Federer in Halle:Über den Dingen

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Roger Federer aus der Schweiz gewinnt sein Halbfinale gegen den Kroaten Karlovic und steht im Finale des Tennisturniers von Halle. (Foto: Maja Hitij/dpa)

Der Schweizer steht zum zehnten Mal im Finale von Halle/Westfalen. Seine Souveränität und seine Beliebtheit sind beispiellos - daran ändert auch Boris Becker nichts.

Von Gerald Kleffmann, Halle/Westfalen

Mitte dieser Woche trafen sich wichtige Sponsoren des ATP-Tennisturniers in Halle zu einem gepflegten Beisammensein, und natürlich hofften die Veranstalter auf einen hochkarätigen Gast, den sie mitbringen konnten. Der Wunschkandidat Nummer eins hatte leider am späten Nachmittag noch ein Match zu bestreiten, und trotzdem fragte man bei diesem höflich an. Roger Federer sagte, völlig entspannt: Klar, wann soll ich bereit sein? Schließlich einigte man sich noch darauf, dass der Schweizer rund eine halbe Stunde bleibe bei diesem Businesstermin. Jeder hätte verstanden, wenn sich der 33-Jährige aus Basel später entschuldigen würde. Er war ja zum Tennisspielen hier, er will sich auf Wimbledon einstimmen. Federer plauderte nett, aß mit, trank etwas. So vergingen fast zwei Stunden, ehe er vergnügt aufbrach.

Es hat schon seine Gründe, dass sie in Westfalen an diesem eher beschaulichen Ort zwischen Osnabrück und Paderborn ganz besonders gut auf diesen globalen Ausnahmesportler zu sprechen sind. Was sie im Übrigen recht anschaulich zum Ausdruck bringen. Vom benachbarten Edelhotel der Gerry Weber Open führt eine Straße weg, die "Roger-Federer-Allee" heißt, einstimmig von der Gemeinde vor Jahren abgesegnet, "sogar die Grünen waren dafür", sagt ein Insider. "Nicht mal in der Schweiz hat er eine eigene Straße", sagt Ralf Weber, der Turnierdirektor und Sohn des Turniergründers Gerhard Weber. Stolz klingt in der Stimme.

"Er hat von hier aus seine Wimbledon-Karrierre auf den Weg gebracht"

Das, was sie in Halle hinbekommen haben, ist aber auch wahrlich bemerkenswert. Zwischen der Veranstaltung und Federer herrscht eine Symbiose, die beiden Seiten hilft. "Er hat von hier aus im Grunde auch seine einzigartige Wimbledon-Karriere auf den Weg gebracht", sagt Ralf Weber. In Halle wird auf dem gleichen Rasen wie beim berühmtesten Gras-Turnier der Welt gespielt, die Laufwege sind extrem kurz, das Dach über dem Center Court gibt Spielsicherheit. Am Samstag etwa kam es in Queen's, dem Parallelturnier in London, zu erheblichen Verzögerungen wegen Regens, in Halle konnte alles genau nach Zeitplan durchgeführt werden.

So etwas schätzt Federer, und es war definitiv ein cleverer Schachzug von ihm, der so viel Wert auf eine ideale Wimbledon-Vorbereitung legt, den ihm angebotenen "Life-Time-Contract" abzuschließen. Er wird, solange er Profi ist, in Halle teilnehmen - dort wiederum können sie mit dem Branchenriesen werben und Zuschauer, Medien und Geldgeber anlocken. Wie sehr sich diese Liaison bewährt, zeigt sich auch 2015 wieder. Federer steht nach einem knappen 7:6 (3), 7:6 (4)-Sieg am Samstagnachmittag gegen den Aufschlagspezialisten Ivo Karlovic aus Kroatien zum zehnten Mal im Endspiel; sieben Mal gewann er bereits - genau so oft wie in Wimbledon. Im Finale trifft er auf den Südtiroler Andreas Seppi. Sein Gegner Kei Nishikori (Japan) gab beim Stand von 1:4 wegen Beschwerden auf.

Routiniert kontert er Becker und setzt sich auch von Ana Ivanovic ab

Als Boris Becker, einer von zwei Trainern des Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic, zu Wochenbeginn einige, sagen wir, mutige Äußerungen in Richtung Federer von sich gab und etwa in den Raum stellte, der könne gar nicht immer so nett sein, der unterdrücke auch manche schlechtere Eigenschaften, da war die Tenniswelt natürlich kurz in Aufregung. Der Maestro blieb aber ganz der Maestro, gab dem 47-jährigen Deutschen höflich und doch deutlich Kontra, versehen mit der süffisanten Spitze, er betrachte Becker weniger als Djokovics Trainer, sondern eher als das Idol, das er mal für ihn darstellte - man beachte: Er sprach in der Vergangenheitsform. Dieser Return saß, aber Federer beließ es dann auch dabei. Er steht schon über den Dingen, und diese Souveränität verleiht ihm eben diese weltweit bewunderte Aura.

Aus der Nähe betrachtet, ist er - obwohl so viele an ihm zerren - einfach nur ein höflicher, intelligenter Mensch, umgänglich, freundlich und in keiner Weise aufgesetzt wirkend. Seine Geduld ist preisverdächtig, denn Woche für Woche muss er ja im Grunde das gleiche erzählen, seine Gedanken zu seinen Taktiken und Strategien werden in Wimbledon ab übernächstem Montag nicht anders sein als die in Halle. Und er hat Courage, auch mal kleine Situationen eigenverantwortlich zu moderieren. In Paris bei den French Open ging bei einer Frage an Ana Ivanovic bezüglich Bastian Schweinsteiger ein Aufpasser im Interviewraum dazwischen und rief wirsch: "Next question!" Die Serbin, durchaus charmant, verfolgte das Schauspiel regungslos. Als Federer seinerseits bei einer Fragerunde auf Schweizerdeutsch von einem deutschen Reporter auf Hochdeutsch angesprochen wurde und hier ein Aufpasser der Turnierorganisation dazwischen gehen wollte, hob Federer die Hand und sagte: Ist okay, ist ein deutscher Journalist, ich antworte ihm.

Diese vermeintlichen Kleinigkeiten sind es, die sich Federers Umwelt gerne positiv merkt. Wobei man bei aller Sympathie, die ihm zuteil wird, nicht vergessen darf, wie professionell er immer noch seinen Beruf auf dem Platz angeht. Dabei muss er niemandem etwas beweisen. Im Halbfinale gegen Karlovic, der mit 45 Assen zuvor im Duell mit dem Tschechen Tomas Berdych einen Asse-Weltrekord in Best-of-three-Matches aufgestellt hatte, hatte er sich sehr bewusst darauf eingestellt, mit schier unreturnierbaren Aufschlaggeschossen umgehen zu müssen. Im gesamten ersten Satz gelangen Federer bis zum Tie-Break gegen Karlovics Service nur drei Punkte. Er wurde nicht nervös. "Da habe ich nichts gesehen in den Returnspielen, aber ich wollte unbedingt ruhig bleiben. Das ist mir gelungen", sagte Federer zufrieden, der auch trocken den zweiten Satz herunterspielte und geduldig im Tie-Break auf seine Chance wartete. Er weiß eben aus mehr als 1000. Profisiegen: Es kommt auf die wenigen Big Points an.

"In der ersten Runde hatte ich extrem viel Glück", ordnete er noch ein und bezog sich auf den hauchdünnen Dreisatzsieg gegen den Deutschen Philipp Kohlschreiber, "daher bin ich total happy, hier wieder im Finale stehen zu können." Die Menschen in Halle/Westfalen sehen das nicht anders.

© SZ vom 21.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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