Evi Sachenbacher-Stehle:Alles total normal

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Die Langläuferin erhält keine Ausnahmegenehmigung. Nur zweimal in fünf Jahren lag sie über dem erlaubten Wert - jedoch ausgerechnet jeweils vor den Olympischen Spielen.

Thomas Kistner

Für sein Team, jammert Langlauf-Bundestrainer Jochen Behle, sei die Sache ,,eine Belastung - nervig, dass es nur noch um Blutwerte geht''. Und für Evi Sachenbacher sei die pünktlich zum Saisonstart aufbrechende Debatte besonders quälend: ,,Da wird von Doping geredet, obwohl sie bei Olympia nur eine Schutzsperre bekam, die damit nichts zu tun hat.'' Dass es daran weiter fundierte Zweifel gibt, ist den Funktionären im Deutschen Skiverband (DSV) selbst anzulasten. Und nicht nachvollziehbar, warum die Athletin beklagt, sie lebe nun in steter Angst vor einer Schutzsperre, weil ihr der Weltskiverband Fis keine Ausnahmegenehmigung für natürlich überhöhte Hämoglobinwerte erteilt hat.

Bekommt keine Ausnahmeregelung: Evi Sachenbacher-Stehle. (Foto: Foto:)

Der Expertenstreit um Sachenbachers Blutwerte hatte den DSV schon in Turin erschüttert - und danach zu einem ebenso stillen wie entlarvenden Personalwechsel geführt. Denn kurz nach Turin wurde der DSV-Antidopingbeauftragte Paul Nowacki gefeuert. Der Gießener Professor für Sportmedizin hatte während der Spiele eine stark abweichende Meinung zum Sachenbacher-Problem vertreten. So kommt es, dass im DSV die alten Kräfte weiter an Bord sind, nicht aber der kritische Dopingbeauftragte, der seine wissenschaftlichen Zweifel durch die jüngste Belastungsstudie Sachenbachers auch noch bestätigt bekam.

Ab 16,0 Gramm roter Blutkörperchen pro Deziliter Blut (17,0 für Männer) wird - aus Gesundheitsgründen, inoffiziell auch wegen Dopingverdachts - eine fünftägige Schutzsperre verhängt. Sachenbacher war dies zu Beginn der Turiner Winterspiele widerfahren; beim ersten Rennen musste sie zuschauen. Ihr Wert hatte bei 16,4 g/dl gelegen, nachdem er fünf Tage zuvor noch 15,4 betrug. Weil zwei der vier möglichen Erklärungen für so sprunghaft ansteigende Blutwerte (extremes Höhentraining, starke Entwässerung, Eigenblutdoping, genetische Anomalie) nachweislich ausschieden, blieben die zwei letztgenannten Möglichkeiten.

Und weil DSV-Teamarzt Ernst Jakob seit 2003 eine Blutanomalität bei Sachenbacher reklamiert, zog der Verband in Turin vor den Sportgerichtshof Cas. Dort erlitt Jakob eine Abfuhr. Fis-Chefmediziner Bengt Saltin wies anhand seiner Datenbank nach, dass Sachenbacher in 50 Vergleichswerte umfassenden Langzeittests seit 2001 stets Werte zwischen 14,0 und 15,6 g/dl hatte, die keinen Sonderstatus rechtfertigten. Jakob blieb den Gegenbeweis ebenso schuldig wie die Athletin selbst, die sich im Sommer gar einer umfassenden Belastungsstudie unterzog. Befund: Alles total normal, kein Persilschein für Sachenbacher.

Nun wird das Fass wieder geöffnet. Schon in Turin hatte sich der DSV zu weit aus dem Fenster gelehnt und Sachenbacher selbst in tränenreichen TV-Interviews erzählt, sie habe immer einen Hämoglobin-Wert von 16,0. ,,Das ist ihr so gesagt worden'', sagte Saltin nach dem Sommertest, ,,die Studie bestätigt das nicht.'' Saltin erkennt eine Taktik des DSV-Arztes Jakob darin, auf natürlich erhöhte Blutwerte zu pochen, die sich ja tatsächlich bei fast jedem Menschen einstellen, der in extremen Höhen ein langes Powertraining absolviert.

Anomalien vor Olympia

Ein Parameter für Anomalien ist das nicht, eher im Gegenteil. Indes verweist Saltin, der bei der Fis aus Altersgründen ausgeschieden ist, auf eine weitere Merkwürdigkeit. Sachenbacher sei nicht nur kurz vor den Turiner Spielen, just beim Saisonhöhepunkt also, klar über dem Grenzwert gelegen, sondern auch pünktlich zum Saisonhöhepunkt 2002 - Olympia in Salt Lake City. ,,Auch da war ihr Wert über 16, wie in Turin'', sagt Saltin. ,,Aber damals lag der Grenzwert noch bei 16,5'' - weshalb es zu keiner Sperre kam.

Das hilft die Unruhe in Funktionärskreisen zu erhellen. Nur zweimal in fünf Jahren über dem Grenzwert zu liegen - klingt nicht gerade nach dramatischer Anomalie. Dass diese beiden Male just jeweils vor Olympia lagen, könnte unbefangene Beobachter irritieren.

Zu all den Ungereimtheiten passt der Rauswurf des kämpferischen DSV-Antidopingbeauftragten. Paul Nowacki hatte schon während der Turiner Spiele erhebliche Zweifel an Teamarzt Jakobs Argumentation geäußert und überdies Vorwürfe gegen Bundestrainer Behle erhoben, der die Tricks in der Langlauf-Szene selbst gut kenne. Starker Tobak von einem Antidoping-Mann. Doch statt den Einlassungen nachzugehen, die sich just im Hinblick auf Jakob/Sachenbacher bestätigt haben, bat der DSV zur Sitzung. Dabei sei er ,,zum Rücktritt gezwungen'' worden, so Nowacki, ,,ich musste sogar unterschreiben, dass ich zum 30. September zurücktreten werde''.

Ob sich die Sicht der internationalen Sportärzteschaft auf wissenschaftliche Blutwerte demnächst grundlegend ändern und der bisher so isolierten deutschen Sichtweise annähern wird? Saltins Posten als Fis-Chefmediziner besetzt nun Hubert Hörterer, Nowackis Rolle als Antidoping-Wachmann übernahm Ludwig Geiger. Beides keine Blutspezialisten, aber DSV-Ärzte.

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