Formel 1 in den USA:Vorbild Frauenfußball 

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Amerika bleibt auf Abstand zur Formel 1. Die Zuschauerzahlen sind rückläufig, die TV-Quoten gering, und dann spielt auch noch das Wetter verrückt. Trotzdem: Es gibt Hoffnung.

Von Elmar Brümmer, Austin

Die Ausläufer des Wirbelsturms Patricia, dem stärksten jemals an der Pazifikküste gemessenen Hurrikans, haben das Zeug dazu, das Titelrennen in der Formel 1 zu beeinflussen. Zumindest herrscht rund um Austin eine Flutwarnung, der Wettermann im Fernsehen warnt Auswärtige davor, nicht mit dem Auto durch große Pfützen zu fahren - man könne nie wissen, wie tief das Schlagloch sei, es bestehe Gefahr, darin zu versinken. Das gilt zwar mehr für die Zufahrtswege zum Circuit of the Americas als für die Rennstrecke. Aber eilig sah sich der Veranstalter zu höchst sachlicher Aufklärung bemüßigt: "Die Formel ist für trockene und nasse Bedingungen geeignet." Das wegen des schweren Gewitters verschobene Nachmittagstraining am Freitag trug nicht gerade zur Beruhigung des geneigten Publikums bei. Ausnahmsweise werden Schirme erlaubt, und die Organisatoren versichern, dass sie für alle Eventualitäten gerüstet sind - inklusive eines Evakuierungsplans, falls in einem Radius von acht Meilen Blitzeinschläge registriert werden. Dann helfen auch die Ponchos an den Verkaufsständen nicht mehr.

Das Qualifying wird fünfmal verschoben, jetzt ist es am Sonntag

Am Samstagmorgen um vier ging die erste Flutwarnung raus, sechs Stunden vor dem Training. Das fand tatsächlich statt, als der Dauerregen etwas nachgelassen hatte. Allerdings ohne Zuschauer, die waren vom Veranstalter aus Sicherheitsgründen bis zwölf Uhr mittags ausgeschlossen worden - vor allem, weil die zu Parkplätzen umfunktionierten Viehweiden unter Wasser standen. Auf der Piste bewies Lewis Hamilton, der heute Abend beim Großen Preis der USA schon vorzeitig seinen Titel verteidigen kann, einmal mehr seinen Instinkt. Er fand genau den richtigen Zeitpunkt für die schnellste Runde. Dass alle 20 Autos trotz der widrigen Bedingungen auf dem Circuit of the Americas kreiselten, hat seine Bewandnis darin, dass diese Reihenfolge unter Umständen für die Startaufstellung hätte zählen können. Fünf Mal wurde anschließend das für 13 Uhr Ortszeit angesetzte Qualifying verschoben, als am späten Nachmittag immer noch keine Wetterbesserung absehbar war und die Dunkelheit drohte, wurde es endgültig auf den Sonntagmorgen (15 Uhr deutscher Zeit) verschoben.

An den Menschen in Austin liegt es nicht, sie haben die Formel 1 adoptiert

So ein Unwetter hat Bobby Epstein, der den Stars-and-Stripes-Grand-Prix im vierten Jahr vermarktet, gerade noch gefehlt. Er kämpft gegen die sinkenden Zuschauerzahlen an - 265.000 Besucher waren es bei der Premiere im Jahr 2012, dann nur 107.7878 im vergangenen Jahr. Im Vergleich zu einem Rennen in Europa immer noch viel, gemessen an der Größe der USA eher wenig. An den Menschen in Austin liegt es nicht, sie haben die Formel 1 sofort adoptiert, als ambitioniertes Showprogramm. Aber der Rest des Kontinents ist eben immer noch das Land von Indycars und Nascars. Und der Grand Prix im nicht weit entfernten Mexiko kommende Woche dürfte ohnehin zusätzliche Fans gekostet haben.

Dass es im kommenden Jahr mit dem Rennstall von Gene Haas seit fast vier Jahrzehnten wieder ein nordamerikanisches Team geben wird und dass in Austin mit Alexander Rossi (beim Hinterbänkler Manor) nach acht Jahren auch wieder ein US-Amerikaner am Start ist, mag ja nett und vielversprechend sein. Doch selbst Geschäftsmann Haas weiß: "Wir sind ein bisschen wie die Fußball-Nationalmannschaft der Frauen, von der bekommt man auch erst etwas mit, wenn sie irgendwo auf der Welt einen Erfolg feiern. Ich hoffe, dass wir auf ähnliche Art bekannt werden."

So lange kann Epstein nicht warten, der in seiner Euphorie sogar bis zu sechs Rennen in Nordamerika für möglich hält (bisher sind es drei in dieser Zeitzone): "Dann wird das zur Gewohnheit bei den Fans." Die Fernsehquoten bei NBC, immerhin einem der flächendeckenden Sender in den USA, liegen im Schnitt bei 535.000 Zuschauern - was vergleichsweise verschwindend ist. Das hängt aber auch mit den häufig unchristlichen Übertragungszeiten zusammen oder den zeitversetzten Berichten. Epstein weiß: "Momentan ist es so, dass sie morgens aufwachen und häufig schon die Rennresultate aus aller Welt auf dem Smartphone haben, wieso sollten sie dann noch Fernsehgucken. Das ist ja, als ob man ins Kino geht und den Schluss des Films schon kennt."

Ecclestone lästert in Russland über die USA

Für Formel-1-Geschäftsführer Bernie Ecclestone ist Austin schon der zweite Anlauf in diesem Jahrtausend, um seine Serie in den USA Fuß fassen zu lassen - weil insbesondere Mercedes und Ferrari großen Wert auf die Präsenz auf dem wichtigen Absatzmarkt legen. Aber der Brite, der nächste Woche 85 Jahre alt wird, sympathisiert lieber mit Vladimir Putin. Dem russischen Fernsehen gab er kürzlich voller Genuss ein Propaganda-Interview: "Was Amerika angeht, bin ich nicht sehr enthusiastisch. Das größte Problem ist, dass die Amerikaner glauben, die stärkste Macht auf der Welt zu sein, aber es nicht wirklich sind. Sie sind eher isoliert, eine große Insel, und sie lernen nur langsam, was andere Menschen auf der Welt tun." Wie ein herzliches Grußwort klingt das nicht.

Dabei machen sie in Texas vieles anders und vieles besser als anderswo an den Rennstrecken dieser Welt. Damit sich die Zuschauer- und Pick-Up-Masse am Sonntag bei der Abreise besser verteilt, sitzt nach dem Rennen Elton John am Piano. Und um Austins guten Ruf als "grüne Stadt" auch draußen im ehemaligen Brachland zu verteidigen, wurden sechs Millionen Honigbienen auf dem riesigen Gelände angesiedelt. Die Mülltrennung auf den Zuschauerrängen ist Pflicht - ungefähr 50 Tonnen Abfälle können so recycelt werden. Der Werbespruch scheint zu stimmen: Diese Stadt ist wirklich zu schön, um in Texas zu sein. Außer, es ist gerade Hurricane-Season.

© SZ vom 25.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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