Frankreich-Deutschland:Vorrat für den Winterschlaf

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Mit einem guten letzten Spiel in diesem Jahr wollen Klinsmann und die Nationalelf den Start ins WM-Jahr erleichtern.

Ulrich Hartmann

Er wundere sich manchmal, sagt Oliver Bierhoff, was ein Fußballer heutzutage noch alles beherrschen müsse, außer gut Fußball zu spielen. "Er soll gute Interviews geben, dieses gut machen und jenes - dabei müsste er doch eigentlich einfach nur gut spielen."

Weder mit Gebeten noch mit Kampfsport möchten Per Mertesacker, Robert Huth und Lukas Sinkiewicz (v.l.) den Franzosen beikommen: Ganz normaler guter Fußball soll reichen, um in Paris zu bestehen. (Foto: Foto: dpa)

Bierhoff, der DFB-Teammanager, steuerte damit seinen Teil zur Debatte um das 20-jährige Stürmerküken Lukas Podolski bei, das anlässlich der WM von der ganzen Branche vereinnahmt wird, so dass vor allem eines darunter leidet: Podolskis Fußballspiel.

Horizont der Spieler erweitern

Dabei meint Bierhoff seine Bemerkung über die Konzentration aufs Spiel gar nicht wörtlich. "Der Fußball ist ein Ventil für die Massen", sagt er, "derzeit stagniert in Deutschland alles. Vieles, gerade auch in der Politik, verharrt. Da kann der Fußball ein Zeichen setzen."Deshalb versucht er, den Horizont der Spieler zu erweitern.

So hat er kürzlich den Bergsteiger Stefan Glowacz als Redner vor die Fußballer geholt, damit sie in gemütlicher Runde lernen, wie man sich in lebensbedrohlicher Lage zu außergewöhnlichen Leistungen überwindet. Und am Mittwoch war der Unternehmensberater Herbert Henzler beim Nationalteam zu Gast. Der Wirtschaftsexperte des Unternehmens McKinsey zeigte den Fußballern gesellschaftliche Komponenten und makroökonomische Konsequenzen ihres sportlichen Treibens auf.

Mertesacker und Schweinsteiger beeindruckt

"Sensationell", fand der Abwehrspieler Per Mertesacker den einstündigen Vortrag. "Da waren einige Sätze dabei, die richtig waren", lobte Mittelfeldspieler Bastian Schweinsteiger. "Auch 1954 hat der WM-Titel dem Land ja schon einmal sehr geholfen", sagte Oliver Bierhoff - "ohne das jetzt vergleichen zu wollen."

Wenn es also schon darum geht, wie der Gewinn des WM-Titels im nächsten Jahr dem Standort Deutschland wieder auf die Beine hilft, dann befindet man sich bereits jenseits aller Debatten um die Fitness der Fußballer und den Wohnort des Bundestrainers Jürgen Klinsmann. Das ist den Beteiligten nur recht.

Kürzlich herrschte noch Streit zwischen den Protagonisten der Klubs und dem Führungstrio der Nationalelf, doch seit im Zuge einer Generalaussprache der "Arbeitskreis Nationalmannschaft" neugegründet worden ist mit Vertretern aus den führenden Klubs, herrscht wieder Ruhe.

Auf die hat man sich ausdrücklich geeinigt vor dem Spiel der deutschen Mannschaft am Samstag (21 Uhr, live im ZDF) in Paris, denn es ist das fünftletzte Spiel des deutschen Teams vor der WM und das letzte vor einer dreieinhalbmonatigen Länderspielpause, und wenn die schlingernde deutsche Mannschaft in Frankreich ein Debakel erleben sollte, dann wäre ja noch genügend Zeit, um wieder los zu debattieren.

Allofs gibt Klinsmann "Rückendeckung"

Als Vertreter des neuen Arbeitskreises reist Werder Bremens Sportdirektor Klaus Allofs mit nach Paris, aber "nicht in einer Mission", wie er sagt, sondern, um Klinsmann "Rückendeckung" zu geben. Der Betroffene betont derweil: "Wir haben signalisiert, dass wir für jede Meinung und jeden Rat offen sind." Und Bierhoff sagt: "Wir freuen uns riesig, dass Klaus Allofs mit dabei ist - er kennt die Franzosen sehr gut, und vielleicht kann er ja mal etwas für uns übersetzen."

Die Aussprache diente somit einer Art Waffenstillstand, aber dass erst dann wirklich Ruhe einkehrt, wenn die Leistungen der Nationalelf besser werden, weiß auch Klinsmann. "Wenn's wieder besser läuft", sagt er, "dann werden auch die Nebengeräusche weniger."

Man sollte also die Ohren spitzen nach dem aussagekräftigen Spiel gegen Frankreich, das vom Teamkapitän Michael Ballack als "echter Härtetest" bezeichnet wird, und zu dem die deutsche Mannschaft angesichts der Unruhen in Paris vorsichtshalber mit zwei Sicherheitskräften reist.

Seit 18 Jahren hat Deutschland die Franzosen in vier Spielen nicht mehr besiegen können, und seit fünf Jahren wartet die deutsche Elf auf einen Sieg gegen eine der so genannten "großen Fußballnationen". Gerade deshalb trimmt Klinsmann den Zustand seiner Mannschaft vor diesem für die winterliche Vorfreude auf die WM so wichtigen Spiel bewusst auf stabil. "Wir wollen gewinnen", sagt er forsch, und sein Assistent Joachim Löw ergänzt: "Einige Spieler haben jetzt wieder eine ganz andere Power als nach dem Confed-Cup."

Die Spieler würden viel mehr "Konzentration und Leidensfähigkeit" mitbringen als noch vor ein paar Wochen. Löw setzt darauf, dass die Spieler "aggressiver, präsenter und williger" sind als zuletzt gegen China (1:0) und in der Türkei (1:2). Man müsse bereits im Mittelfeld Nähe zum Gegner und hohe Aggressivität zeigen.

Huth und Mertesacker versus Henry&Co.

In der Abwehrkette wird voraussichtlich Robert Huth die linke Innenverteidigerposition vom verletzten Christoph Metzelder übernehmen. Der 21-Jährige vom FC Chelsea bekommt ausgerechnet gegen die starken Stürmer David Trezeguet und Thierry Henry ("trifft ja praktisch in jedem Spiel", meint Löw) eine neue Bewährungschance, und wie schwer diese Aufgabe wird, das hat ihm sein Nebenmann Per Mertesacker schon verraten. "Das berührt einen schon, gegen so einen Traumsturm zu spielen. Gegen die", sagt er, "kriegen wir einiges zu tun."

© SZ vom 11.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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