Flügelflitzer:Unsterbliche Verlierer

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Immer wieder wird Sportlern eine grausame Ehre zuteil: Sie werden weltberühmt - weil sie versagt haben.

Lars Spannagel

Der Matchball, der Homerun, das Tor, der Rekord: Jeder Profisportler träumt von diesem einen Moment, in dem das Publikum aufschreit und die Blitze der Kameras gewittern. Der Moment, der ihm zur Unsterblichkeit verhilft. Von dem er seinen Enkeln gar nicht erzählen muss, weil sie ihn von den ungezählten Wiederholungen im Fernsehen kennen.

Kevin Curren war 1985 auf dem Höhepunkt seiner Karriere - leider startete Boris Becker gerade seine eigene. (Foto: Foto: Reuters)

Wie es der Sport so will, muss es immer auch jemanden geben, der den Matchball nicht abwehren kann, der den Pitch zum Homerun wirft, der den Ball aus dem Netz holt. Auch diese Sportler werden unsterblich, allerdings ungewollt. Ihre Namen sind auf immer mit den Heldentaten eines anderen verknüpft.

Mike Bacsik, 29, ist seit kurzem Teil der Sportgeschichte. Er hatte das Pech, dem Baseball-Superstar Barry Bonds jenen Ball zuzuwerfen, den dieser zum 756. Homerun seiner Karriere ins Publikum drosch. Während Feuerwerk über dem Spielfeld explodierte, Jubel durch das Stadion toste und der neue Rekordhalter Bonds historisch-trabend die Bases umrundete, stand Mike Bacsik mit gesenktem Haupt auf dem Werferhügel. Nach dem Spiel sagte er: "Als Kind habe ich von so etwas geträumt. Aber im Traum war ich derjenige, der den Homerun schlägt."

Mike Bacsik teilt das Schicksal des historischen Verlierers mit einer ganzen Reihe von Leidensgenossen. Wer den Namen Kevin Curren hört, assoziiert sofort Boris Beckers ersten Wimbledon-Triumph 1985. Niemand weiß heute mehr, dass Curren auf dem Weg ins Finale den jungen Stefan Edberg, den damaligen Weltranglistenersten John McEnroe und Jimmy Connors schlug - alle drei ohne Satzverlust; Connors war beim 2:6, 2:6, 1:6 im Halbfinale völlig chancenlos.

Sergio Goycochea fuhr 1990 als zweiter Torhüter der argentinischen Nationalmannschaft zur Fußball-WM nach Italien. Nach der Verletzung des Stammtorwarts Nery Pumpido machte er sich zum Helden, als er im Viertelfinale und im Halbfinale je zwei Elfmeter hielt und Argentinien ins Finale brachte. Der Rest ist bekannt: Völler fällt, Brehme tritt an, Goycochea kommt nicht ran, Maradona weint, Franz Beckenbauer schlendert über den Rasen des römischen Olympiastadions.

Schlimmer als diese beiden hat es wohl nur noch Craig Ehlo erwischt. Der amerikanische Basketballer musste in seiner Karriere immer wieder Michael Jordan verteidigen. 1989 trafen die favorisierten Cleveland Cavaliers mit Ehlo in den Playoffs auf die Chicago Bulls um Jordan. Im fünften und entscheidenden Spiel gelang dem Basketballarbeiter Ehlo 3,2 Sekunden vor dem Ende die 100:99-Führung für Cleveland.

Die nächste Szene hat sich so sehr ins kollektive Basketballgedächtnis eingeprägt, dass sie heute schlicht "The Shot" genannt wird. Jordan bekommt den Ball, Ehlo klebt an ihm, beide springen hoch - und während Ehlo wie ein Normalsterblicher landet, steht "Air" Jordan in der Luft und schwebt weiter und weiter und wirft und trifft und Ehlo bricht am Spielfeldrand zusammen und Jordan scheint beim Jubeln zu explodieren. Auf den Postern von Jordans Triumph ist ein Häufchen Ehlo am linken Bildrand zu erkennen.

Mike Bacsik musste nach dem von ihm verschuldeten Homerun-Rekord Interviews geben. "Damit sich die Leute an einen erinnern, muss man ein besonderer Spieler gewesen sein", sagte Bacsik, "oder man war Teil eines besonderen Moments." Er schien gar nicht so unglücklich zu sein.

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