FC Ingolstadt:"Unser Ziel ist, zwei Plätze zu klettern - Minimum"

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"Es war immer mein Ziel, hier Cheftrainer zu werden": Stefan Leitl hat die Fußballlehrer-Ausbildung nicht umsonst absolviert. (Foto: Stefan Bösl/imago)

Leitl erklärt, warum sich sein Team wandelte und wie Geschäftsführer Gärtner seinen Abschied verhinderte.

Interview von Johannes Kirchmeier

SZ: Herr Leitl, seit elf Jahren sind Sie beim FC Ingolstadt angestellt, seit fünf Monaten trainieren Sie nun die Profimannschaft. Bei Ihrer Familie mussten Sie sich wahrscheinlich am 23. August abmelden.

Da habe ich mich vorübergehend freistellen lassen (lacht). Aber da erfahre ich jegliche Unterstützung. Und ich habe meinen Beruf als Trainer, egal ob das bei der U17 oder der U21 war, schon vorher mit großer Leidenschaft gemacht. Ich habe jetzt natürlich mehr Termine, aber wir haben immer noch feste Rituale zuhause. Wie das gemeinschaftliche Abendessen - auch wenn es mal ein bisschen später wird. Da sitzen wir am Tisch, dann wird der Tag aufgearbeitet und ich bin wieder im Bilde.

Das heißt, die Kinder müssen mit dem Essen jetzt bis um Viertel nach zehn warten?

Wenn es so spät wird, dann nicht. Aber es ist meistens tatsächlich so, dass sie noch wach sind und auf mich warten, bis ich heimkomme. Der Papa muss schon noch immer "Gute Nacht" sagen - und will das auch. Dann muss eben auch mal Facetime herhalten, wenn wir unterwegs sind.

Vor zwei Wochen war Papa Leitl dann wieder unterwegs, im Trainingslager in Portugal. Anders als Ihre Vorgänger Maik Walpurgis und Ralph Hasenhüttl sind Sie im Winter weggefahren. Warum?

Ich glaube, dass es für uns in der Situation wichtig war. Wir hatten noch keine gemeinsame Vorbereitung, in so einem Trainingslager bist du dann mal weg von hier und es steht nur der Fußball im Mittelpunkt. Man wächst einfach enger zusammen.

Die Trainingslagerwahl erinnert ans Campo Bahia, das das deutsche Nationalteam bei der WM 2014 bezogen hat. Auch Ihre Spieler waren in kleinen Gruppen in verschiedenen Häusern untergebracht.

Ja, das war mein großer Wunsch, weil ich es für mehr als sinnvoll erachte, dass die Jungs in Gruppen unterwegs sind statt in einem Hotel, wo du dich mit deinem Zimmerpartner verschanzt. Wenn man durch dieses Chalet-Dorf gegangen ist und die einzelnen Häuser besucht hat, konnte man erkennen, dass sich die Jungs sehr intensiv miteinander befasst haben.

Jogi Löw hat nach dem Campo Bahia die Weltmeisterschaft geholt...

Die können wir nicht holen. Aber ja, was können wir holen? Die Mannschaft hat sich mit dem vierten Tabellenplatz eine richtig gute Ausgangssituation erarbeitet. Und ich werde mich jetzt hier nicht hinsetzen und sagen: Wir geben uns mit dem vierten Platz zufrieden. Wir sind der Jäger und ich glaube, dass uns diese Rolle ganz gut steht. Unser Ziel ist, unsere Chance zu nutzen und zwei Plätze zu klettern - Minimum.

Also am besten als Erster aufsteigen.

Es sind sechs und fünf Punkte auf die ersten Beiden. Wir können gerade definitiv mehr gewinnen als verlieren, dürfen uns aber keine Ausrutscher erlauben. Davon hatten wir in der Hinrunde schon zu viele.

Wie schaut Ihr Spiel ab Dienstag aus, wenn der Zweitligabetrieb mit dem Heimspiel gegen Sandhausen weitergeht?

Es kommt jetzt darauf an, dass wir in gewissen Phasen vielleicht mehr Ruhe brauchen, vielleicht auch nicht mehr so hoch attackieren, um mehr Frische und mehr Kraft für unsere Aktionen zu haben. Wir wollen aber weiter mit viel Ballbesitz spielen und so zum Erfolg kommen.

Nur eben mit Handbremse.

Nein, nicht mit Handbremse. Ich glaube, dass es im Fußball um Räume geht, die du bespielen musst, um den Gegner zu schlagen. Und in gewissen Phasen des Spiels wollen wir den Gegner auch mal kommen lassen, um diese Räume zu bekommen. In den vergangenen Wochen war es oft so, dass wir so dominant waren, dass wir in der gegnerischen Hälfte kaum Räume hatten. Da wollen wir flexibler agieren, auch vielleicht in einer anderen Grundordnung.

Sie haben nach drei Niederlagen Ihres Vorgängers Walpurgis als Interimstrainer angefangen. Wie haben Sie es geschafft, Ihre Mannschaft so schnell aufzurichten, dass sie jetzt um den Aufstieg spielt?

Schnell war das nicht. Das war schon ein Prozess, dem sich auch die Mannschaft gestellt hat und bei dem wir alle zusammengeholfen haben. Vor dem ersten Spiel in Fürth hatten wir ja gerade mal zwei Trainingseinheiten. In Fürth hat die Mannschaft dann extrem viel Willen an den Tag gelegt - und deswegen haben wir das Spiel verdient gewonnen. Und mit jedem Sieg steigt das Selbstvertrauen. Entscheidend war auch, dass wir zu dieser Schanzer-Identität zurückgekommen sind.

Sie wollen also wieder "eklig" sein.

Nennen wir es "unangenehm" - nicht, was die Mentalität betrifft, sondern die Spielweise. Wir waren unangenehm im Anlaufen und beim Pressing, weil wir immer nachgesetzt haben. Diese Art, gegen den Ball zu spielen, war uns schon wieder wichtig. Und wir spielen nicht mehr die langen Bälle nach vorne, sondern Ballbesitzfußball. Ich bin überzeugt davon, dass das der richtige Weg ist, und auch die Mannschaft will so spielen.

Die letzten Spiele 2017 haben Sie trotzdem nicht mehr alle gewonnen. 0:2 gegen Braunschweig, 1:1 gegen Kaiserslautern, 0:1 im Pokal-Achtelfinale in Paderborn - ist der Trainer-Effekt schon verpufft?

Nein. Wir wussten, dass der eine oder andere Rückschlag kommt. Wir haben eine große Aufholjagd starten müssen, um uns in die Situation zu bringen, das kostet natürlich auch Körner. Vielleicht hat zum Ende hin das eine oder andere Korn gefehlt.

Zudem fallen die wenigen Mittelstürmertore auf.

Ja, das ist eine Aufgabe für uns, dass wir unsere Mittelstürmer in Position bringen. Es ist aber ein Gesamtgebilde: Jeder darf hier Tore schießen. Wenn unsere Mittelstürmer dann bei zehn und zwölf Toren einlaufen und wir erfolgreich sind, ist das okay. Und wenn sie drei und vier schießen und wir erfolgreich sind, dann auch.

Im Winter verzeichnet der FCI fast nur Weggänge. Wie sieht's mit Zugängen aus?

Wir halten natürlich die Augen offen, aber es muss schon ein Spieler sein, der uns sofort hilft. Mit Patrick Ebert haben wir einen Spieler geholt, der sicherlich diese Qualitäten hat, aber er ist seit einem halben Jahr vertragslos und da müssen wir erst sehen, wann er uns helfen kann. Der Name Andreas Voglsammer ging ja auch durch die Medien: Der Spieler würde gerne zu uns kommen, aber ich glaube nicht, dass wir jeden Preis für ihn zahlen müssen.

Mittelstürmer Voglsammer hat für Arminia Bielefeld bereits acht Treffer erzielt, ein Tor mehr als Ihr erfolgreichster Torschütze Sonny Kittel. Konnten Sie den wieder aufrichten? Beim Pokal-Aus in Paderborn vor Weihnachten wirkte Kittel ja äußerst frustriert.

Ich habe lieber mal so emotionale Ausraster, da schlucke ich dann auch eine gelbe Karte, weil ich glaube, dass man emotionslos nicht Fußball spielen kann. Man muss auch ein Stück weit emotional sein, um eine Top-Leistung zu bringen.

Redet da auch so ein bisschen der Spieler Stefan Leitl?

Genau. Ich hätte ohne Emotionen gleich daheim bleiben können. Es ist okay, was der Sonny macht. Der Junge hat so eine lange Leidenszeit hinter sich. Er hat so einen Aufwand betrieben mit allen Leuten hier im Verein. Dass der Junge dann mal müde wird mit dieser Verletzungshistorie, ist doch auch klar. Er hat bis jetzt aber unglaublich abgeliefert und großen Anteil daran, wo wir stehen. Es ist klar, dass er nun der Spieler ist, der am häufigsten markiert wird - und da ist es auch eine mentale Geschichte, wie er das annimmt.

Was haben den Spieler Stefan Leitl für Trainertypen fasziniert?

Ich fand es vor allem gut, wenn ein Trainer offen war und sich ehrlich die Meinung der Spieler angehört hat. Und das vorgelebt hat, was er vermitteln will. Wenn du das als Trainer mitbringst, dann wirst du mit keiner Mannschaft ein Problem haben.

Sie lassen sich also schon mal was sagen von Ihren Spielern.

Ja, aber die müssen das schon fundiert begründen (lacht).

Kein Diktator also?

Nein, die Zeit dieser Trainertypen ist vorbei und so ein Typ ist meiner Ansicht nach auch völlig fehl am Platz. Ich war ein Freigeist als Spieler, mich hat das bedrängt, wenn ich mich auf dem Platz nicht ausleben konnte.

Am liebsten war Ihnen Benno Möhlmann, oder?

Das ist ein offenes Geheimnis. Ich hätte mir Benno mit 20 oder 22 Jahren gewünscht, dann hätte ich eine andere Karriere erleben dürfen. Er hat alles davon umgesetzt, was ich von einem Trainer erwarte. Ich habe unheimlichen Respekt vor ihm gehabt, er hat mir aber auch das Gefühl gegeben, dass ich mich entfalten darf. Und mit den erfahrenen Spielern war er übrigens auch im Dialog.

Möhlmann war einer Ihrer Trainer beim FCI, den es seit 2004 gibt - und dem Sie seit 2007 angehören. Wer ist denn verantwortlich dafür, dass Sie immer hiergeblieben sind?

Das ist schon eine lange Zeit, gell. All das wäre nicht ohne Harald Gärtner (Geschäftsführer Sport und Kommunikation, Anm. d. Red.) gekommen, weil er derjenige war, der mich hierhergeholt hat...

... und Sie nicht mehr weggelassen hat?

Das kommt auch dazu (lacht). Ich lebe diesen Verein. Und es ist mir eine große Ehre, dass ich schon über so einen langen Zeitraum für den FCI arbeiten darf.

Etwas unromantischer klingt, dass Sie schon auch weg wollten in den vergangenen Jahren. Erst wären Sie gerne Assistent von Torsten Frings in Darmstadt geworden, dann Trainer in Aue.

Ja, weil ich die Fußballlehrer-Ausbildung dafür gemacht habe, um Profitrainer zu sein. Ich habe drei Jahre in Darmstadt gespielt, ein Teil unserer Familie lebt dort und Torsten kenne ich seit der U21 als Spieler. Das hat es für mich interessant gemacht. Aber das Thema war für mich sehr schnell vom Tisch, weil Harald Gärtner gesagt hat: "Ne." In Aue hatte ich wunderbare Gespräche mit Präsident Helge Leonhardt. Aber letztendlich war es auch da so, dass mein Verein gesagt hat: "Ne, ist nicht." Und dann bin ich keiner, der bockig in der Ecke steht. Ich bin ja auch nicht mit dem Hammer in der Hand hin und habe gesagt: "Jetzt lass mich gehen!" Sondern ich habe gesagt, es würde eine Möglichkeit geben, ich möchte mir das anhören. Das hat mir der Verein auch immer gewährt. Nur letztendlich entscheidet er halt dann die Frage: Lasse ich einen Trainer gehen oder nicht?

Dann hat es aber doch gedauert, bis Sie vom Interims- zum Cheftrainer aufstiegen. Haben Sie sich da nicht gewünscht, dass Sie endlich mal befördert werden?

Es war immer mein Ziel, hier Cheftrainer zu werden. Aber intern war alles geregelt: Wir warten ein paar Spiele ab und machen uns keinen Druck. Wir mussten ja auch sehen, wie die Zusammenarbeit mit dem damals ebenfalls neuen Sportdirektor Angelo Vier klappt. Das hat dann alles gepasst. Und jetzt bin ich da.

Die nächsten elf Jahre?

Gut, das wird auch irgendwann mal zu Ende gehen. Aber das schiebe ich ganz weit nach hinten. Es wird kommen - und dann auch okay sein.

Alles ist endlich.

Jetzt, als Cheftrainer, ist alles endlich. Vorher wäre es unendlich gewesen, das sehen auch alle hier so. Aber jetzt ist es endlich. Punkt. Aber das "endlich" kann man ja hinauszögern.

© SZ vom 22.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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