FC Bayern:Überschätzung und Kalendersprüche

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Nach dem 0:1 in Bochum folgt der deutsche Meister einem rätselhaften Willen zur Beschönigung.

Von Philipp Selldorf

Bochum - Als Willy Sagnol aus der Kabine des FC Bayern im Bochumer Ruhrstadion kam, gab er ein bemitleidenswertes Bild ab. Er humpelte wie ein geschlagener Krieger, die Trainingskleider hatte er um sich gewickelt wie die letzte gerettete Habe, Verbände schlangen sich um sein verletztes Knie, das zwei Schläge abbekommen hatte, weshalb er zur Pause ausgewechselt werden musste. Sagnol lächelte gequält, als man ihn auf die Blessur ansprach, und er seufzte schwer, als er die Perspektiven des FC Bayern nach dem 0:1 beim VfL Bochum beschrieb.

Uli Hoeneß glaubt trotz der Krise, dass der FC Bayern am Ende die Nase vorn haben wird (Foto: Foto: AP)

Der französische Verteidiger skizzierte eine verlorene Situation. "Neun Punkte, das ist fertig für uns", kalkulierte er den Rückstand, der sich durch einen Sieg Werder Bremens am Sonntag ergeben konnte, "ich glaube, wir müssen jetzt für den zweiten Platz kämpfen." Anschließend trottete Sagnol mit müden Schritten zum Bus, wo sich bereits einige Bochumer Fans eingefunden hatten, um die Münchner Verlierer zu verhöhnen.

Wenig später kreuzte Uli Hoeneß am selben Ort auf. Es war aber gar nicht nötig, dem Manager jenes Mitgefühl zukommen zu lassen, wie es dem traurigen Sagnol zwangsläufig zuteil wurde. Der Manager trat alles andere als betrübt vor die Reporter. Er gab sich den Anschein größter Gelassenheit und bestens ausgewogener innerer Balance, als er erstaunliche Betrachtungen über die Partie und ihre Folgen vortrug.

Hoeneß wähnte sich "sehr zufrieden" und "ziemlich zuversichtlich, dass wir jetzt trotzdem die Wende schaffen", denn für seine Analyse hatte er neue Maßstäbe gesetzt: "Ich schau' nicht aufs Ergebnis, sondern auf die Leistung, und die war zumindest in der zweiten Halbzeit sehr, sehr gut." So einerlei war ihm das Resultat, dass er die Tabelle weitreichend für unerheblich erklärte ("das stört mich nicht, auch wenn's zwölf Punkte Rückstand sind").

In den Ohren der Bayern-Fans müssen solche Deutungen alarmierend klingen. Sind sie nicht das Zeichen des Versuchs einer radikalen Schönwetter-Therapie für die von Angst und Schwermut verfolgten Fußballer?

Hoeneß hat sich in den bald 25 Jahren seiner Managerlaufbahn angewöhnt, Lob und Kritik antizyklisch zu verteilen. Lob als mentale Stärkung nach Niederlagen (wenn sie nicht komplett blamabel sind), Kritik als Herausforderung an die Profis nach glanzlosen Siegen wie zuletzt gegen Hannover. Diese Sitte ließ ihn nun behaupten, er sei nach dem 0:1 beim VfL "viel zuversichtlicher als vor dem Spiel".

Allerdings wirkt die Strategie dieses Mal als Fortsetzung der Hilflosigkeit, die seine Bayern auf dem Platz erlebten, wo sie zu weiten Teilen nicht fähig waren, ihren Anspruch und ihre Favoritenrolle auszuspielen.

Zwar hatten die Münchner in der Tat nach der Pause mehr Chancen als vorher. Das war aber lediglich eine Selbstverständlichkeit. Denn erstens hatten sie in der ersten Halbzeit, in der das Münchner Ensemble einen zusammenhanglosen, fahrigen Eindruck machte, nur eine einzige gefährliche Szene vor dem Bochumer Tor heraufbeschworen (Makaays Schussversuch in der Nachspielzeit), und zweitens zogen sich die Bochumer in ihre Deckung zurück, um die nach Kovacs schlimmen Abspielfehler früh erzielte Führung zu sichern und die Voraussetzung zum Kontern zu schaffen.

Die Münchner Überlegenheit war also nur zum Teil der Effekt gesteigerter Anstrengungen und Aggressivität. Und jeder besseren Gelegenheit des Meisters (die beste vergab nach einer Stunde Pizarro, als er, glänzend freigespielt von Schweinsteiger, den Ball an van Duijnhoven nicht vorbeibrachte) hatte der VfL eine ebenso gute entgegenzusetzen. Einmal musste Oliver Kahn als Libero im Zentrum der Abwehrhälfte einen Vorstoß von Gudjonsson stoppen - mit einem wilden Einsatz, der ihm bei weniger gelungener Koordination drei Monate Sperre und Gudjonsson üble Schmerzen eingetragen hätte.

Auch das zu Unrecht aberkannte Kopfballtor von Salihamidzic in der Schlussminute fand in Diabangs zulässigem, aber nicht gewerteten Treffer seine Entsprechung. "Man hat das Spiel verloren, da kann man nicht großartig argumentieren", sagte Ottmar Hitzfeld, der die erste Halbzeit als Enttäuschung wertete, die zweite aber - dem Willen zur Beschönigung folgend - als "bravouröse Leistungssteigerung".

So verengen sich anderthalb Wochen vor dem Duell mit Real Madrid die Aussichten auf die Ziele der Saison. Statistisch und vor allem ideell, denn zunehmend setzt sich die Einsicht durch, dass die von den Wortführern versprochene und vom Publikum vorauseilend zugestandene Extra-Klasse dieser Mannschaft lediglich auf großen Worten und allgemeiner Überschätzung beruhen könnte. Angestrengt wird nun zu Ruhe und Zuversicht gemahnt. Während Kahn daran erinnerte, es seien "noch unglaublich viele Punkte zu verteilen", formulierte Hoeneß sein Leitmotiv als Kalenderspruch: "The trend is your friend."

Zugrunde legte er dafür eine rätselhafte Theorie: "Am Ende wird man nicht Meister, wenn man nur schlecht spielt und die Punkte gewinnt. Die Punkte macht man am Ende nur, wenn man gut spielt - und die zweite Halbzeit war gut!" Beunruhigen sollte ihn allerdings, dass die deprimierende erste Hälfte den FC Bayern des Jahres 2004 nicht minder repräsentiert als die ermutigende zweite. Doch dieser Trend ist ihm fremd.

© SZ vom 16.2.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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