Fechterin Britta Heidemann:Silber gegen alle Skeptiker

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Freude über WM-Silber: Fechterin Britta Heidemann (Foto: dpa)

Degenfechterin Britta Heidemann hatte in jüngster Zeit viele Projekte, manchmal auch etwas alberne wie das als Fußball-Reporterin im deutschen Camp in Brasilien. Dennoch beweist sie bei der WM in Kasan, dass sie für ihren Sport unverzichtbar ist.

Von Volker Kreisl, Kasan/München

Konnte man das alles noch ernst nehmen? Die große Sportlerin, die weltweit wohl bekannteste Vertreterin der ehrwürdigen Disziplin Fechten, hatte tatsächlich dieses Spielchen mitgemacht. War, deklariert als "WM-Reporterin", im Fußballercamp in Brasilien herumgelaufen, um den ganz großen Sportlern banale Fragen fürs Fernsehen zu stellen, Selfies mit ihnen zu knipsen oder mit ihnen zu feiern.

Kurz darauf war sie zu ihrer eigenen Weltmeisterschaft nach Russland aufgebrochen, um da selber einen Titel zu gewinnen, und das nach einer herben Zeit- und Klimaumstellung, zudem mit halber Vorbereitung. Degenfechten - was soll das bitte für ein Sport sein? Ein Glücksspiel?

Die meisten Bundestrainer würden Athleten, die so etwas vorhaben, aus dem WM-Kader streichen, schon aus Rücksicht auf den Ruf und auf den eigenen Stolz. Bei der Degenfechterin Britta Heidemann ist das etwas anders. Sie hat sich ihren Ausnahmestatus erarbeitet. Und sie bestätigt ihn immer wieder. Begeistert war wohl niemand beim Deutschen Fechterbund, aber sie alle haben Heidemann gewähren lassen.

Auf Weltreiste mit André Rieu

Am Sonntagabend holte sie die Silbermedaille bei der WM in Kasan und rettete die Mindestbilanz der Deutschen. Es war nach dem Olympiasieg 2008 und ihrem ersten WM-Titel 2007 die eindrucksvollste Medaille. Und alle Skeptiker, die es lächerlich finden, wenn jemand rund um die Uhr überall ist, ständig Neues ausprobieren und im Gespräch sein will, alle Heidemann-Kritiker also haben nun ein Problem. Auch sie haben am Sonntagabend, als Heidemann mit dem 15:10-Sieg gegen die Estin Erika Kirpu das Finale erreichte, einen Treffer abgekriegt.

Gold wurde es nicht, am Ende, sagte Heidemann ganz offen, habe ihre Finalgegnerin Rossella Fiamingo aus Italien "hintenraus die bessere Kondition gehabt". Überhaupt, man wisse es ja: "Ich hatte in der letzten Zeit sehr viele Projekte." Sie konnte das so offen zugeben, weil dieser Tag der Britta Heidemann soeben lauter Gegenteile bewiesen hatte. Dass sie weniger trainiert hatte, aber sehr wohl gut vorbereitet war, vielleicht besser als die meisten anderen. Oder auch, dass Degenfechten kein Glücksspiel ist.

Projekte in letzter Zeit. Die Skeptiker erinnern sich vor allem an den Konzert-Trip im April. Britta Heidemann war mit dem holländischen Volks-Violinisten André Rieu in China, ihrer "zweiten Heimat", auf Tournee gegangen. Sie hatte dort seine Auftritte anmoderiert und zwischendurch auch selber ein Volkslied auf Chinesisch gesungen. Viel Geld kann man bei so etwas wohl nicht verdienen, und die Musik muss man mögen.

Aber Heidemann ging es schon immer um etwas anderes. Gewiss liebt sie es, im Fokus zu stehen, aber sie liebt es auch, mit Menschen zusammen zu sein, zu diskutieren, von ihnen zu lernen, und ihnen von sich selbst etwas mitzugeben. So war es auch im Juni, als sie als Botschafterin für die Bundesliga-Stiftung Favelas in Brasilien besuchte, und vielleicht auch bei den Fußballern im Campo Bahia.

Am Sonntag, im Hotel in Kasan in Tatarstan, ist sie dann jedenfalls mit einem Anflug von Optimismus aus dem Bett gekommen. "Dass da was geht, habe ich schon am Morgen gemerkt", sagte sie. Fechten ist ein Tagessport, man muss früh in den Wettkämpfen seinen Rhythmus finden, Sicherheit fassen, und einem Gegner nach dem anderen seinen Stil, seine Abläufe aufzwingen. "Ich habe gemerkt", sagt Heidemann, "dass der Aufenthalt in Brasilien meiner Form nicht geschadet, sondern gut getan hat." Sie war locker und stand offenbar auch noch unter der Wirkung vom Lager-Geist von Bahia.

Ein Buch hat Heidemann natürlich auch geschrieben, aber hier muss man als Skeptiker ebenfalls vorsichtig sein. Auch in diesem Buch geht es um Erfolg, jenes Phänomen, das unzählige Business-Autoren für jedermann möglich machen wollen. Heidemann aber hat den anderen Erfolgs-Erklärern eines voraus. Sie ist wohl die Einzige, die erklärt, wie man gewinnt, und das jahrelang vor den Augen der Welt anschaulich wiederholt. Sie hat nun elf WM-Medaillen erreicht, vielleicht gibt es am Mittwoch mit dem Team die zwölfte.

In Kasan hat sie drei von sechs Gefechten mit dem letzten Treffer für sich entschieden, also drei mal im Sudden Death gewonnen, es geschafft, den Erfolg zu besetzen. In der zweiten Runde gegen die Rumänin Simona Gherman, im Achtelfinale gegen die Südkoreanerin Shin A Lam und im Viertelfinale gegen die ungarische Weltranglistenerste Emese Szasz. "Entscheidend war ihre mentale Stärke", sagte Trainer Piotr Sozanski. Heidemann schafft es, in brenzligen Situationen die Dinge zu trennen. Also das Brenzlige beiseite zu lassen, und nur noch das im Moment Notwendige zu sehen. Und dann zu tun: Heidemann - Gherman 15:14. Heidemann - Lam 11:10. Heidemann - Szasz 15:14.

Britta Heidemann hat zwei Seiten. Sie ist einerseits Weltreisende, Studierende, Kommunizierende und Botschaftende, und manchmal macht sie dabei etwas viel auf einmal. Andererseits ist sie eine Top-Athletin, die Jahr für Jahr das Publikum überrascht, die wichtig ist für den Sport in Deutschland und noch wichtiger als Vorbild ihres um Nachwuchs ringenden Verbandes, mit anderen Worten: die insgesamt ziemlich ernst zu nehmen ist.

© SZ vom 22.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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