Europameisterschaften in London:Nie zufrieden sein

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Wenn in Rio ein Deutscher um Olympia-Gold mitschwimmen kann, dann er: Marco Koch. (Foto: Patrick B. Kraemer/dpa)

Den Deutschen droht die erste EM ohne Sieg seit 1958. Marco Koch sagt: "Lieber hier nicht voll vorbereitet als im August."

Von Sven Haist, London

Auf dem Weg aus dem Aquatics Centre im Londoner Olympiapark hält Marco Koch kurz am Beckenrand an und begibt sich zu einem der Startblöcke. Vor ihm befindet ruht das Wasser, hinter ihm kehren ein paar Hilfskräfte kehren den Schmutz des Wettkampftages vonden die Tribünenreihen. Für einen Augenblick wirkt es, als wolle Koch das Finale über 200 Meter Brust vor seinem Auge Revue passieren lassen, bei dem er eben seinen Europameistertitel verloren hat, um sieben Hundertstel an den Briten Ross Murdoch.

Aber dann dreht sich der Deutsche um und geht für ein Foto in die Hocke. Seine rechte Hand legt er aufs Knie, die linke an die Hüfte. Das Bild, das Koch nun von sich machen lässt, ist kein schönes, aber eines, das notwendig ist, um Frieden mit London zu schließen.

Im Sommer 2012 tauchten hier seine Hoffnungen auf eine Medaille bei den Olympischen Spielen ab. Vergessen hat er das nicht. "Als ich ins Becken gesprungen bin, dachte ich: Ach du Scheiße. Nicht schon wieder." Koch ist in dieser Woche einer weiteren großen sportlichen Enttäuschung entgangen; von Schulterproblemen und einer Erkältung geplagt, quälte er sich bei der 33. Schwimm-EM auf Rang zwei. "Lieber hier nicht voll vorbereitet als im August", sagt Koch. Die Medaille verstaute er umgehend in der Tasche. Sowieso sei er keiner, der sich diese Trophäen irgendwo hinhänge: "Ich weiß ja, was ich geleistet habe."

Spartanisches London: Nicht mal ein Maskottchen ist da

Marco Koch, 26, bereits Welt-und Europameister, hat die EM für sich als Testwettkampf verbucht. Sein sportliches Wirken reduziert er auf den 10. August, den Tag, an dem er in Rio de Janeiro der erste deutsche Schwimm-Olympiasieger seit Michael Groß in Seoul 1988 werden könnte. Passenderweise wirbt der Veranstalter auch damit, Durchgangsstation für Athleten zu sein auf dem Weg nach Brasilien. Alles andere ist spartanisch. Die Siegerehrungen finden ohne Nationalflaggen statt, Blumensträuße werden auch keine überreicht - nicht mal ein Maskottchen tanzt durchs Stadion.

Im Hinblick auf eine optimale Olympia-Vorbereitung sieht der Deutsche Schwimm-Verband darüber hinweg, dass ihm nach 1958 die erste sieglose EM bevorsteht. Der DSV schickte abgesehen von Koch und Franziska Hentke, die am Sonntag über 200m Schmetterling die Chance auf eine Medaille besitzt, ein Nachwuchsteam in die englische Hauptstadt.

Schon am frühen Freitagmorgen flog Koch weiter in seine Heimatstadt Darmstadt, am Montag geht es für ihn ins Trainingslager. Mit dem Schweden Erik Persson hat er sich bereits auf gemeinsame Einheiten im türkischen Belek verständigt. Von den direkten Konkurrenten Daniel Gyurta aus Ungarn und dem Amerikaner Kevin Cordes gibt es hingegen keine Spur. "Kevin trainiert nicht mal in den USA, sondern in Singapur", sagt Bundestrainer Henning Lambertz. "Da kommt man nur schwer an Infos heran, aber nachmachen würde sowieso nichts bringen."

Vier Minuten die Luft angehalten

Eine Richtgröße im Wetteifern um Gold ist für Lambertz die Bestmarke des Japaners Akihiro Yamaguchi. Bei Kochs Weltjahresbestzeit von 2:07:69 kam er bis auf 68 Hundertstel an den Rekord heran, von dem es heißt, dass der Sieger ihn unterbieten muss. Um die Erfolgschancen zu erhöhen, hat Koch sein Fernstudium in Wirtschaftspsychologie ausgesetzt. "Einen intelligenten Schwimmer" nennt ihn Lambertz, der alle Bereiche seines Sports abdecke. Die Besessenheit geht sogar so weit, dass Koch die Schlafmatratze bei sich tauschen ließ: "Man kann nur weiterkommen, wenn man nie zufrieden ist und nach neuen Ideen sucht."

Ausgereift ist bloß seine Brusttechnik. Das Gefühl, sich richtig ins Wasser zu legen und eine Einheit zu werden, hebt ihn von der Konkurrenz ab. Jeden Zug lässt Koch ausgleiten, die geringe Frequenz spart ihm Kraft. Er kann länger ohne Sauerstoff auskommen als andere. Im Training ist Koch einmal über 100 Meter weit getaucht, mehr als vier Minuten hat er die Luft angehalten. In Ruhe sei das einfach, sagt er, aber nicht bei "zehn Laktat und 180 Puls" im Rennen.

In zwei Monaten bricht die deutsche Schwimmdelegation auf nach Südamerika. Dann werde er auch an Olympia denken, sagt Koch. Bislang verbindet ihn mit Rio ein Weltcup vor sechs Jahren. Den Jetlag hatte er damals unterschätzt - entsprechend ernüchternd fiel das Ergebnis aus. Von den Attraktionen der Stadt wollte er dann auch nichts mehr wissen. "Wenn ich irgendwann mal mit dem Schwimmen aufhöre, fahre ich gerne noch mal hin für eine Besichtigung, aber jetzt habe ich keinen Kopf dafür." In seinem Kopf ist lediglich der Traum, mit Olympiagold die Karriere abzurunden.

© SZ vom 22.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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