Fabian Hambüchen:Der Held von der Stange

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Der 19-jährige Fabian Hambüchen gewinnt bei der Turn-WM Bronze mit der Mannschaft und wird Zweiter im Mehrkampf - am Sonntag im Reckfinale geht es um Gold.

Volker Kreisl

Eigenartig ist das, die ganze Woche schon. Immer mehr Menschen kommen zu den Wettkämpfen in die Hanns-Martin-Schleyer-Halle, immer mehr Kinder sind dabei, und drinnen halten sie Grußplakate hoch, wie man sie vom Fußball kennt, nur gelten sie nicht einem Verein, sondern einem Turner, Fabian Hambüchen. Immer schriller klingt das Kreischen während der Wettkämpfe, und manchmal erreicht es Höhen, die nur Kehlen bei Tokio-Hotel-Konzerten zustande bringen. Hambüchen aber hat weder gefärbte Haare noch einen Nasenring, nicht mal einen Ohrring. Keine Strähnchen im Haar, keinen aufgegelten Scheitel, nichts. Gut, er hat jetzt eine Freundin, und er sagt offen, dass er sie richtig toll findet, aber er hat keine Liebes-Tätowierung, nicht mal unterm T-Shirt.

Fabian Hambüchens Statur ist klein und eckig, der Spiegel schrieb: quadratisch. Seine Frisur ist kurz und praktisch und sein Gesicht meistens ernst, sehr ernst für einen 19-Jährigen. Das mit den paketförmigen Oberarmmuskeln zieht natürlich immer, aber man sollte es nicht überschätzen. Junge Menschen stehen doch viel mehr auf das anarchische Charisma des Schluffigen. Trotzdem nehmen Teenies für Hambüchens Autogramm blaue Flecken am Absperrgitter in Kauf.

Das Reck - das deutscheste aller Geräte

Am Dienstag hat er dazu beigetragen, dass die deutschen Turner in der Qualifikation auf Platz drei landeten. Zwei Tage später war sein Einsatz nach verfehlter Recklandung maßgeblich für die erste deutsche Bronzemedaille seit 16 Jahren, und am Freitag gewann er im Mehrkampf sogar Silber hinter dem Chinesen Wei Yang und vor Hisashi Mizutori aus Japan. Sein wichtigster Beitrag war wieder der am Reck, diesmal belohnt mit 16,05 Punkten. All die Tage schaute er so ernst und unbeteiligt, als stünde er unter einer Glasglocke. Dabei befand er sich auf der WM-Matte und über ihm spreizte sich die Stange. Am deutschesten aller Turngeräte war Eberhard Gienger 1974 ja Weltmeister und Andreas Wecker 1996 Olympiasieger, das Selbstbewusstsein des riesigen Deutschen Turnerbundes leitet sich sozusagen von dieser Stange ab.

Hambüchen sagt: "Ich bin am Reck besonders angespannt, ich hab' mir da viel vorgenommen." Die Konkurrenz wartet nur darauf, dass er hinunterfällt, denn die stetige Aufstockung der Schwierigkeit seiner Übung in den vergangenen Monaten kann man durchaus provokativ verstehen. Erst turnte er eine A-Note von 6,6, dann 6,8 bei der WM in Aarhus, im Frühjahr wurde er mit einer 7,0 Europameister, seither wird geraunt, er habe die 7,2 bis 7,4 in Reserve. Abzüglich der üblichen der Zehntel in der B-Note, die höchstens zehn Punkte bringt, ergibt das ein für die anderen unerreichbares Ergebnis deutlich über 16 Punkten. Am Sonntagabend hat er damit große Chancen auf Gold.

Vertut er sich um eine Zehntelsekunde, dann greift er nach dem Flug daneben

Es ist kaum vorstellbar, dass Hambüchens Reck-Akribie die jungen Horden in der Halle interessiert, sie sehen nur das Resultat. Dabei beruht seine Stärke gar nicht mal auf besonders viel Überwindung beim Training, sondern auf Talent und Lernfähigkeit. Reckturnen ist ein Spiel mit der Stange. Wer einen Salto mit ganzer Drehung darüber vorführen will, muss sich bewegen können, aber in erster Linie benötigt man Gefühl für die Katapultwirkung der Stange. Die ist verhältnismäßig elastisch, und die Trainer planen die Übungen in Uhrzeiten. Blickt man von der Seite drauf, dann muss Hambüchen vor seinem Kolmansalto die Stange bei Position 18.30 Uhr anspannen wie eine Sehne, damit sie ihn oben in Richtung 12.30 Uhr wegschleudert. Das geschieht über die Beinarbeit während der Riesenfelge zuvor. Vertut er sich um eine Zehntelsekunde, dann greift er nach dem Flug daneben. Für dieses Spiel braucht der Turner ein spezielles Gefühl, Hambüchen hat ziemlich viel davon.

Ein Tattoo hat er nicht, sein Kennzeichen in Stuttgart ist die Tupperschachtel. Er trägt sie von Gerät zu Gerät wie einen treuen Begleiter, nimmt sie mit hinauf auf die Matte, stellt sie neben dem Barren ab, und so weiter. In der Tupperschachtel befindet sich Hambüchens spezielles japanisches Magnesia, auf das er schwört. "Wir haben es endlich geschafft, das zu organisieren", sagt er. Mehr Griffigkeit gibt das, aber es ist vor allem auch ein Symbol für seine Eigenständigkeit. Seit drei Jahren ist er immer im Sommer zu Besuch bei den japanischen Spitzenturnern. Ein großer Teil seiner Fähigkeiten resultiert aus der besonderen Intensität des japanischen Übens. Sein Vater und Trainer Wolfgang hat ihn auf die Idee gebracht und jahrelang mit Japangeschichten genervt, bis Fabian Hambüchen endlich selber hinüberflog. Die Japaner trainieren spontaner, weniger geplant. In den Hallen herrscht mehr Konzentration, außerdem eröffnet sich Hambüchen die Möglichkeit, zwanglos zu experimentieren.

Für manche ist Hambüchen so etwas wie ein Held

Nur zweimal im Jahr tritt er vor großem Publikum auf, meist im Ausland. Seine Ausstrahlung ist kein bisschen ausgeflippt, seine Stärken liegen in der Arbeit im Verborgenen, und trotzdem ist er nun für manche so etwas wie ein Held. Zu erklären ist das nur damit, dass das Unterbewusstsein der deutschen Teenies viel mehr von abstrakten Werten wie Zielstrebigkeit hält als man glaubt. Von der Bereitschaft, an einer Sache jahrelang herumzutüfteln. In der Turnhalle in Wetzlar, wo Hambüchen trainiert, hängt schon der Zettel, auf dem - ganz spielerisch - eine Reckübung skizziert ist, die Hambüchen theoretisch einst erreichen könnte. Das wäre dann eine 7,7.

© SZ vom 8.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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