Europaspiele in Baku:Höflich im Takt

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Das Niveau der ersten Wettkämpfe bei den umstrittenen European Games in Baku war unterschiedlich. Ringer Frank Stäbler gewinnt die erste deutsche Medaille.

Von Johannes Knuth, Baku/München

Dem Präsidenten war der Stolz anzusehen. Ilham Alijew, Staatschef Aserbaidschans, hatte am Freitagabend gerade die Eröffnungsformel gesprochen, die ersten European Games im Nationalstadion von Baku offiziell freigegeben. Jetzt schossen Feuerwerksfontänen in den Nachthimmel. Und alle applaudierten, knapp 70.000 Zuschauer, der Chef des Internationalen Olympischen Komitees (Thomas Bach), der russische Präsident (Wladimir Putin). 85 Millionen Euro hatten sich die Gastgeber allein die Eröffnungszeremonie kosten lassen, sie hatten Lady Gaga verpflichtet, der Popstar hockte an einem blumenbeladenen Flügel, hauchte John Lennons Klassiker ins Mikrofon: "Imagine all the people / Living life in peace / I hope someday you'll join us / And the world will be as one..." Einige der rund 100 Politiker, Journalisten und Aktivisten, die in diesen Tagen in den Gefängnissen in Bakus Vororten einsitzen, hörten vielleicht noch den Applaus, den Hall der Feuerwerkskörper.

So sieht sie aus, die Welt, wie sie sich Ilham Alijew vorstellt.

Der erste Tag der European Games am Freitagabend hielt so ziemlich das, was sich viele Beobachter von ihm versprochen hatten: Er wurde ein Festakt für den Autokraten, für Alleinherrscher Alijew und seine Familie. Der Sport klatschte höflich im Takt, schwieg ansonsten, weitgehend. Auch der Samstag, der zweite Tag, hielt in weiten Strecken, was viele vermutet hatten: Das Niveau der ersten Wettkämpfe war, vorsichtig formuliert, unterschiedlich. Viele Branchenführer waren nicht angereist. Der internationale Wettkampfkalender ist vollgestopft, eine weitere, kontinentale Leistungsmesse wirkt da (noch) wie ein Fremdkörper. Ein Überblick.

Mountainbike

Mountainbike ist ein toller Sport. Sagt der Kommentator am Mikrofon von Sport1, dem Sender, der in Deutschland Live-Bilder aus Baku verbreitet. Tatsächlich ist es ziemlich aufregend, was die Mountainbiker am Samstag aufführen. Wie sie querfeldein einen Berg hinauf hetzen, ihre Fahrräder einen schmalen Pfad wieder hinunter schieben, im ständigen Kampf mit der Schwerkraft. In solchen Momenten entfalten die Spiele ihre Stärke, da werden Sportarten gebündelt, aus der Nische gezerrt und auf einer größeren Bühne präsentiert, die sie alleine nie ausfüllen könnten. "Beim Mountainbike kann man auch hautnah dabei sein, die Atmosphäre inhalieren", sagt der Kommentator. Wenn jemand anwesend wäre. Das ist nur leider nicht so wirklich der Fall, zumindest nicht am Samstagmorgen in Baku. Und so bezeugten nur ein paar Schaulustige im Zielbereich, wie Jolanda Neff aus der Schweiz die erste Goldmedaille in der Geschichte der Europaspiele gewann, vor ihrer Teamkollegin Kathrin Stirnemann und der Polin Maja Wloszczowska. Deutsche Mountainbiker waren nicht am Start.

Triathlon

Die European Games stecken auch deshalb in einer Sinnkrise, weil viele Athleten gar nicht so recht wissen, worum es für sie eigentlich geht. Um Ruhm und Ehre? Um Selbstbewusstsein? Um sportliche Meriten? Letzteres ist nur in drei Sportarten der Fall, die in Baku auf der Agenda stehen: Tischtennis, Schießen und Triathlon. Hier gibt es Tickets für die Olympischen Spiele 2016 in Rio zu gewinnen. Die besten Deutschen haben sich trotzdem entschuldigt, sie trainieren gerade in St. Moritz, im Höhentrainingslager. Auch die besten Spanier und Franzosen fehlen. Was auch der Tatsache geschuldet ist, dass sich der beste Triathlet in Baku gar nicht direkt für die Spiele qualifiziert, wie DTU-Pressesprecher Oliver Kubanek auf Anfrage erklärt. Der Sieger verschafft seiner Nationen lediglich einen Quotenplatz für Rio. Dieser Sportler kann dann allerdings keine Punkte mehr in den übrigen Qualifikationsrennen in den kommenden Monaten sammeln, mit denen die Deutschen sich zwei weitere Quotenplätze sichern wollen. Verbände mit mehreren Olympiakandidaten (wie der deutsche) sparen sich ihre besten Athleten also lieber auf. Die Deutschen schickten am Samstag Lisa Sieburger (Eschborn) ins Rennen der Frauen, eine Nachwuchsathletin, die sich in Baku fortbilden sollte. Sie wurde 23.

Volleyball

Ob er in Baku ein hochklassiges Turnier erwarte? Keine Ahnung, sagte Frauen-Bundestrainer Luciano Pedullà der Deutschen Presse-Agentur, er wisse noch nicht, ob die Gegner in voller Mannschaftsstärke anreisen werden. Bulgarien, erster Gegner der Deutschen am Samstag, war dann schon mal ordentlich in Form. Zumindest waren die Deutschen auf fünf Sätze angewiesen, ehe sie die Bulgaren 3:2 bezwungen hatten (25:22, 24:26, 10:25, 28:26, 15:10). Die Deutschen treffen in Aserbaidschan in der Gruppe B nun auf Serbien (Montag, 17 Uhr), die Niederlande (Mittwoch, 6 Uhr), Russland (Freitag, 19 Uhr) und Kroatien (Sonntag, 13.30 Uhr). Die jeweils ersten Vier der beiden Sechsergruppen ziehen in die K.o.-Runde ein.

Ringen

Später am Samstag gab es dann auch die erste Medaille für Deutschland. Frank Stäbler, Europameister von 2012 entschied den Kampf um die Bronzemedaille souverän gegen den Georgier Mindia Tsulukidze. Die deutschen Karateka Noah Bitsch und Ricardo Giegler hatten sich ebenfalls um eine Bronzemedaille beworben, verloren allerdings ihre entscheidenden Kämpfe.

Tischtennis

Der Tischtennisspieler Dmitri Ovtcharov tritt in diesen Tagen als Botschafter der European Games auf. Das ist keine leichte Aufgabe, vor allem, wenn man die politischen Umstände bedenkt. "Es ist wie im Tischtennisspiel: Manchmal würde ich vielleicht ein, zwei Züge im Nachhinein anders machen", sagte Ovtcharov. Ovtcharov und Teamkollege Timo Boll ließen sich am Samstag von all dem zunächst nicht beeindrucken, beide führten die deutsche Auswahl zu einem 3:0 gegen Spanien. Zuvor hatten auch die Frauen des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) Ungarn locker 3:0 bezwungen und waren ebenfalls ins Viertelfinale eingezogen. Ach ja, richtete Ovtcharov noch aus, man müsse schon auch bedenken, dass sich in Aserbaidschan in den vergangenen Jahren "viel getan" habe. Da hat er recht. Seit 2012 hat sich die Lage nur eher zum Schlechteren gewendet, wie viele Experten zuletzt beklagten, sie sprechen von Wellen an Verhaftungen und Repressionen. "Die Dinge sind niemals schlimmer gewesen", schrieb die Journalistin Khadija Ismayilova in einem Brief an die "New York Times", kurz bevor die Spiele am Freitag eröffnet wurde. Ismayilova ist eine der inhaftierten Regimekritikerinnen. Sie hatte mit ihren Recherchen belegt, wie sich Mitglieder des Alijew-Clans bereichert hatten.

© SZ vom 14.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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