EM-Krimi:Selbst der Himmel weint

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Am Ende war es, als hätten sich alle und alles gegen Italien verschworen: Nach dem 2:1-Sieg über Bulgarien scheidet die Squadra Azzura aus - wird die Schuld aber wohl beim Schiedsrichter und den Skandinaviern suchen.

Der Himmel über Guimarães weinte schon vorher bitterlich. Dieses Omen war etwas penetrant, aber berechtigt: Italien verabschiedete sich glanzlos von dieser EM, und nach dem 2:1 (0:1) gegen Bulgarien dürften viele Tifosi weniger aus Trauer über das Aus denn vor Wut über die Leistungen ihres Teams geweint haben - wenn sie sich nicht gerade über den Referee ärgerten, der Bulgarien angeblich einen Elfmeter schenkte, den Italienern aber einen verwehrte.

Verzweiflung pur: Italiens Torhüter Gianluigi Buffon. (Foto: Foto: AP)

Oder sie schimpften über Schweden und Dänen, die ja tatsächlich - wie angeblich verabredet - 2:2 gespielt hatten. Doch nichts konnte davon ablenken, dass niemand mehr Schuld am Aus Italiens hatte als die Italiener selbst.

Man dürfe nicht an das Duell der Skandinavier denken, hatte Italiens Kapitän Fabio Cannavaro vor der abschließenden Partie verlangt. Stattdessen wolle er den Geist des Schweden-Spiels wieder sehen. Dass der Verteidiger Verstärkung aus der Zwischenwelt anforderte, war nicht verwunderlich, schließlich fehlten den Azzurri mehrere vermeintliche Stammspieler: Außer Totti mussten die Gelb-gesperrten Gattuso und eben Cannavaro ersetzt werden.

Vieri nur auf der Bank

Außerdem hatte sich Christian Vieri abgemeldet, er nahm zunächst nur auf der Ersatzbank Platz - nicht etwa wegen psychischer Überlastung, obwohl seine Tirade am Sonntag gegen Gott und die Medien den Schluss zuließ, er habe sich schmollend und in ein großes Handtuch heulend zurückgezogen.

Für Vieri stürmte zunächst Corradi von Lazio Rom, doch richtig offensiv war zu Beginn nur der Regen, der den Rasen des Estádio Afonso Henriques so rutschig machte, als sei er mit Seifenlauge begossen worden. Fast eine Viertelstunde lang hatten die Italiener mindestens so viel mit der Bodenhaftung zu kämpfen wie mit ihrer Nervosität. Die Bulgaren, denen alles noch mehr wurscht sein konnte als sonst, da sie nach zwei Niederlagen ja bereits billige Rückflugtickets hatten buchen können, kamen schneller mit den Bedingungen zurecht.

Erst nach einem Fernschuss von Martin Petrov (13.) wachten die Italiener auf und kamen in der 14. Minute zu einer spektakulären Doppelchance: Zunächst entschärfte Zdravkov einen Scherenschuss von Fiore. Der Abpraller fiel vor die Füße von Alessandro del Piero, doch der war dermaßen verdutzt, dass er den Ball aus sechs Metern am halbleeren Tor vorbeischob.

Das war es dann aber schon mit den italienischen Offensivbemühungen. Antonio Cassano lief in der Spitze so viel und wechselte so oft die Position, dass nach einer Weile kein Mitspieler mehr wusste, wo er steckte. Zudem klappte die Koordination und Kommunikation mit Corradi nicht, so dass es zu einigen grotesk anmutenden Fehlpässen in den ganz freien Raum kam.

30 Minuten lang passierte fast nichts Nennenswertes, auch weil bei den Bulgaren wieder mal nichts von Dimitar Berbatov zu sehen war - bis zur 44. Minute. Dann wurde er bei einem Zweikampf von Gegenspieler Marco Materazzi so heftig von hinten umarmt, bis er auf den nassen Boden glitt und der russische Schiedsrichter Iwanow auf Elfmeter entschied. Eine Entscheidung, die bei dieser EM nicht überall getroffen worden wäre - aber berechtigt und überdies eine gerechte Strafe war für das ungenügende Spiel der Italiener. Martin Petrov, emsigster Bulgare, verwandelte zum 1:0.

Nach der Pause traten die Italiener endlich so auf wie ein Team, das weiterkommen will. Nach einem Flankenlauf von Zambrotta hämmerte Cassano den Ball an die Latte, von wo dieser nach einer kurzen Hängepartie und einem Fehlgriff von Zdravkov zu Perrotta gelangte, der mit der Hacke aus sechs Metern den Ausgleich erzielte.

Zeit abgelaufen

Das reichte aber noch lange nicht, das Team von Giovanni Trapattoni musste gewinnen, um überhaupt Vorwürfe nach Skandinavien schicken zu dürfen. Deshalb brachte der Trainer doch noch Vieri (53.) für den glücklosen Corradi. Doch Vieri blieb seinem neuen Ruf als Chancentod treu, vergab drei Kopfballchancen (59., 61., 72.).

Ansonsten mangelte es Italiens Elf an Esprit, gefährlich wurde es fast nur, wenn ein blau Gewandeter im Strafraum umfiel, in der verzweifelten Hoffnung auf einen Elfmeter. Doch die Italiener fielen so oft, dass Iwanow auch dann nicht pfiff, als Cassano tatsächlich umgesäbelt wurde (77.). In der Nachspielzeit traf Cassano per Kopf doch noch zum 2:1, aber jede Freude wurde erstickt durch die Kunde vom 2:2 der Skandinavier in Porto. Nun waren die Tränen der Sieger nicht mehr vom Regen zu unterscheiden.

Vielleicht hat das Aus etwas Gutes: Nach dem unglücklich verlorenen EM-Finale 2000 ekelte Staatspräsident Berlusconi Dino Zoff aus dem Amt des Nationaltrainers - obwohl die Italiener ansehnlich und erfolgreich spielten. Es folgte Trapattoni mit seinem unattraktiven Defensivfußball, der es den verbalen Gegnern der Squadra Azzurra leicht machte, wieder zu lästern - und den sportlichen Gegnern die Arbeit ebenfalls erleichterte. Da zudem sowohl bei der WM 2002 als auch diesmal der Erfolg ausblieb, dürfte Trapattonis Zeit abgelaufen sein - und die Sonne zurückkehren.

© Süddeutsche Zeitung vom 23.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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