Formel 1:Zwölf Runden mit zwei Schwergewichten

Lesezeit: 4 min

Schumacher und Alonso wie einst Senna und Prost - das Rennen von Imola als Start in eine neue Rivalität

Von René Hofmann

Verbrüderungen sind selten in der Formel 1. Gerade Flavio Briatore ist dafür bekannt, sich viel eher zu weiblichen Schönheiten hingezogen zu fühlen als zu einem gegnerischen Fahrer.

Alonso und Schumacher liefern sich eine heiße Verfolgungsjagd. (Foto: Foto: dpa)

Nach dem Großen Preis von San Marino konnte der Renault-Teamchef aber einfach nicht anders.

Fantastico! Fantastico! rufend warf er seine verschwitzten Arme um Michael Schumacher. Welch ein Rennen!

Das war der Ausruf des Nachmittags. Ein Fahrfehler in der Qualifikation hatte Schumacher auf Startplatz 13 zurückgeworfen. Von dort kämpfte er sich über 50 Runden in den Windschatten von Fernando Alonso.

Finale furioso

Auf den letzten zwölf Umläufen hetzte er den Spanier, wie er in den vergangenen 14 Jahren selten jemanden gehetzt hat. Der Ferrari war das bessere Auto. In den schnellen Kurven haftete er besser am Boden. Alonso hatte in seinem Renault nur eine Chance: Vor langsamen Biegungen bremste er extra scharf, um Schumacher den Schwung zu nehmen.

Ein Trick, aber fair. Mit ihm rettete er sich als Erster ins Ziel - 0,2 Sekunden vor Schumacher. Ein ähnliches Wimpernschlag-Finale hat die Serie schon lange nicht mehr erlebt.

"Wir haben zwei Champions gesehen", schwärmte Briatore: "Wie Ayrton Senna und Alain Prost." Deutschland hat den Papst, Spanien hat Alonso Das sind die aktuellen Machtverhältnisse in der Welt."

Vor drei Wochen in Bahrain hatte sich ein Duell zwischen den beiden bereits angedeutet, doch der Showdown entfiel, weil Schumacher ausfiel. Dieses Mal kam es zum finale furioso. Und obwohl Alonso den Pokal erhielt, die meisten Komplimente erntete Schumacher.

Ein guter Verlierer

"Ein fantastisches Rennen": Ferrari-Technikchef Ross Brawn. "Ein unglaublicher Champion": Präsident Luca di Montezemolo. Selbst die Rivalen applaudierten. "Bockstark": Mercedes-Sportchef Norbert Haug. "Außergewöhnlich": BMW-Sportchef Mario Theissen. Der Tag, der so ärgerlich begonnen hatte, endete für Schumacher in einem Beifallsorkan.

Für das zweite Einzelzeitfahren hatte er seinen F 2005 mit viel Benzin beladen lassen. Das zusätzliche Gewicht veränderte das Bremsverhalten. Schumacher musste überall ein paar Zentimeter früher aufs linke Pedal treten. In der letzten Kurve wurde ihm das zum Verhängnis.

Am vorgezogenen Bremspunkt traf er auf eine Bodenwelle, die ließ das rechte Vorderrad abheben und blockieren, woraufhin der rote Wagen die Ideallinie verließ. Vier Sekunden kostete Schumacher das Malheur, das am Ende den Unterschied ausmachte. Der 23-jährige Alonso blieb wie schon in Malaysia und in Bahrain fehlerfrei.

"Deshalb ist er Erster, und ich bin Zweiter", sagte Schumacher säuerlich. Der 36-Jährige hätte den Generationenkonflikt wahnsinnig gerne für sich entschieden, auch wenn er vorgibt: "Man muss nicht immer gewinnen, um Spaß zu haben."

Stratege Schumacher

Dieser 25. Grand Prix von San Marino bereitete so viel Freude, weil er so viele Facetten des Sports offenbarte. Es war ein vielschichtiges Rennen, ein spannendes, das sich zum Ende hin zuspitzte wie eine perfekt komponierte Oper. Es begann gemächlich, fast langweilig.

Schumacher dümpelte im Mittelfeld, Alonso jagte vorne davon. Ross Brawn an der Ferrari-Box wusste: Sein Pilot führte viel Benzin mit. Bei den Boxenstopps würde er sich weit nach vorne schieben. Doch Brawn ahnte nicht, wie weit.

Vor Schumacher fuhr ein Grüppchen von sieben Autos, das Jarno Trulli mit seinem langsamen Toyota hübsch beisammen hielt wie ein Schäfer seine Herde. Als die Gruppe zum Tanken abbog, drehte Schumacher auf. Sektor für Sektor reihte er Bestzeit an Bestzeit.

"Niemand kann ähnlich viele schnelle Runden in ein Rennen werfen", sagt Brawn. Als der Stratege Schumacher gleich darauf an der Box begrüßte, hätte er eines gerne gewusst: Fuhr Alonso an der Spitze so schnell er konnte?

Samba und Walzer

Falls ja, wäre es klug gewesen, Schumacher so viel Benzin wie möglich mitzugeben. Brawn entschied sich dagegen. Er vermutete, die Renault-Crew bluffte und Alonso würde im direkten Vergleich noch zulegen können. Für diesen Fall wäre es klüger, Schumacher ungefähr gleich schwer in die Auseinandersetzung zu schicken.

Gebannt verfolgte Brawn in den nächsten Runden den Zeitenmonitor. Aus dem Tanz der kleinen Zahlen lässt sich vieles lesen. Schumachers Ziffern tanzten Samba. Voller Leidenschaft wirbelte er immer schneller über das schwarze Parkett. Alonso dagegen wirkte wie ein Walzer-Tänzer: gleichmäßig, im Takt, aber etwas behäbig.

Brawn hatte sich verkalkuliert. Alonso konnte nicht mehr zulegen. Nachdem Michael Schumacher den Zweitplatzierten Jenson Button stehen gelassen hatte, wie ein Mädchen, das gerne mit zum Abschlussball möchte, für den Anlass aber einfach noch zu klein ist, wurde aus dem Ringelreihen eine Jagd.

Der Funkverkehr erstarb. Die Zeit des Taktierens war vorbei. Die 3000 Teile eines Formel-1-Renners zu konstruieren, dauert 250 000 Stunden. Alleine das Gummi der Reifen wird aus 200 Komponenten gemischt.

Der ewige Schumacher

Über die Strategie brüten Computer, mit denen sich auch Marsexpeditionen planen ließen. Normalerweise entscheidet all die Technik, wer gewinnt. Dieses Mal nicht. Aus sich alleine gestellt wie zwei Boxer begegneten sich Michael Schumacher und Fernando Alonso. Zum Kampf über zwölf Runden.

Schumacher täuschte links an und versuchte, Alonso rechts zu überlisten. Er stürmte erst wild auf seinen Rivalen los und versuchte dann, ihn sich geduldig zurechtzulegen. Doch was auch immer er versuchte - Alonso wankte, aber er fiel nicht.

Im Ziel reichten die beiden sich voller Anerkennung die Hände. Alonso hatte gesiegt, doch auch Schumacher durfte sich als Gewinner fühle. "Heute hat er uns wieder einmal daran erinnert, wie gut er ist", sagte Ross Brawn versonnen: "Wir machen oft Witze über sein Alter. Unglaublich, wie hungrig und eifrig er immer noch ist. Bei einem Rennfahrer wartet man immer darauf, dass er seinen Zenit überschreitet und schlechter wird. Bei Michael scheint es diesen Punkt nicht zu geben."

© SZ vom 26.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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