Frauenfußball-Bundesliga:"Mental im Vorteil"

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Wolfsburg, Bayern oder Frankfurt: Wer gewinnt die Meisterschaft? VfL-Trainer Kellermann über das Finale.

interview Von Frank Hellmann

Ralf Kellermann, 46, und der VfL Wolfsburg, das ist eine erfolgreiche Partnerschaft im deutschen Frauenfußball. Der ehemalige Zweitliga-Torwart und Welttrainer des Jahres hat seit 2013 insgesamt sechs Titel gewonnen, im letzten Ligaspiel der Saison am Sonntag beim 1. FFC Frankfurt (14 Uhr) kann der siebte folgen. Wolfsburg (54 Punkte) geht als Tabellenführer in das spannende Finale der Frauen-Bundesliga - bei einem Remis oder einer Niederlage besäße der FC Bayern (53) im Heimspiel gegen SGS Essen beste Chancen, Meister zu werden. Frankfurt ist derzeit Dritter (52). Der TV-Sender Eurosport hat am Sonntag kurzfristig eine Live-Konferenz von beiden Schauplätzen ins Programm genommen.

SZ: Im Vorjahr hat der VfL Wolfsburg am letzten Spieltag durch ein Tor in letzter Minute von Alexandra Popp die Meisterschaft in der Frauen-Bundesliga gewonnen. Diesmal ist die Konstellation ähnlich: Durch einen Sieg können Sie den Titel verteidigen. Werden Sie Ihren Spielerinnen die Szenen vom 8. Juni 2014 noch einmal zeigen?

Ralf Kellermann: Wir setzen immer mal wieder positiv besetzte Bilder aus der Vergangenheit ein. Es kann bei dergleichen Konstellation sicher nicht schaden, diese Szenen auch bildlich noch einmal in Erinnerung zu rufen.

Was konnten Sie in dieser Woche noch tun?

Für uns ist es deshalb eine außergewöhnliche Woche, weil wir endlich wieder eine Woche am Stück trainieren können. Seit dem 2. Februar war das wegen den vielen englischen Wochen oder Länderspielabstellungen nicht möglich. Wir konnten sicher keine taktischen Neuerungen einstudieren, und auch im athletischen und physischen Teil konnten wir nicht arbeiten wie in den letzten Jahren. Aber das größte Problem an diesem Mammutprogramm in dieser Saison im Frauenfußball war ja, dass wir Trainer kaum noch Zeit hatten, mit der Mannschaft detailliert zu trainieren.

Welche Rolle spielt die mentale Komponente in diesem Titel-Dreikampf?

Jetzt geht es an diesem letzten Spieltag sicher um den mentalen Bereich, und da sehe ich uns leicht im Vorteil. Wir haben in den vergangenen drei Jahren alle Finalspiele gewonnen - zwei Champions-League-Endspiele, die beiden Pokal-Endspiele, das letzte Spiel um die Meisterschaft im Vorjahr in Wolfsburg und davor die entscheidende Partie um die Champions-League-Qualifikation. Wenn es darauf ankam, waren wir immer da. Bilder sind das eine, aber das Wissen um diese Stärke ist das andere. Das ist in den Köpfen drin. Es kann aber auch passieren, dass wir dieses Spiel - aus irgendwelchen Gründen - verlieren und nur Dritter werden. Davon werden wir aber unsere Ausrichtung nicht abhängig machen. Unsere Entwicklung stimmt - selbst, wenn wir einmal nicht international spielen sollten.

Können Sie den Pokalsieger Wolfsburg und den Champions-League-Finalisten Frankfurt in den einzelnen Mannschaftsteilen vergleichen? Wo liegen Stärken und Schwächen?

Unsere nur drei Gegentore (in bislang 21 Ligaspielen, Anm.) - eine sensationelle Quote - hängen natürlich mit unserer Torhüterin Almuth Schult und der gesamten Defensivarbeit der Mannschaft zusammen. Wir haben mit Nilla Fischer eine überragende Abwehrspielerin. Wenn sie gesund ist, ist sie die beste Abwehrspielerin der Welt, weil sie komplett in ihren Fähigkeiten ist. Ihre Partnerin in der Innenverteidigung, Babette Peter, konnte in Frankfurt nicht ihr Potential abrufen, sie hat dort nach ihrer Verletzung fast ein Jahr auf der Bank gesessen. Frankfurt hat bereits seit Jahren exzellente Spielerinnen für das Offensivspiel. Simone Laudehr ist eine tolle Fußballerin, Veronica Boquete ist Extraklasse und Dzsenifer Marozsan ist für mich die beste Fußballerin, die wir in Deutschland besitzen. Und mit Celia Sasic spielt dort die Torjägerin der Nationalmannschaft. Dieser Kader ist offensiv sicherlich toll aufgestellt, defensiv scheinen wir das bessere Konzept zu haben.

Was sagen Sie zu der Aussage von Frankfurts Trainer Colin Bell, Wolfsburg verfüge über "mehr Möglichkeiten"?

Wir können natürlich die Strukturen im Gesamtverein nutzen, aber was die wirtschaftlichen Daten angeht, die sich rein auf die Mannschaft beziehen, bezweifle ich ganz, ganz stark, dass wir einen höheren Etat haben als der 1. FFC Frankfurt. Ich kann auch nicht mehr Geld ausgeben, als mir zur Verfügung gestellt wird. Ich wehre mich entschieden dagegen, dass es bei den vier Topteams - Turbine Potsdam und Bayern München - im Gehaltsniveau große Unterschiede gibt. Das ist definitiv nicht so.

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(Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Erfolgstrainer: Ralf Kellermann gewann mit Wolfsburg mehrfach die Champions League, die Meisterschaft und den Pokal.

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(Foto: Peter Steffen/dpa)

Das Saisonfinale: Wie 2014 treffen Wolfsburg (1.) und Frankfurt (3.) am letzten Spieltag aufeinander. Letztes Jahr gewann der VfL und wurde Meister.

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(Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Rückenwind haben beide: Die Wolfsburgerinnen holten gerade den DFB-Pokal.

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(Foto: Arne Dedert/dpa)

Die Frankfurterinnen zogen mit zwei Kantersiegen (6:0, 7:0) ins Finale der Champions League ein.

Ein Wort mitzureden haben die Frauen des FC Bayern als Zweite: Gewinnen sie und trennen sich ihre Konkurrentinnen unentschieden, sind sie Meister.

Ihr Kader ist aber deutlich größer.

Dass wir uns beim Kader in der Breite anders aufgestellt haben, das stimmt. Wenn man im Frauenfußball heutzutage auf drei Hochzeiten tanzen will, kann man das nicht mit 16 Spielerinnen - das wird nicht funktionieren. Wir haben mit Viola Odebrecht, Nadine Kessler oder Luisa Wensing Spielerinnen, die uns teilweise die ganze Saison gefehlt haben. Hätten wir diesen großen Kader nicht, wären wir teilweise zu Champions-League-Spielen mit 13 Feldspielerinnen angereist. Ich vertraue meinem ganzen Kader und habe in den letzten Jahren immer wieder in den englischen Wochen viel rotiert. Das ist eine Philosophiefrage, die jeder Trainer für sich selbst ausmachen muss.

Der 1. FC Köln steigt in die Frauen-Bundesliga auf. Besteht nicht die Sorge, dass nur Männer-Vereine die Frauen-Bundesliga dominieren?

Ich denke nicht, dass das eine gefährliche Entwicklung ist. Aus der Ferne betrachtet, hat vielleicht der eine oder andere Verein früher über seinen Verhältnissen gelebt. Ich bin davon überzeugt, dass der 1. FFC Frankfurt und Turbine Potsdam immer zur Frauen-Bundesliga gehören werden, die SGS Essen macht es vorbildlich. Auch vor dem 1. FC Köln muss sich keiner fürchten: Die werden nicht sofort Spielerinnen bekommen, die den Verein auf Topniveau hieven. Ich glaube auch, dass es ein reiner Frauenfußballverein heutzutage schwerer hat, aber die Klubs, die solide wirtschaften und ein vernünftiges Konzept haben, werden nicht von der Bildfläche verschwinden.

Gehen ihre Nationalspielerinnen fit genug zur WM nach Kanada?

Man hat bei uns gesehen, dass die Spielerinnen bis zum letzten Spieltag Vollgas geben können. Aber die Saison war grenzwertig, und die Spielerinnen gehen auf dem Zahnfleisch. Die Belastung war schon extrem, deshalb sind nach der Saison einige Tage Regeneration wichtig. Wenn nicht noch weitere wichtige Spielerinnen ausfallen, wird Deutschland mit einem guten Kader nach Kanada reisen.

© SZ vom 10.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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