FC Bayern:Hinterm Horizont geht's weiter

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Jürgen Klinsmann stellt beim FC Bayern so einiges auf den Kopf. Das Rad hat er allerdings nicht neu erfunden. Der Bayern-Coach ist eher Puzzlespieler als Revolutionär.

Thomas Becker

Wer den FC Bayern gut und lange kennt und ihn derzeit besucht, der kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Nichts ist mehr so wie früher an der Säbener Straße - so kommt es einem zumindest vor. Schuld daran ist ein Mann, der einst selbst von sich sagte, er passe nicht zum FC Bayern. Der Mann heißt Jürgen Klinsmann und ist bekannt für seinen schwäbischen Dickschädel, der ihm hilft, auch unpopuläre Maßnahmen stur und strikt durchzusetzen. Eins ist der neue Bayern-Coach jedoch sicher nicht: ein Revolutionär.

Weit gereist, viele Erfahrungen gesammelt: Jürgen Klinsmann (Foto: Foto: ddp)

Vielmehr ist Jürgen Klinsmann bei seiner ersten Station als Bundesligatrainer ein Jäger und Sammler. All die Neuerungen, die nun den Trainingsalltag des Rekordmeisters bestimmen, sind keine genuinen Erfindungen des ehemaligen DFB-Teamchefs, sondern Ergebnis eines Puzzles, das der Kosmopolit Klinsmann aus Teilen jeglicher Provenienz zusammengefügt hat. Schon als Spieler ist Klinsmann ja ziemlich herumgekommen, hat die Gepflogenheiten der Profi-Ligen in Deutschland, England, Frankreich und Italien kennengelernt. In der vergleichsweise beschaulichen Atmosphäre der nordamerikanischen Soccer League lernte er als Ko-Trainer bei L.A. Galaxy so etwas wie Laissez-faire auf kalifornisch kennen. Wer ihn dort besuchen wollte, musste sich eine ganz Weile durchfragen, bis ihn endlich irgendjemand kannte: "Klinsmann? Ah, you mean Jurgen, the coach!"

Mit dem Sommermärchen-Job stieg sein Bekanntheitsgrad wieder. Nach seiner Demission verabschiedete er sich allerdings nicht so konsequent wie nach seinem Karriereende als Spieler. Es gab Gespräche mit dem US-Nationalteam, auch im Zusammenhang mit dem FC Chelsea fiel sein Name - kurz: Klinsmann blieb im Geschäft. Bildete sich fort. Besuchte Carlos Parreira, der mit Brasilien Weltmeister geworden war und auch schon mit Kuwait, Saudi-Arabien und den Emiraten Weltmeisterschaften bestritten hatte.

Weiter ging's auf der Tour d'horizon in den US-Profi-Sport. Bei Phil Jackson und dessen Basketball-Stars von den L.A. Lakers schaute sich Klinsmann einiges ab; auch bei den Phoenix Suns mit dem fußballbegeisterten Steve Nash durfte der Deutsche mal Mäuschen spielen. In der NBA ist es für die Spieler ganz normal, den ganzen Tag beim Arbeitgeber zu verbringen, auch an Spieltagen. Anwesenheitspflicht besteht vier Stunden vor und vier Stunden nach dem Spiel, und natürlich sitzen Kobe Bryant und Kollegen dabei nicht in einer spröden Umkleidekabine, sondern in einer Hightech-Lounge mit Playstation und allem, was dazugehört.

Auch was den gigantisch anmutenden Trainer- und Betreuerstab betrifft, betritt Klinsmann nicht gerade Neuland. Berti Vogts versuchte schon vor acht Jahren bei Bayer Leverkusen, diese Form der Arbeitsteilung zu etablieren - und wurde damals nur belächelt.

Dass die Pressearbeit aus dem Leben eines Profisportlers nicht wegzudenken ist, weiß Klinsmann natürlich auch. Und wer einmal als Journalist über die L.A. Lakers berichten durfte, lernt dort neue Dimensionen kennen. Interviews werden dort nach dem Spiel in der Kabine geführt - nachdem der Spieler nur mit Handtuch bekleidet aus der Dusche kommt, während er Körperpflege betreibt, das ein oder andere Kleidungsstück anzieht oder die maladen Füße in einen Eisbottich steckt. Für NBA-Profis gehört der Reporter zum Nach-Spiel wie der Deoroller. Folgerichtig lässt Klinsmann nun beim FCB ein "Medienzeitfenster" einrichten: eine Dreiviertelstunde, nach dem Mittagessen, verpflichtend für alle Spieler.

Auch wenn es um die Medienfigur Klinsmann geht, bedient er sich bei Vorbildern: Wie bei Konzerten von internationalen Rock- und Pop-Stars dürfen bei seinen Auftritten vor der Presse nur in den ersten drei Minuten Fotos gemacht werden. Das Blitzlicht und das dauernde Klicken der Kamera-Auslöser stört ihn. Was Celine Dion recht ist, kann einem Klinsmann nur billig sein.

Das Wort, das wohl am häufigsten fällt, wenn Klinsmann über seine Arbeit spricht, lautet: Spaß. Hier darf unterstellt werden, dass da seine kalifornische Sozialisation eine Rolle spielt. Wer zehn Jahre lang im Sonnenstaat am Strand der verwöhnten Westküste gelebt hat und ungefähr 700 Mal am Tag die Aufforderung "Have fun!" hört, der geht vielleicht nicht mehr ganz so verbissen durchs Leben wie man das wohl nach einer abgeschlossenen Bäckerlehre in Botnang tut.

Ein solcher Mensch ist auch offen für Dinge, von denen er offen sagen kann: "Damit hab ich mich ja noch nie beschäftigt." Hier kommen - endlich - die Buddhas ins Spiel, die ja neuerdings in keinem Artikel über den FC Bayern fehlen dürfen. Die kleinen Fernost-Figuren in der neuen FCB-Lounge sind eine Idee von Jürgen Meißner, dem Innenarchitekten, den Klinsmann schon vor zwei Jahren während der WM mit der Umgestaltung des Schlosshotels in Berlin betraut hatte. Guten Energiefluss versprächen die Little Buddhas, berichtet Klinsmann. Aber das sei die Idee des Innenarchitekten, so Klinsmann: "Ich hab so was ja nicht gelernt." Dafür aber jede Menge andere Dinge. Zum Beispiel, dass es hinter dem eigenen Horizont womöglich noch weitergeht.

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