandschef Salah so gut befreundet, dass ein Filzverdacht zu groß wäre. Manche träumen auch von einer Rückkehr von Sampaolis Guru und Vorvorgänger Marcelo Bielsa. Er ist seit seinem Rücktritt bei Olympique Marseille ohne Job.

Ein Problem bei der Suche nach einem Nachfolger ist die unübersichtliche Finanzlage. Der kürzlich abgesetzte Verbandschef Sergio Jadue, der im Zuge der Fifa-Affäre weggeschwemmt wurde, hat ein Chaos hinterlassen. Jadue kooperiert in Miami als Kronzeuge mit der US-Justiz - in der Hoffnung, die Korruptionsaffäre einigermaßen schadlos zu überstehen. Derweil werden in Chiles Verbandszentrale die Schubladen geöffnet . "Es gab in jedem Fall einen Mangel an Kontrolle über das, was in diesem Verband geschah", sagte Salah nach einer Woche, die einen Schluss schon erlaubt: "Die finanzielle Lage ist fragil." Und das nur ein halbes Jahr nach dem größten sportlichen Triumph in der Geschichte des Landes.

© SZ vom 11.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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