FC Ingolstadt:Neue Hütte

Lesezeit: 4 min

Als Hommage an seinen Trainer Ralph Hasenhüttl hat der FC Ingolstadt auf dem Parkplatz des Sportparks die sogenannte "Hasenhütte" aufgebaut. (Foto: Jakob Berr)

Zu seinem ersten Bundesliga-Heimspiel empfängt Ingolstadt den Liga-Giganten Dortmund - und eine Frage tut sich auf: Wofür steht der Neuling eigentlich?

Von Philipp Schneider, Ingolstadt

Drei Tage vor dem großen Spiel rollt ein Kranwagen heran im Ingolstädter Sportpark, zwei Männer bedienen das Gefährt, einer steht unten und dreht an einem Joystick, der zweite lehnt oben auf einer Plattform und klebt ein Transparent an die äußere Stadionwand. Es dauert eine Weile, aber schließlich formen Buchstaben so groß wie kleine Gartenhäuschen einen neuen Schriftzug an der Ingolstädter Südtribüne: "S Ü D T R I B Ü N E".

Wenn hier am Sonntag erstmals Dortmunder Fans um die Ecke der Arena biegen, womöglich auf dem Weg hinüber zur ebenfalls neu errichteten Stiftl-Alm, wo sie dann vor, während und nach der Partie an dunklen Holztischen speisen und trinken dürfen, dann könnten sie durchaus staunen und sich an ihr eigenes Stadion erinnert fühlen, wo ja mehr als 24 000 Menschen die Mutter aller Südtribünen bevölkern. "Wir wollen natürlich, dass sich alle wohlfühlen bei uns", sagt Harald Gärtner, der Geschäftsführer des FC Ingolstadt 04, der in diesem Sommer aufgestiegen ist in die Bundesliga und nun das 54.

Mitglied in der Ligageschichte ist. Gärtner, 46, war mal ein ordentlicher Zweitligaprofi bei Fortuna Düsseldorf und Hannover 96. In der Bundesliga war auch er noch nie. Und als er vor acht Jahren nach Ingolstadt wechselte, spielte der Klub noch in der Regionalliga und einem in die Jahre gekommenen Stadion im Ingolstädter Zentrum. Der neue Schriftzug, die schöne hölzerne Almhütte: Nichts spräche dagegen, dass sich alle wohlfühlen werden in der kleinen Arena, die vorerst eine Kapazität von 15 000 Plätzen bietet, aber jederzeit auf 30 000 Plätze vergrößert werden könnte. "Mitte der Saison", sagt Gärtner, wollen sie über einen Ausbau nachdenken - 11 000 Dauerkarten sind verkauft. Aber Gärtner kennt natürlich all die Vorbehalte, die gegenüber dem FCI kursieren: Der Klub sei zu jung, 2004 erst wurde er gegründet, als sich zwei rivalisierende Vereine zusammenschlossen, daher fehle ihm die Tradition. Und da der Ingolstädter Automobilkonzern Audi mit etwas weniger als 20 Prozent beteiligt ist, steht die Mannschaft von Trainer Ralph Hasenhüttl unter dem permanenten Verdacht, sie könnte schon bald mit Geldkoffern des Volkswagenkonzerns so mächtig aufgepäppelt werden, dass sie manch ärmeren Traditionsklub von der Bundesligabühne schubst. Gärtner nervt diese Debatte, er fragt: "Warum haben die Traditionsvereine denn Tradition? Doch nur, weil es sie schon lange Zeit gibt. Wir hätten es uns auch einfach machen können, wenn wir den Namen von einem der Vereine übernommen hätten, von denen wir das Spielrecht übernommen haben. Dann hätten alle gesagt: Mensch, das ist ein alter Verein, die haben ja Tradition!" Einer der zwei, der MTV Ingolstadt, wurde 1881 gegründet.

Tatsächlich fallen auch die Investitionen in den Kader bescheiden aus, bislang wechselten lediglich Stürmer Elias Kachunga (SC Paderborn), Mittelfeldspieler Romain Bregerie (Darmstadt 98), Verteidiger Markus Suttner (Austria Wien) und Norwegens Nationaltorhüter Örjan Nyland (Molde FK); Sportdirektor Thomas Linke hat die Planung als abgeschlossen bezeichnet. Und am ersten Spieltag, als Hasenhüttls lauffreudiges Pressingteam gleich mal mit einem 1:0 beim FSV Mainz 05 in der Liga vorstellig wurde, stand kein einziger neuer Spieler in der Startelf.

Im Optimalfall steht ein Fußballklub für etwas, das größer ist als Fußball. Wer in den Norden reist, der erlebt beim Hamburger SV die ewige Bundesliga-Uhr und Uwe Seeler. Beim FC St. Pauli: Anarchie. Und wer zu Union Berlin in den Osten fährt, der bekommt die Alte Försterei, besinnliche Fan-Chöre in der Weihnachtszeit und früher auch mal Torsten Mattuschka. Doch wofür steht der FC Ingolstadt?

Einer, der sozusagen mit dem FCI gealtert ist und dort irgendwann mal als Ikone gefeiert werden könnte, empfängt den Besucher kurz vor dem großen Spiel im Restaurant auf der Geschäftsstelle. Der Stürmer Moritz Hartmann, seit 2009 im Verein und dienstältester Profi, sitzt hinter einem Teller Pasta, an den Füßen trägt er Flipflops.

Dann erzählt er seine Geschichte. Es ist die Geschichte eines Talents, das im Alter von 20 Jahren nach Köln wechselte, zu den Amateuren. Ziemlich schnell erhielt das Talent eine Einladung zu den Profis, zog sich dann aber eine Verletzung zu. Und als es zweieinhalb Jahre später wieder in die Bundesliga geladen wurde, da war Christoph Daum Kölns Trainer. Achtmal durfte Hartmann auf der Bank sitzen, nicht einmal schickte ihn Daum aufs Feld. Hartmann wechselte nach Ingolstadt, er unterschrieb einen Vertrag für die dritte Liga auf einer Geschäftsstelle, die damals provisorisch in einem Container untergebracht war. "Sah jetzt nicht schön aus, war aber zweckmäßig. War alles da." Er unterschrieb auch, weil ihm Gärtner ein Modell des geplanten Stadions zeigte. Weil er ein Gefühl dafür bekam, was in Ingolstadt entstehen würde. "Da war das Drumherum wieder vergessen." An diesem Sonntag wird Hartmann nach einem sechs Jahre andauernden Umweg endlich dort angekommen sein, wo er in Köln schon nah dran war: in der Bundesliga.

Wer heutzutage nach Ingolstadt wechselt, sucht nicht länger das Abenteuer, sondern geordnete Verhältnisse. Der Klub ist eine Art Gegenentwurf zu Mitaufsteiger Darmstadt mit seinem zusammengeschusterten Kader. Oder dem unkrautbewachsenen Stadion, das bislang noch gut ohne Almhütte auskommt. Hartmann empfindet die konservierte Darmstädter Armut aber teilweise als Koketterie: "Wir haben auch keine Spieler geholt, die Nationalspieler wären oder hundert Bundesligaspiele haben." Und auch beim FCI ließe sich von manchen Spielern behaupten, dass sie "irgendwo gescheitert sind, ich zum Beispiel, in Köln".

Und doch ist der Unterschied zu den Aufsteigern der jüngeren Geschichte, die sich nicht in der Bundesliga halten konnten, in Ingolstadt offensichtlich: Braunschweig, Fürth oder Paderborn haben keine vergleichbare Infrastruktur. Auf einem Feld bei Manching hat sich der Klub ein Umfeld geschaffen, das an einen Operationssaal erinnert: Alles befindet sich genau dort, wo es ein schlauer Mensch platzieren würde. Nur liegen nicht Tupfer und Skalpell bereit, sondern, von kurzen Wegen getrennt, Arena, Trainingsplätze, Geschäftsstelle und Nachwuchsleistungszentrum. Je nach Sichtweise wirkt das steril. Oder praktisch.

Der Stürmer Hartmann bezeichnet die anstehende Partie gegen Dortmund (neben einem Sieg gegen Köln und dem zuletzt gegen Mainz) schon im Voraus als eine der drei wertvollsten seiner Karriere. Nicht nur, weil sie "Nationalspieler ohne Ende" haben. Sondern, weil sie ein ähnliches System spielen lassen wie Hasenhüttl. "Sie pressen früh, wollen schnell den Ball. Die Dortmunder haben vor Jahren damit angefangen: mit einem Spiel, von dem viele Mannschaften gar nicht dachten, dass man so spielen kann." Mit dem Pressing verhält es sich eben so wie mit dem Kult um die Südtribüne. Erfunden haben es die Dortmunder.

© SZ vom 22.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: