Formel Eins:Tiefer gelegte Erwartungen

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Weltmeister Michael Schumacher und Ferrari reden kurz vor Beginn der Saison ihre Chancen schlecht.

Von Elmar Brümmer

Melbourne - Einen besseren Ort als das Alte Rathaus der Stadt hätte sich der Schmierstofflieferant des Ferrari-Teams nicht aussuchen können, um den widersprüchlichen Ist-Zustand beim Titelverteidiger der Formel 1 zu demonstrieren.

Stapelt kurz vor Saisonbeginn lieber tief - Weltmeister Michael Schumacher. (Foto: Foto: AP)

Zunächst war's schummrig, als Michael Schumacher und Rubens Barrichello im Foyer des historischen Gebäudes konzentriert ihre Chancen für den Saisonstart schlecht redeten, anschließend gaben sie bei der öffentlichen Jubelarie auf dem Balkon der Town Hall die zur Genüge bekannten Strahlemänner.

Tribunal in Tarnkappe

Die wahre Gefühlslage bei Ferrari ist so indifferent wie die Melbourner Präsentation. Kein Team verkörpert die Ungewissheit darüber, wie sich die neuen sportlichen Rahmenbedingungen in der am Sonntag (4.00 Uhr MEZ, live bei RTL und Premiere) beginnenden Saison auswirken werden, so intensiv wie die Scuderia. Perfektion - selbst im Zweifel.

Wer weiß schon, ob das Auto so schlecht ist oder der Bluff so groß? Was als Podiumsgespräch getarnt war, geriet vor der staunenden Schar der australischen Fragesteller zum Tribunal. Der Weltmeister, schuldig in allen Punkten der Anklage.

Nachteil durch Übergangsauto

Ist es ein Nachteil, dass Ferrari die ersten Rennen mit einem Übergangsauto bestreitet? " Ja, das wird uns hier ein bisschen weiter zurückwerfen." Heißt das, dass Sie sich weniger Chancen auf einen Sieg hier ausrechnen? "Ja, das heißt es. Aber eine Weltmeisterschaft gewinnt man nicht im ersten Rennen." Wird es schwieriger, den Titel zu verteidigen?

"Die anderen haben aus ihren Fehlern gelernt. Es wird ein harter Kampf in diesem Jahr." Mögen Sie die neuen Regeln? "Ich hege gemischte Gefühle. Der Spaß ist geringer als ich gedacht habe."

Daran, dass nach sieben Weltmeistertiteln, fünf davon in Serie mit Ferrari, eine neue Situation eingetreten ist, der Rennstall seine Favoritenrolle relativiert, muss sich die Formel 1 erst gewöhnen. Ferrari ist bereit fürs Titelrennen, aber vor dem Saisonstart noch nicht fertig. Gerade hatte Schumacher in der Zeit gestanden, ein großer Zweifler zu sein.

"Ich zerfleische mich nicht"

Eine Eigenschaft, die für das seit Jahren am besten vorbereitete Team und seinen Champion zum Selbstschutz gehört: "Ich hinterfrage mich ständig. Allerdings treibe ich es nicht zu weit. Ich zerfleische mich nicht mit diesen Gedanken. Ich weiß, wann Zweifel aufhören muss."

Der konzentrierte Blick in den Rückspiegel, in dem der Gejagte vor allem Renault und McLaren-Mercedes heranbrausen sieht, gehört daher ebenso zur Strategie wie die Entscheidung, zumindest in den ersten beiden Rennen noch ein Interimsauto mit der Bezeichnung modificato einzusetzen.

Bei so viel Ungewissheit geht es zu Beginn der Rennsaison zuerst ums Ankommen. Schumachers Kalkulation steht: "Wir müssen in den ersten beiden Rennen leiden, aber dann bleiben uns noch 17, um aufzuholen."

Spiel auf Zeit

Womöglich aber ist diese Strategie das größere Risiko, da die gesamte Konkurrenz gleich in Melbourne in ihren Neukonstruktionen an den Start geht. Auf Zeit spielen - auch das gehört zur tiefer gelegten Erwartungshaltung bei Ferrari.

Entscheidend wird sein, wie groß der Druck von außen wird, wenn die sportliche Bilanz wirklich so bitter werden sollte, wie die Beteiligten befürchten. Dann könnte Ferrari gezwungen sein, schon beim dritten WM-Lauf in Bahrain anstatt erst beim fünften in Barcelona (die Zweier-Sprünge erzwingt das neue Motorenreglement) den Neuwagen zu präsentieren.

Der oberste Ferrari-Lenker, Luca di Montezemolo, garnierte seine jüngste Rede zur Lage des italienischen Rennstalls passend zum Motto "Zeit für Glauben und Optimismus" mit einer Fürbitte für den Papst. Ob sich die Scuderia mit ihrer Doppelstrategie ähnlich übernimmt wie im Vorjahr McLaren-Mercedes? Montezemolo: "Ich wurde gefragt, wer Ferrari schlagen wird. Ich hoffe, dass die Antwort Ferrari ist."

Wachablösung

Damit ist die Saison 2005 endgültig zum Rennen alle gegen einen geworden. Ob Jenson Button, Juan-Pablo Montoya, Fernando Alonso oder Mark Webber - die Konkurrenz definiert sich zunächst darüber, Michael Schumacher in die Niederlage zu treiben.

Erst wollen sie eine Trendwende, am Ende aber die Wachablösung erzwingen. Ferrari mag es dabei zum Nachteil geraten, dass ihr Reifenausrüster Bridgestone nur ein Viertel der Testerfahrung hat wie der die komplette Konkurrenz beliefernde Rivale Michelin. Andererseits aber sind die feuerroten Spielmobile aus Maranello - unabhängig von den vielen Motorschäden im Testwinter - seit Jahren Spitzenreiter in der Zuverlässigkeitswertung.

Von den letzten 100 WM-Läufen hat Michael Schumacher 50 gewonnen, nun geht er in die Saison unter der gleichen Devise wie so oft: "Wir sind jedes Jahr darauf vorbereitet, dass die Serie reißt. Aber wir versuchen, diesen Zeitpunkt hinauszuschieben."

© SZ vom 03.03.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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