Ferrari unter Druck:Alarmrot

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Ein Drittel der Saison ist vorbei und für Ferrari steht noch kein Sieg zu Buche. Vor dem Rennen in Montreal lastet großer Druck auf Sebastian Vettel. (Foto: Andre Pichette/AFP)

Das Team von Sebastian Vettel wartet weiter auf den ersten Saisonsieg. Während der Deutsche beschwichtigt, muss sein Teamchef um den Job bangen.

Von Elmar Brümmer, Montreal

Rosa war nur das Papier, schwarz die Botschaft. "Sebastian Vettel nimmt die Schuld auf sich, aber die Probleme liegen tiefer", befand die ansonsten eher Ferrari-verliebte Gazzetta dello Sport über den Auftritt des italienischen Formel-1-Rennstalls in Monte Carlo. Der Deutsche war Vierter geworden, zum ersten Mal in diesem Jahr stand kein Fahrer im roten Overall auf dem Podium.

Beim Großen Preis von Kanada an diesem Wochenende in Montreal beginnt eine entscheidende Phase der längsten Saison in der Grand-Prix-Geschichte, mit sechs WM-Läufen innerhalb von sieben Wochen. Das erste Drittel des Rennjahres geht am Sonntag (20 Uhr MESZ) zu Ende, und es findet sich in der Statistik unter der Rubrik Siege bei Ferrari eine Null. Gemäß dem Temperament der Ferraristi wird die weder in Rosa noch in Schwarz gemalt, sondern in Rot. Alarmrot.

In Montreal versucht Ferrari es mit neuem Motor

Es hat nichts mit der Herkunft des nach jedem Sieg der Konkurrenz schlechter gelaunten Fiat-Konzernvorsitzenden Sergio Marchionne zu tun, dass in Montreal der Ferrari-Motor renoviert wird. Der Einsatz des neuen Turboladers macht Sinn, weil der Circuit de Gilles Villeneuve eine anspruchsvolle Power-Strecke ist. Die Konkurrenz, zu der neben Tabellenführer Mercedes neuerdings auch Red Bull Racing zählt, sichert die Standfestigkeit ab, Ferrari muss nachlegen. Mit neuer Technik sollen Vettel und Kimi Räikkönen länger mit maximaler Leistung fahren können - und beim Aufladen weniger an Kraft verlieren. Eine verspätete Frühjahrskur.

Der Rückstand auf Mercedes in der Konstrukteurs-WM beträgt bereits 67 Punkte, der von Vettel auf Rosberg 46 Zähler. Trotzdem übt sich Sebastian Vettel in Optimismus, und er will auch den Titel nicht abschreiben: "Es gibt keinen Grund zur Panik. Unser Auto ist schnell, alles in allem ist nichts falsch. Im letzten Jahr hätte ich damit die Weltmeisterschaft gewonnen... Ich glaube, wir liegen vom Tempo her noch vor Red Bull."

Vor ein paar Wochen glaubte der Heppenheimer allerdings auch nicht, dass sein ehemaliges Team ein ernsthafter Rivale um Siege sein würde. Wäre Daniel Ricciardo nicht durch einen ruinierten Boxenstopp zurückgeworfen worden, stünden jetzt schon zwei Triumphe für ihn zu Buche. Mehr noch als für den neuen Herausforderer Red Bull, der beweisen muss, dass er Mercedes auch auf einer schnellen Piste Paroli bieten kann, wird Montreal vor allem für Ferrari ein Rennen der Wahrheit. Noch haben sie Hoffnung, dass endlich mal alles normal läuft. Aber waren es bisher wirklich nur die widrigen Umstände? Oder ist da ein Fehler im Ferrari-System?

"Wir sind nicht so schlecht, wie wir gemacht werden", sagt Vettel

"Wir wissen, was schiefgelaufen ist, und wir suchen auch keine Ausreden. Trotzdem kann ich nicht nachvollziehen, wie die Dinge aufgebauscht werden. Ich sehe das nicht so dramatisch. Wir sind nicht so schlecht, wie wir gemacht werden", sagt Vettel. Der Aufschwung bei Renault und die gesteigerte Aufmerksamkeit von Mercedes gegenüber den Gegnern machen es nicht gerade leichter für die geplanten Ferrari-Attacken. Deshalb ist es so bedeutsam, in Montreal ein starkes Ergebnis einzufahren. Auch in eigener Sache verkündet Teamchef Arrivabene: "Es liegt nicht in den Genen von Ferrari, aufzugeben. Wir müssen nur die Schwachstellen ausmerzen."

Sebastian Vettel bleibt zuversichtlich: "Wenn ich mir den Speed der Autos anschaue, bin ich mir sicher, dass wir immer noch der erste Verfolger von Mercedes sind." Vettel spricht von einem nötigen Schritt, der gemacht werden musste: "Wir haben aggressiv versucht, die Lücke zu Mercedes zu schließen. Dafür haben wir auch einen Preis bezahlt." Ein beschwichtigender Vettel, das macht einen stutzig, mitten in einer erklärten Aufholjagd. Und das zeigt nur, dass es ein paar mehr Baustellen in Maranello gibt, als man nach dem famosen Regenerationsjahr 2015 mit drei Siegen für die komplett neu formierte Mannschaft geglaubt oder gehofft hatte. Dementsprechend groß ist der Druck.

Arrivabene vermutet einen Komplott von außen

Schon seit ein paar Wochen muss sich Teamchef Maurizio Arrivabene regelmäßig fragen lassen, ob sein Job noch sicher ist. Der Mann aus den Dolomiten schmettert das als Versuch ab, "von außen Unruhe in unser Team zu bringen", aber er ist dünnhäutiger geworden. Denn da ist Unruhe in Italien. Der Motor, auf den man so große Hoffnungen gesetzt hat, bekommt erst jetzt die richtige Stärke. Das Auto ordentlich, aber nicht ausbalanciert genug. Und vermutlich nicht so ausbaufähig wie der Wunderwagen von Red Bull.

Ferrari muss, weil es mal hier technisch am Chassis zwickt und mal dort drückt, an vielen Enden Kompromisse eingehen. Das hat samstags in der Qualifikation schon viele gute Startplätze gekostet. Die Rennform ist meistens deutlich besser, aber oft ist dann der Weg zurück nach vorn verbaut, wie Vettel zuletzt wieder erfahren musste. Selbst mit einer aggressiven Taktik ging es nicht weiter voran. "Wir haben unsere Lektion gelernt und die Probleme erkannt, für die wir bezahlen mussten", sagt Arrivabene. Fahrwerk und Aerodynamik heißen die Baustellen, auch das Reifenmanagement macht beim SF 16-H Probleme.

Schon gibt es Gerüchte, dass die Headhunter der Scuderia beim kleinen Team von Toro Rosso wildern und den talentierten Designer James Key abwerben wollen. Der letzte namhafte Zugang war Renningenieur Jock Clear, der von Mercedes kam. Der beteuert, ähnlich wie Vettel, dass die Lücke auf die Silberpfeile im Schnitt deutlich kleiner geworden sei. "Es ist nur eine Frage wann sich die Leistungskurven von Ferrari und Mercedes überschneiden werden", behauptet Clear. Man besitze großes Potenzial, habe es eben nur noch nicht geschafft, dieses auf der Rennstrecke unter Beweis zu stellen: "Aber darauf kommt es in unserem Sport eben an." Der Erfolgsdruck hat Turbo-Dimensionen angenommen.

© SZ vom 12.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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