Formel 1:Schumachers Jubiläumsfahrt

Lesezeit: 3 min

Von Elmar Brümmer

In der Formel 1 muss man mit allem rechnen. Mit 1500 Zündungen pro Sekunde, wenn das Tempo jenseits der 300 km/h liegt. Dann werden vom Motor gleichzeitig 550 Liter Luft angesaugt, 150 000 Daten vom Bordcomputer ermittelt, der Kolben legt 25 Meter zurück. Unvorstellbare Summen, die sich da im Laufe eines Rennens addieren. BMW-Williams kommuniziert auch gern die: etwa 1200 Liter Bleifrei pro Wochenende, 80 Liter Öl für die Motoren, 30 Liter fürs Getriebe und 3300 Liter Softdrinks für die Gäste. Ein Wust, manchmal auch ein Wahn an Ziffern, der zu einer Zahlenhörigkeit in der 900-PS-Branche führt.

Was viel zählt, muss was wert sein. Ferrari rechnet mit eher nüchternen Zahlen die Emotionen nach: Rennen, Pole-Positionen, Siege. Derzeit 690, 169, 171. Eine Frage der Ehre. Zu jedem Grand Prix kommt ein rotes Büchlein mit den aktuellen Quoten in Umlauf. Auch der ¸¸Schumi"-Faktor ist herauszulesen. Ist-Stand vor dem Großen Preis von Spanien: 199, 58, 74. Hochgerechnet haben die Kollegen vom kicker daher: ¸¸Schumi wird 200". Jedenfalls nach italienischer Lesart. Es gibt jedoch ein anderes rotes Buch, das den Formel-1-Statistikern als Offenbarung gilt. So schlicht der Titel (Grand-Prix-Guide), so mächtig sein Inhalt: 1224 Seiten mit Zahlenmaterial aller Großen Preise seit 1950. Dagegen sind die Scouts auf den Bundesliga-Tribünen, die Pässe nach linken und rechtem Fuß notieren, Waisenknaben. Es gibt so aufschlussreiche Ranglisten wie die aller 340 Piloten, die bisher nie einen WM-Punkt holten; die Aufzählung aller Weltmeister, die auch das erste Rennen einer Saison gewannen; die Gilde von Fahrern mit fünf und mehr Pole-Positionen am selben Ort oder die Anzahl der Rennen mit einem Schnitt jenseits der 220 km/h.

Chronist Jacques Deschenaux ist an diesem Wochenende der größte Gegner von Ferrari. Denn er zählt das Schumi-Jubiläum an, weil er anders auszählt: Er kommt auf 198 Rennen bisher. Das lässt am Weltmeister zweifeln - hat er nun oder hat er nicht? Eine entscheidende Frage in einer unbeständigen Disziplin, die sich wenigstens im Zahlenwerk nach Verlässlichkeit sehnt. Der große, kleine Unterschied resultiert aus dem Jahr 1996. Damals, als den Ferrari in etwa die Zuverlässigkeit eines Silberpfeils von heute quälte, rollte Schumacher beim Großen Preis von Frankreich schon in der Einführungsrunde vor dem Start mit Motorschaden aus. Deschenaux machte kategorisch einen Strich in seine Rechnung: nicht am Wettbewerb teilgenommen! Für ihn zählt ein Rennen erst, wenn die Start-Ampel aus ist.

Damit beginnt die Wortklauberei, denn in der Formel-1-Amtssprache Englisch gibt es einen feinen Unterschied zwischen participating (teilgenommen) und competing (am Wettkampf teilgenommen). Der Automobilweltverband FIA hält sich heraus. Für Ferrari-Teammanager Stefano Domenicali gibt es laut Regelbuch keinen Anlass zur Differenzierung: Hat ein Pilot einmal die weiße Start-Ziellinie überfahren (was der Rote zu Beginn der Aufwärmrunde noch schaffte), hat er am Großen Preis teilgenommen. Basta. Die Traditionalisten der Scuderia können kurz vor dem Dienstjubiläum auch schlecht zugeben, seit sechs Jahren falsch zu rechnen. Wer den Glauben an die Statistik verliert, kann nicht mehr an die Formel 1 glauben.

Schumacher kommt es auf das umstrittene Rennen ohnehin nicht an. Ausgerechnet der berechnendste aller Piloten kokettiert bei der Bilanzierung gern mit Pi mal Daumen: ¸¸200, das kommt mir von der reinen Zahl her gar nicht so viel vor. Vom Gefühl her würde ich denken, ich sei schon viel mehr Rennen gefahren. " Dabei hatte Bruce McLaren einst gewarnt: ¸¸100 Große Preise sind oft mehr als ein Menschenleben." Schumacher geht mit seinem 200. Grand Prix - ob in Barcelona oder in Monte Carlo - an Alain Prost (199 Rennen) vorbei und wird Mitglied in einem exklusiven Klub. Beim nächsten Rennen ist er gleichauf mit Jean Alesi. Noch in dieser Saison kann er Nelson Piquet (204), Andrea de Cesaris (208) und Gerhard Berger (210) überholen. Riccardo Patrese (256 Einsätze) wird er dagegen kaum noch abfangen können - es sei denn, er würde über 2006 hinaus verlängern.

Zahl-Meister Deschenaux könnte, was gerade im Trend ist, einen Fortsetzungsband auf den Markt bringen, in dem säuberlich nach Teilnehmern und Startern unterschieden wird. Und wenn er es wirklich ganz genau nehmen will, muss ein drittes Standardwerk auf den Markt: Alle Statistiken unter Betrachtung der Rennen, die neu gestartet werden mussten. Wie der Große Preis von Großbritannien 1999, bei dem Michael Schumacher sich das Schien- und Wadenbein brach und nach dem Abbruch nicht mehr zum zweiten Start antreten konnte. So gerechnet wird"s langsam kritisch mit den Feierlichkeiten. Man kann es natürlich auch so halten wie die Manager von Honda. Partnerteam BAR fragte im vergangenen Jahr höflich an, wie man den 250. Renneinsatz des Motorenlieferanten zu begehen gedenke. Knappe Antwort aus Tokio: ¸¸Wir feiern nur Siege, keine Teilnahmen." Das wäre auch dem Jubilar Schumacher wohl am liebsten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: