Europaspiele:Minderwertiges Gold

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Mit dem Sieg der Volleyballer feiert die deutsche Delegation einen gelungenen Abschluss der insgesamt fragwürdigen ersten Europaspiele.

Von Volker Kreisl, Baku/München

Die Wischmädchen reinigten das Feld von frischen Schweißtropfen, die Ersatzspieler lockerten sich auf, die Trainer appellierten an ihre Akteure, an die letzte Konzentration. Das Ende des dritten Satzes stand unmittelbar bevor, die deutschen Volleyballer waren kurz vor der Goldmedaille, und in Baku liefen die Rituale eines zugespitzten Volleyball-Endspiels ab. Der Vorteil wechselte, die Trainer nahmen immer mehr Auszeiten, die Wischmädchen wischten, die Ersatzspieler lockerten sich. 3:1 gewann die Mannschaft von Bundestrainer Vital Heynen dann schließlich gegen Bulgarien. Nach Platz fünf bei Olympia 2012 und Platz drei bei der WM scheint dieses Team nicht nachzulassen, nun hat es also eine richtige Goldmedaille geholt, und die Spieler durften sich auch zurecht freuen: "Es ist schön, dass wir in den Geschichtsbüchern stehen werden", sagte Kapitän Jochen Schöps, es war ja die erste Europaspiele-Goldmedaille im Volleyball überhaupt.

Und doch: Schon während des Finales war spürbar, dass dieses Gold von minderer Qualität ist. Der Gegner Bulgarien, den Heynens Team schon in der Vorrunde 3:0 besiegt hatte, war nicht wirklich ebenbürtig. Auf den Rängen klatschten nur wenige Zuschauer, vornehmlich Delegationsmitglieder, Angehörige und Touristen. Und für das wirklich Hochkarätige, für die Olympischen Spiele in Rio 2016, bringt diese Goldmedaille den Deutschen gar nichts. Dafür können sie sich erst nächstes Jahr in einem Extra-Turnier qualifizieren.

Auf dem Höhepunkt: Das deutsche Team zählt zu den EM-Favoriten. (Foto: Vassil Donev/dpa)

Bedenkt man die Auszeiten, die sich viele andere europäische Top-Volleyballer gerade gönnen und dazu den Lauf, den Heynens Team derzeit hat, dann kam auch diese Goldmedaille zum Schlusstag nicht unerwartet. Sie fügte sich ein in den Gesamteindruck dieser ersten Europaspiele von Baku: Es gab so gut wie keine Überraschungen, im Positiven wie im Negativen.

Meistens gewannen die Favoriten. Denn wegen des dichten Wettkampf-Programms im vorolympischen Jahr blieben viele starke Gegner Baku fern. Die Europaspiele waren tip-top organisiert, Michael Vesper, der Vorstandschef des Deutschen Olympischen Sportbunds DOSB, sagte: "Das war eine gelungene Premiere." So top organisiert war alles, so zufrieden waren die Athleten, dass in Baku keine Sportler-Stimme zu hören war, die auf die Missachtung von Grundrechten und den Missbrauch des Sports für die Propaganda hinwies. Zum Thema wurde das eher am Rande, etwa durch die wenigen eigenen Pannen der Top-Organisatoren, als beispielsweise herauskam, dass jener im aserbaidschanischen Fernsehen die Spiele über den Klee lobende englische Tourist in Wahrheit Aserbaidschaner war. Die Sportler waren aber alle echt. Grob konnte man sie in drei Kategorien unterteilen: Die einen nahmen handfeste Erfolge mit, andere einen Motivationsschub, und die große Masse freute sich am olympia-ähnlichen Spirit. Bei den Deutschen bestand die erste Gruppe aus wenigen Athleten: Tischtennis-Sieger Dimitrij Ovtcharov qualifizierte sich direkt für Rio, und die Judoka bekamen zur Spiele-Medaille noch eine echte, traditionelle; ihre Wettkämpfe zählten zugleich als EM. Die zweite Gruppe war größer. Außer den Volleyballern fühlt sich auch Recksieger Fabian Hambüchen im Formanstieg bestätigt, ähnlich manche Junioren-Schwimmer wie die 200-Meter-Lagen-Gewinnerin Maxine Wolters, 16, aus Hamburg. Die Großen schwimmen erst demnächst bei der WM. Und dann war da noch die Gruppe der Sportreisenden, die Olympia-Flair suchten, und zu ihr zählten eigentlich alle. Man traf Athleten aus anderen Ländern im Athletendorf oder man sah ihnen von der Tribüne aus beim Sport zu. Zugleich erwies sich Baku wie schon Peking und Sotschi als weitgehend von Land und Leuten abgeschottetes internationales Treffen. Vielleicht ist es das Verdienst vom Pseudo-Olympia Baku, dass ein wenig die Frage diskutiert wird, was Olympia wirklich sein soll. Nur ein freier Sportvergleich, oder auch ein freier Austausch von Gedanken und ein echter Kontakt von Menschen? Kritische Worte gegenüber Gastgeber und Diktator Ilham Alijew kamen zwar nicht von Sportfunktionären. Doch immerhin: Ein Unwohlsein gegenüber solchen Spielen, ihrem überzogenen Etat, den Kritiker auf neun Milliarden Euro taxieren, und ihrer unechten Hochglanz-Inszenierung schlägt nun womöglich doch noch durch. Die nächste Ausgabe 2019 hatte Rotterdam ja wegen Überteuerung zurückgegeben, worauf unter anderem Russland und auch Weißrussland Interesse anmeldeten. Die entsprechenden Regime würden sich zweifellos bestens präsentieren, und trotzdem plädiert Patrick Hickey, der Präsident des Europäischen Olympischen Komitees, nun für den demokratischeren Westen: Er bezeichnete für 2019 Spiele im westlichen Europa als "wünschenswert".

Im Finale gestoppt: Judoka Miriam Roper (blauer Anzug) unterliegt der Französin Laetitia Blot. Insgesamt holte Roper Team-Silber und Einzel-Bronze. (Foto: Francois Nel/Getty Images)

Einen Tag vor der Schlussfeier 2015 in Baku hatten noch mal Worte des aserbaidschanischen Sportministers Azad Rahimow für Aufregung gesorgt. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) äußerte sich besorgt über dessen Warnung an den Regimekritiker Emin Milli, der von Berlin aus Meydan TV betreibt, jenen Sender, der den gefälschten englischen Touristen entlarvt hatte. Rahimow habe Milli über Dritte die Botschaft zukommen lassen, dass er nicht mehr sicher sei, erklärte ROG. Der Minister habe wissen lassen, der Staat werde ihm nicht verzeihen und man werde ihn kriegen, in Deutschland oder woanders.

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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