Formel 1:Wider die Gesetze der Physik

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BMW-Rennfahrer Robert Kubica übersteht den schweren Formel-1-Crash ohne einen Knochenbruch. Er hat sein Leben wohl den heutigen Sicherheitsbestimmungen zu verdanken.

René Hofmann

Robert Kubica ist ein besonnener, ruhiger, gläubiger Mann. Manche Rennfahrer lackieren sich ihren Spitznamen auf den Helm, Bilder von Freunden oder Fingerabdrücke ihrer Kinder. Robert Kubica, der im Dezember 1984 im polnischen Krakow zur Welt kam, hat sich einmal den Namen eines Papstes auf den Kopfschutz schreiben lassen: Johannes Paul II. In der Welt, in der er seit dem vergangenen Sommer mitmischt, ist das äußerst ungewöhnlich. Seit dem vergangenen Sommer ist Robert Kubica Formel-1-Pilot.

Rettungskräfte ziehen Robert Kubica aus seinem Wrack. (Foto: Foto: AP)

Ein Ort, an dem die Säkularisation weiter fortgeschritten ist, lässt sich kaum finden. Die Formel 1 ist extrem. In allem. Die spärlichst bekleideten Frauen lassen sich dort finden, die schnellsten Autos, die mutigsten Piloten. Die Formel 1 ist ein Hort des Hedonismus, an dem es mit dem Glauben an sich nicht weit her ist. Welche Flügel die Autos tragen müssen, wird penibel berechnet. Wie schnell sie um die Kurven biegen können, wird im Windkanal wieder und wieder ausprobiert. An übernatürliche Kräfte zu glauben, kann manchmal trotzdem ganz beruhigend sein.

Rettende Carbonzelle

An diesem Sonntag waren sie im Spiel. Robert Kubica überlebte einen Unfall, wie ihn die Rennserie schon lange nicht mehr hervorgebracht hatte. Dass er ihn wahrscheinlich auch noch ohne bleibende Schäden überstand, ist nach den bisher bekannten Gesetzen der Physik ein Wunder. In Runde 28 des Großen Preises von Kanada geriet Kubica mit seinem BMW-Sauber F1.07 neben die Strecke. Im Gerangel mit seinem Kollegen Jarno Trulli hatte er wahrscheinlich das rechte Hinterrad von dessen Toyota getroffen. Vielleicht war er auch bloß in einem ungünstigen Winkel auf einen Randstein geraten.

Auf jeden Fall hob sein Wagen ab. Ungebremst flog Robert Kubica annähernd im rechten Winkel gegen die wenige Meter entfernt stehende Begrenzungsmauer. Von dort prallte er zurück auf die Strecke, überschlug und drehte sich einmal, bevor er auf der anderen Seite der Piste gegen die Leitplanke schlug - immer noch schnell genug, um diese tief einzudrücken.

In der Kurvenfolge vor dem nördlichen Ende des Circuit Gilles-Villeneuve, in der sich der Unfall ereignete, treten die Piloten im siebten Gang das Gaspedal durch. Im Training hatte Robert Kubica dort rund 280 km/h erreicht. Die Kräfte, die wirken, wenn ein Körper bei einem Unfall mitgenommen wird, werden in g gemessen. Ein g entspricht der normalen Erdbeschleunigung.

Drei bis fünf wirken beim Start des Space Shuttle. In Deutschland sind in Achterbahnen maximal sechs g erlaubt. Ab acht drohen Schleudertrauma und Knochenbrüche. Bei Robert Kubicas Aufprall wirkten viel mehr g. Er war kurze Zeit bewusstlos. Die Kohlefaserzelle, in die sein Körper geschnallt war, war aufgebrochen. Beide Füße schauten heraus. Vom Rest des Autos blieb nicht viel mehr übrig als über mehrere hundert Meter verstreute Splitter. In Bruchteilen von Sekunden hatte sich der Rennwagen praktisch atomisiert.

Im ersten Moment sah es nicht gut aus für den Piloten. Robert Kubica bewegte sich nicht. Die Fernsehkameras, die sonst jedes Zucken in jedem Winkel der Strecke einfangen, schwenkten weg, wie sie es auch am 1. Mai 1994 getan hatten, in Imola, beim Unfall von Ayrton Senna - das letzte Mal, als ein Formel-1-Pilot bei einem Rennen starb. Bei dem Brasilianer hatte sich ein Teil der Radaufhängung durch den Helm gebohrt.

Horrorunfall überlebt: Robert Kubica kam mit einer Gehirnerschütterung davon. (Foto: Foto: dpa)

Robert Kubica hatte Glück. Sein Helm hielt. Die Sanitäter schälten ihn aus dem auf die rechte Seite gekippten Wrack. Bereits die erste Untersuchung im Schockraum an der Strecke ergab, dass Robert Kubica ohne innere Verletzungen davongekommen war. Er wurde mit dem Helikopter ins Hôpital du Sacré-Coeur in Montréal geflogen. Dort zeigte sich, dass auch kein Knochen gebrochen war. Robert Kubica hatte lediglich eine leichte Gehirnerschütterung erlitten. Nach einer Nacht zur Beobachtung sollte er bereits an diesem Montag entlassen werden.

"Sicherheitskragen" war bei Fahrern strittig

"Unglaublich'', fand das BMW-Sportchef Mario Theissen. "Beängstigend'', nannte Technikchef Willy Rampf den Einschlag. Seit Sennas Tod sind die Sicherheitsvorschriften sukzessive verschärft worden. Die Seitenwände der Cockpits wurden höher gezogen, die Beine der Fahrer mussten hinter die Vorderachse rücken, jede neue Konstruktion wird vor dem ersten Einsatz in Crashtests einmal frontal mit 15 Metern pro Sekunde gegen eine Wand gejagt, das Heck muss einem Einschlag mit elf Metern pro Sekunde standhalten.

Seit fünf Jahren werden die Cockpits zudem mit einer zwei Zentimeter dicken Schicht Schaum gepolstert, der bei einem Unfall schnell viel Energie absorbiert; am Cockpitrand muss die Schaumschicht zwischen siebeneinhalb und neun Zentimeter dick sein. Seit vier Jahren sind Halsmanschetten (HANS - Head and Neck Support System) vorgeschrieben, die das Herumschleudern des Kopfes verhindern. Viele Fahrer hatten sich ursprünglich gegen den Sicherheitskragen gewehrt. Am Sonntag sagte BMW-Teammanager Beat Zehnder: "Ohne den hätten wir heute womöglich Abschied nehmen müssen von Robert.''

Heidfelds zweiter Platz im Schatten

Der Crash ließ den ersten Sieg von McLaren-Pilot Lewis Hamilton in den Hintergrund treten und dämpfte die Freude über den zweiten Platz, den Nick Heidfeld errang. Der hatte den zerstörten Wagen seines BMW-Kollegen im Vorbeifahren gesehen und beim Schielen auf die Großbildleinwände an der Strecke erblickt, wie die Teammitglieder bei den Wiederholungen des Unfalls vor den Flachbildschirmen die Hände vor die Augen geschlagen hatten.

Kaum aus dem Auto geklettert, sagte er: "In den vergangenen Jahren haben wir extrem viel Glück gehabt. Wenn man mit mehr als 300 km/h und freistehenden Rädern Rennen fährt, kann immer etwas passieren. Es ist fantastisch, dass die Autos viel sicherer geworden sind. Ich hoffe, dass wir bei den Strecken auch auf diesem Kurs bleiben.'' Für die kommende Saison sind zwei Stadtrennen mehr geplant. In Valencia und in Singapur. Auch dort würden die Wände so bedrohlich nahe an die Autos rücken wie in Montréal.

© SZ vom 12.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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