Formel-1-Finale:Lieber mal nachprüfen

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Geplatzte Reifen, leere Tanks, abgestellte Autos - das Saisonfinale in der Formel 1 war oft turbulent.

René Hofmann

Die Gewichtheber waren stark damals, im Herbst 1986, als die Formel1 zuletzt ein Finale mit drei Titelkandidaten produzierte. Nach 15Rennen reist der Brite Nigel Mansell mit 70 Punkten zum Stadtrennen nach Adelaide. Sein Williams-Kollege Nelson Piquet kommt auf 63, McLaren-Fahrer Alain Prost auf 64 Zähler. Eigentlich ist es eine klare Angelegenheit, auch, weil der beliebte Mansell auf der Pole-Position steht. Den "Löwen'' nennen sie ihn, weil er oft bis an den Rand der Ohnmacht kämpft. Das kommt an im Königreich. Mansell kann dessen erster Weltmeister werden seit 1976 James Hunt. Aber dem, darüber wird gleich noch zu reden sein, fiel der Triumph in einem kuriosen Finale eher wie ein Lottogewinn zu. 63Runden lang ist Mansell Meister. Er liegt auf Rang drei und hat mehr als eine Runde Vorsprung. Dann überschlagen sich die Ereignisse.

Lewis Hamilton inspiziert erst einmal die Strecke. (Foto: Foto: dpa)

Am McLaren des Führenden Keke Rosberg platzt ein Reifen. Hektische Diskussionen beginnen. Waren die Prognosen von Reifen-Lieferant Goodyear, 82 Runden mit einem Pneu-Satz drehen zu können, zu gewagt? Mansell hat genug Vorsprung für einen Stopp. Aber sein Team zaudert zu lange. Es kommt zum großen Knall. Bei Tempo 300 platzt der rechte Hinterreifen. Dass Mansell das Auto noch abfangen kann, gleicht einem Wunder. Aufgeschreckt beordert das Williams-Team Piquet zum Reifenwechsel. Das bringt Prost in Front. Dessen Tankanzeige leuchtet rot. Mit dem letzten Tropfen Sprit schafft er es ins Ziel. Überschäumende Freude aber will nicht aufkommen. Ein paar Wochen zuvor war sein Bruder gestorben.

Er begann, als in der Qualifikation plötzlich Regen einsetzte. Damals mussten die Piloten noch nach der Reihenfolge des vorangegangenen Grand Prix zum Einzelzeitfahren antreten. Auf der feuchten Piste hatte Schumacher keine Chance. Er durfte bloß als Vierzehnter an den Start. Im Mittelfeldgetümmel bekam er einen Schlag ab, sein Frontflügel brach. Nachdem er ihn hatte wechseln lassen, war er Letzter. Auf dem Weg nach vorne geriet er einmal sogar mit seinem Bruder aneinander. Schumacher musste all sein Können zeigen, Achter werden oder hoffen, dass sein Teamkollege Rubens Barrichello Räikkönen im McLaren niederhalten würde. Als Barrichello zum Reifenwechsel abbog, war Räikkönen für eine Runde Weltmeister. Am Ende durfte er den Titel aber doch nicht in Empfang nehmen, weil Barrichellos Auto hielt und Schumacher wie ein Teufel auf Platz acht zu einem Punkt jagte. "Das", gab er nachher zu, "war eines meiner härtesten Rennen." Die Mühen gingen etwas unter in dem Jubel darüber, dass es der historische sechste Titel für ihn war.

Wie einer zu Ruhm und Ehre kam, verblasst in der Rückschau oft. Auch bei James Hunt war das so. Sechs Siege waren ihm für McLaren geglückt 1976, bevor es zum Finale nach Fuji ging. Viel wurde trotzdem nicht über Hunt gesprochen. Die Menschen sprachen über Niki Lauda, den Titelverteidiger, der auf dem Nürburgring in Flammen aufgegangen war, dem Tod auf der Schippe herumtanzte, sechs Wochen später auf der ebenfalls halsbrecherischen Piste in Monza ein Comeback gab, Vierter wurde und als Tabellenführer mit drei Punkten Vorsprung zur entscheidenden Rundfahrt kam. Lauda fuhr Ferrari. Am Rennsonntag hing dichter Nebel über dem Mount Fuji. Es regnete, wie es selten an einem 24. Oktober dort regnet. Lauda fragte Hunt: "Wie wichtig ist dir dieser Titel?'" "Sehr wichtig", gab Hunt zurück: "Die Chance kommt vielleicht nie wieder. Wenn ich gewinne, kann ich jederzeit aufhören und muss mein Leben nicht mehr aufs Spiel setzten." - "Das", entgegnete Lauda, "ist ein gefährlicher Gedanke. Im Motorsport sollte man sich nie unter Druck setzen. Schau mich an: Ich höre auf, wann immer ich will."

Triumph und Desaster sind Geschwister. Und: Wenn es eng wird am Ende einer Saison, dann wird es oft auch turbulent - das zeigt die Formel-1-Historie. Kimi Räikkönen, der an diesem Sonntag mit 100 Punkten als Außenseiter hinter Fernando Alonso (103) und Lewis Hamilton (107) ins entscheidende Rennen geht, weiß das. Er war schon einmal an einem dramatischen Finale beteiligt. Wenn auch bloß als Randfigur. 2003 war das, in Suzuka/Japan. Wie so oft spielte Michael Schumacher dort die Hauptrolle.

1994 hatte er sich in Adelaide im letzten Lauf gegen Damon Hill zum Titel gerempelt, 1997 missglückte der gleiche Versuch in Jerez gegen Jacques Villeneuve. Beide Aktionen hatten für viel Aufregung gesorgt. Sein Streich 2003 aber war im Grunde noch außergewöhnlicher. Schumacher hatte mit seinem Ferrari die Saison dominiert. Beim finalen Auftritt brauchte er nur noch einen Punkt zu holen. Es wurde ein zäher Kampf.

Auch Hunt hielt es für fragwürdig, in dem Regen ein Rennen zu fahren. "Wir können auch Backgammon um den Titel spielen", soll er vorgeschlagen haben. Davon aber war Formel-1-Impresario Bernie Ecclestone gar nicht angetan. Um die Antrittsgage nicht zu verlieren, drängte er die Piloten zum Start. Lauda spielte zwei Runden lang mit. Dann stellte er sein Auto ab, mit den Worten: "Ich bin kein Selbstmörder." Den Vorschlag, Enzo Ferrari einzuflüstern, eine Panne habe ihn niedergestreckt, wies er zurück. Er ahnte, dass der Alte ihn durchschauen würde. Noch während das Rennen lief, verließ Lauda die Rennstrecke. Am Flughafen von Tokio erfuhr er, dass Hunt Weltmeister geworden war - mit einem Punkt Vorsprung.

Es kann eng werden, wenn Könner sich treffen. 1984 trennte die beiden McLaren-Fahrer Lauda und Prost nach mehr als viereinhalbtausend Rennkilometern gerade einmal ein halber Punkt. 1959 gewann Jack Brabham die Krone in Sebring in den USA, indem er seinen Cooper, dem 800 Meter vor dem Ziel das Benzin ausgegangen war, über die Linie schob. 1956 triumphierte Juan-Manuel Fangio, obwohl sein Ferrari beim Finale in Monza mit einer gebrochenen Lenkung liegenblieb. Fangios Teamkollege Peter Collins, selbst mit Titelchancen unterwegs, überließ dem Routinier mitten in der Wettfahrt sein Gefährt. Er sei noch jung, rechtfertigte Collins die bemerkenswerte Geste, er könne noch oft Champion werden. Fangio setzte die Hatz im geliehenen Wagen fort und triumphierte zum vierten Mal. Im Jahr darauf holte er Titel Nummer fünf. Peter Collins, der edle Brite, sollte nie Weltmeister werden.

Die Vorzeichen stimmen, die Chancen stehen gut, dass Lewis Hamilton, Fernando Alonso und Kimi Räikkönen ein feines Schauspiel hervorbringen an diesem Sonntag, eines, das weltweit für mächtige Schlagzeilen sorgt. Vor 21 Jahren, als sich Mansell, Prost und Piquet duellierten, war das noch ein wenig anders. Am Montag nach dem Nerven aufreibenden Finale in Adelaide zeigte das größte Bild im Sportteil der Süddeutschen Zeitung die "bundesdeutschen Parade-Gewichtheber Zawieja, Nerlinger und Immensberger". Sie hatten bei den nationalen Titelkämpfen Rekorde aufgestellt.

© SZ vom 20.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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