FCB - 1860:"Das ist der arrogante Lehmann." - "Du blauer Hund!"

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Stephan Lehmann und Stefan Schneider, Stadionsprecher des FCB und TSV 1860, über ihre Klubs, das Derby und Wetten - ein Duell.

Gerald Kleffmann

Die Rivalität ist schon vorab präsent. Stephan Lehmann bestimmt den Interview-Ort für dieses Rededuell. Er wolle ins Café Schwabing. 1:0. Stefan Schneider revanchiert sich - und kommt früher, um sich den besten Platz auszusuchen, mit dem Rücken zur Wand. 1:1. Lehmann wiederum bringt seinen Hund mit, seinen sechs Monate alten Rhodesian-Ridgeback namens Shiva. 2:1. Natürlich lässt sich das Schneider nicht gefallen, er steht auf und geht: "Dann hol ich meinen." Erneuter Ausgleich, als er mit Chicco zurückmarschiert. Rasse? "Best of", sagt Schneider grinsend. Das Gespräch beginnt, erst einmal fachsimpeln die zwei darüber, wie ein Hund an einem Dackel vorbeigehen soll. Kurz sind sie auf einer Linie. Aber das wird sich ändern. Lehmann ist Stadionsprecher des FC Bayern, Schneider beim TSV 1860. Das kann nicht gut enden. Oder doch?

Thomas Riedl bejubelt am 27.11.1999 seinen Treffer gegen den FC Bayern (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Lehmann, Herr Schneider, wir müssen dringend eine Frage klären: Wer ist Münchens große Liebe - der FC Bayern? Oder doch die Sechziger, die mit diesem Spruch vollmundig werben?

Schneider: Wir sind das.

Lehmann: Lola Montez.

Schneider: Der FC Bayern ist natürlich, ich sage das in Anführungszeichen, der erfolgreichere Verein. Aber der typisch münchnerische Verein ist Sechzig.

SZ: Warum?

Schneider: Weil es in der Stadt mehr Blaue als Rote gibt.

SZ: Woran merkt man das?

Schneider: An den Metzgern. An den Bäckern. An den Gemüsehändlern. Und an den Autowerkstätten.

SZ: Herr Lehmann, Sie müssen zugeben: Der Spruch, Sechzig sei "Münchens große Liebe", der hat was.

Lehmann: Ich glaube, dass hier eine subjektive Wahrnehmung des Herrn Schneider vorliegt. Mein Metzger, mein Bäcker, mein Autowerkstättler sind glühende Rote. Ich wäre mir nicht so sicher, ob das noch vorherrscht, dass München die blaue Stadt ist und das Umland eher rot geprägt ist. Ich weiß, dass der FC Bayern in der Stadt um die 100 Fanklubs hat mit 4500 Mitgliedern. Wir reden jetzt nicht vom Umland. Das finde ich für den FC Bayern sehr beachtlich.

Schneider: Wie viele Fans?

Lehmann: 4500 eingetragene.

Schneider: Ist da einer dabei, der ohne Anzug ins Stadion kommt?

Lehmann: Ich weiß nicht mal, wie viel überhaupt davon einen Anzug haben. Aber Anzüge sind ja heute etwas Spezielles. Das tragen heute nur noch die Funktionäre. Auch auf der blauen Seite.

SZ: Herr Schneider, wie ist der FC-Bayern-Fan aus Ihrer Sicht?

Schneider: Der Bayern-Fan verabredet sich am Samstag um 17.20 Uhr mit seinen Freunden. Die denken: Dann trinken wir ein paar Bier, weil wir sowieso gewonnen haben. Der Bayern-Fan geht gerne dahin, wo gewonnen wird. Er hat dadurch ein ganz anderes Empfinden. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass es manchem Bayern-Fan schon mal langweilig ist, dass er jedes Jahr oder spätestens jedes zweite Jahr zum Rathausbalkon muss, zum Feiern.

Lehmann: Ich langweile mich lieber auf einer Meisterfeier am Marienplatz als permanent den Angstschweiß auf der Stirn zu haben. Was die reine Fußballbegeisterung für den Verein angeht, glaube ich, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Roten und Blauen. Aber es stimmt: Unser Fan ist erfolgsverwöhnter. Damit steigen die Ansprüche an ein Team. Der FC Bayern spielt in einer anderen Liga, er soll ja auch international eine führende Rolle spielen. Diesem Anspruch versuchen die Verantwortlichen gerecht zu werden, auch durch die Investitionen für diese Saison. Das macht der Uli Hoeneß nicht, weil er gerade lustig ist. Er macht das, weil er sich bewusst ist, dass das der Zuschauer vom FC Bayern verlangt.

SZ: Das leitet zum Operettenpublikum über. Stimmt dieses Etikett?

Lehmann: Es gibt den überzeugten Fan, den, der in der Süd- oder Nordkurve steht. Es gibt den, der schon immer seine Jahreskarte auf der Gegengerade hat. Und dann gibt es den, der mit dem Anzug auf dem Business Seat oder in der Loge das Ganze mit mehr Abstand betrachtet. Aber ich möchte nicht sagen, dass einer, der auf der Loge sitzt und viel Geld dafür hinlegt, ein schlechterer Fan ist. Das ist nur ein anderer Typ Fan. Ich wehre mich zu sagen, das ist Champagnerpublikum. Es sind Menschen, die älter sind und mehr Abstand haben. Das ist ihr Recht.

SZ: Herr Schneider, neidisch, dass der FCB die betuchteren Zuschauer hat?

Schneider: Ne, ne, ne. Die Sechziger haben natürlich nicht die Zahl an Business Seats und Logen verkauft wie der FC Bayern. Und wir haben von diesem betuchten Publikum ja auch eine Menge, es können halt nie genug sein.

Lehmann: Es gibt doch bei Sechzig-Heimspielen genauso Menschen, die mit Anzug kommen und viel Geld hingelegt haben und die nicht bei jeder Situation aufstehen und brüllen . . .

Schneider: . . . doch. Da würde ich den Unterschied sehen. Der Business-Seat-Fan von Sechzig ist reingewachsen in diesen Business-Seat. Der hat wahrscheinlich lückenlos die Eintrittskarten von der Westkurve im Grünwalder Stadion, wo er als kleiner Bub gestanden ist, bis zu seinem Business-Platz. Möglicherweise hat der eine gut funktionierende Sanitärfirma in Ismaning. Genau der steht noch und schreit. Der Sechziger zeigt ein bisschen mehr Emotionen. Wenn wir das Auftaktspiel zur neuen Saison in Augsburg gewinnen, also, da müsste Bayern Meister werden, um diese Empfindungen zu haben.

Lehmann: Da hast du recht. Um eure Gefühle vom Augsburg-Sieg auf Bayern zu übertragen, müssten wir im Uefa-Cup-Halbfinale bei Inter Mailand 3:0 gewinnen.

SZ: Welche Ansprache benötigt der Bayern-Fan?

Lehmann: Die gleiche wie bei Sechzig. Ich mache das jetzt seit zwölf Jahren. Der Fan merkt Authentizität. Das ist das, was ich meinem Schneider, dem blauen Hund, zuspreche.

SZ: Dann haben Sie den gleichen Job?

Schneider: Unbedingt. Ich kann sogar ein wenig mit Stolz sagen: Es ist selten in der ersten und zweiten Liga, dass jemand so lange bei einem Klub Stadionsprecher ist wie Stephan und ich. Und die wenigstens sind gewachsene Fußballfans wie wir zwei. Wir kommen aus der Kurve.

SZ: Wie lernten Sie sich kennen?

Lehmann: Das ging über die Fußballschiene. Eigentlich kennen wir uns vom Radio. Wir sind Weggefährten und ich sag das mal so, gell Schneider, es gibt eine gesunde Rivalität. Wenn Derby ist . . .

Schneider: . . . sparen wir uns 90 Minuten lang die Freundschaft.

Lehmann: Wenn Derby-Time ist, ist Schluss mit lustig. Dazu lebe ich zu sehr die rote Farbe und er die blaue.

SZ: Am 26. Januar steht eines an.

Lehmann: Die Entstehungsgeschichte dazu ist sehr nett. Es gibt ja sein Jahren nicht nur eine Rivalität auf dem Fußballplatz, sondern auch auf dem Golfplatz. Dort wird jährlich ein Derby-Cup ausgespielt. Das war dieses Jahr wieder so . . .

Schneider: . . . ihr habt gewonnen.

Lehmann: Genau, wir haben knapp gewonnen. Ich bin zwar kein guter Golfer, aber ich habe zum ersten Mal mitgespielt. Es war am Ende eine hauchdünne Entscheidung im GC Egmating, die Sprüche flogen hin und her, und so wurde ausgemacht, dass die Revanche wieder auf dem Fußballfeld ausgetragen wird.

SZ: Vor den letzten Derbys war das verbale Geplänkel aber eher mau, oder?

Schneider: Ich nehme mal das vorletzte Derby aus. Aber beim letzten waren unsere Jungs schon heiß. Doch insgesamt ist es schon ruhiger geworden. Diese Derbyfehde, dass sich die Spieler vorher so ein bisschen anmachen, hat abgenommen. Das Problem ist, dass der FC Bayern fast zu international ist. Die kapieren gar nicht, um was es da geht. Wir haben wenigstens vier Münchner im Team.

Lehmann: Er hat vier, wir haben zwei.

Schneider: Zwei?

Lehmann: Ich habe Ottl und Lahm. Das ist für einen Verein wie den FC Bayern keine schlechte Quote. Es ist ruhiger geworden, ja. Wenn ich das auf die Aggression beziehe, begrüße ich das. Wo es meines Erachtens nicht ruhiger geworden ist, ist die Rivalität. Die zieht in letzter Zeit sogar wieder an. Das ist ja immer so ein schmaler Grat. Wann haue ich mal einen Spruch rüber? Und wann driftet es ab in Polemik, Beleidigung und im schlimmsten Fall in Gewalt?

SZ: Die Rivalität zwischen Ihnen beiden hat aber so manches verursacht.

Lehmann: Sie meinen wegen der Wetten? Ja, da haben wir schon viel durchgemacht. Oder besser gesagt: Der Stefan. Er musste zum Beispiel mal . . .

Schneider: . . . die Südkurve putzen.

Lehmann: Er musste . . .

Schneider: . . . am Marienplatz um die Mariensäule danteln, eine Stunde lang.

Lehmann: Ich muss ihm das hoch anrechnen. Immer diese Wetten einzugehen und zu wissen, ich verliere und muss den Schmarrn machen, verdient Respekt.

Schneider: Vor allem, wenn du dir überlegst: Eine 50:50-Quote vor dem Derby gibt dir kein Buchmacher.

Lehmann: Das Schlimme war ja für ihn das eine Jahr, in dem Sechzig beide Derbys im Olympiastadion gewonnen hat. Das war genau dieses Jahr, in dem er nicht Stadionsprecher von Sechzig war.

SZ: Das passt zu Sechzig: Selbst beim Stadionsprecher geht was schief.

Schneider: Ich habe es trotzdem von außen sehr genossen.

Lehmann: Ich sage bewusst und auch dem Stefan: Die Löwen haben momentan eine starke Phase. Beide Vereine stehen in ihren Ligen vorne, das tut auch der Stadt gut. Und ich habe ein Novum entdeckt. Es gibt ja Menschen, denen der FC Bayern nichts bedeutet - nur diese Saison gucken die zu. Die sagen plötzlich: Dieser Ribéry ist so ein geiler Fußballer, den will ich sehen. Und was der Klose und der Toni vorne machen, ist ja schlichtweg überragend.

SZ: Da müssen Sie zustimmen. Das ist der sympathischste FC Bayern seit langem.

Schneider: Der FC Bayern ist nie sympathisch. Der FC Bayern ist genau so wie eine Eigentumswohnung in der Säbener Straße.

Lehmann: Der kann doch gar nichts anderes sagen, der arme Kerl. 1860 hat vielleicht eine starke Phase. Aber der Unterschied zwischen beiden Vereinen ist: Die Sechziger sind den Beweis schuldig, dass sie mal über einen längeren Zeitraum erfolgreich arbeiten. Eine Saison ist lang.

SZ: Ihr Wetteinsatz für das nächste Derby?

Lehmann: Bundesligaderby? Sie meinen in zehn Jahren?

SZ: Was wäre eine Strafe für Sie? Mal ein Sechziger-Heimspiel ohne Bayern-Beteiligung ansehen müssen?

Lehmann: Das wäre Strafe genug. Aber eine echte Strafe wäre für mich, eine Stunde lang in einem Sechziger-Fanshop die Produkte anzupreisen.

SZ: Herr Schneider, die Wette steht?

Schneider: Gut, aber wir nehmen die Fanshops am Platzl. Mit Dienstkleidung, mit Schal und Trikot.

Lehmann: Wir können die Wette gerne abschließen. Für mich wird das nicht eintreten.

SZ: Das ist jetzt wieder der arrogante FC Bayern, falsch oder richtig, Herr Schneider?

Schneider: Das ist der arrogante Lehmann.

Lehmann: Das ist der optimistische, siegessichere Lehmann.

Schneider: Wo wir bei Beweise antreten sind. Der FC Bayern hat noch nicht den Beweis angetreten, ob, wenn er mal in der zweiten Liga spielen würde und wie wir mal so um den 11. Platz herumdümpeln würde, ob da vom geneigten Operetten-Publikum auch noch jemand da wäre. Diesen Beweis haben die Löwen-Fans schon angetreten. Als wir 13 Jahre in der Prärie gespielt haben, in der Bayernliga, waren sie da.

Lehmann: Den Gefallen können wir dir nicht tun. Dann müssten wir absichtlich absteigen. Und das wollen wir nicht.

Schneider: Ich weiß. Es wäre für mich trotzdem ein großer Tag. Stell dir mal vor: Luca Toni in Plattling.

SZ: Danke fürs Gespräch. Jetzt können Sie wieder über Ihre Hunde reden.

Schneider: Also, meiner ist besser.

Lehmann: Nein, meiner.

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