EM-Hauptrunde:Im Kader der unerreichten Möglichkeiten

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Große Augen beim gelungenen Debüt als Starter: Steffen Fäth im ersten Hauptrundenspiel der DHB-Auswahl gegen Tschechien. (Foto: AFP)

Der beste Spielmacher? Der beste Linksaußen? Noch schöpft die deutsche Mannschaft bei der EM ihr Potenzial längst nicht aus. Das gibt Spielern aus der zweiten Reihe die Chance, aufzufallen.

Von Ralf Tögel, Zagreb

Steffen Fäth ist keiner, der gerne in der Öffentlichkeit steht. In der Vorrunde der Handball-Europameisterschaft in Kroatien hielt sich das Interesse am linken Rückraumspieler der Füchse Berlin auch in überschaubaren Grenzen. Ob Fäth das allerdins genossen hat, ist eine andere Frage. Denn gegen Montenegro stand er nur 1,13 Minuten auf dem Feld, gegen Slowenien keine Sekunde. Im finalen Vorrundenspiel gegen Mazedonien beorderte Bundestrainer Christian Prokop den 27-Jährigen im Angriff in die Startformation, sein Auftritt blieb bescheiden. Das hat sich im ersten Hauptrundenspiel in Varazdin grundlegend geändert.

Die Deutschen hatten die Partie unbedingt gewinnen müssen gegen einen Kontrahenten, der nominell zwar unterlegen zu sein schien, aber die Tschechen hatten Olympiasieger Dänemark düpiert und Ungarn mit einem überzeugenden Sieg auf die Heimreise geschickt. Das nennt man gemeinhin einen Lauf, von etwas Ähnlichem ist der Europameister nach den beiden holprigen Unentschieden gegen Slowenien und Mazedonien meilenweit entfernt. Dass Prokop erneut auf Fäth setzte, war seine erste gute Eingebung in diesem so wichtigen Vergleich. Fäth war der Mann des Spiels, was ihm hernach vom europäischen Verband sogar offiziell bescheinigt wurde, er musste in der Öffentlichkeit stehen. Er wurde nach dem 22:19-Erfolg von der EHF als bester Spieler der Partie ausgezeichnet.

Die erhoffte Wende zum Besseren? Dafür geben immerhin die letzten zehn Minuten Anlass, denn bis dahin würgte sich die deutsche Mannschaft erneut weit unter ihren Möglichkeiten durch das Spiel. Paul Drux erinnerte zwar daran, dass die Tschechen "auch Handball spielen können", gab aber auch zu, dass "sie nicht so die großen Namen haben". In der Tat, Spielgestalter Ondrej Zdrahala, der Dritter der Torschützenliste des Turniers ist und gegen Deutschland vier Treffer erzielte, ist beim TSV St. Otmar/St. Gallen angestellt, nach der EM wird er in der Abstiegsrunde um den Klassenverbleib in der Schweizer Nationalliga A spielen. Routinier Pavel Horak wurde im Herbst seiner Karriere, in der er unter anderem für die Füchse Berlin spielte, vor einem Jahr vom Erstligisten HC Erlangen ausgemustert. Der 35-Jährige organisierte gegen Deutschland nicht nur die Abwehr sehr wirkungsvoll, er strahlte auch im Angriff viel Gefahr aus. Tschechiens bester Torschütze war aber Tomas Cip, beim slowakischen Meister Tatran Presov unter Vertrag, der Rechtsaußen erzielte in der Schlussphase vier seiner sechs Treffer, brachte sein Team so mit 18:16 in Führung und die Aussichten der Deutschen auf die K.o.-Runde in ernste Gefahr. Dann folgte Prokops zweite gute Idee an diesem Abend.

Hanning sieht noch "viel Luft nach oben"

Der Bundestrainer brachte Andreas Wolff ins Tor, für den tadellos haltenden Silvio Heinevetter. Der war aber gegen die Würfe von Cip machtlos, Wolff nicht. Zudem parierte der Kieler einen Siebenmeter von Zdrahala und gab seinen Kollegen damit den entscheidenden Impuls. Im Angriff ging der Bundestrainer ins Risiko, brachte den siebten Feldspieler und ebnete damit den Weg zum dringend nötigen Erfolg.

Denn bis dahin war das Spiel des Titelträgers wiederum von einer schwer erklärbaren Nervosität geprägt. Philipp Weber, einer der besten Spielmacher der so hoch eingeschätzten Bundesliga, leistete sich hanebüchene Fehler im Angriff, spielte den Ball dem Gegner in die Hände oder rannte Kopf voraus ins Stürmerfoul. Selbst Uwe Gensheimer, den viele für den weltbesten Linksaußen halten, vergab mehrmals völlig unbedrängt gegen Tschechiens starken Keeper Tomas Mrkva.

Auch die Rückraumspieler Julius Kühn und Kai Häfner, die in der deutschen Beletage zu den gefährlichsten und erfolgreichsten Schützen zählen, enttäuschten einmal mehr. Prokop gab beiden Einsatzzeiten, beide wussten sie nicht zu nutzen. Was ja bislang auch für Fäth galt, der nach den ersten beiden Spielen noch mit hängenden Schultern in die Kabine getrottet war. Nun stand er in der Arena in Varazdin und machte den Eindruck, als sei es ihm peinlich, so ins Rampenlicht gezerrt zu werden.

Immerhin: Die Abwehr wird stärker

Fäth ist ein Spieler, der viel Zuspruch brauche, hatte Bob Hanning erklärt, offenbar hatte Bundestrainer Prokop die richtigen Worte gefunden. Hanning ist neben seinem DHB-Vizepräsidentenamt ja Manager der Füchse, er nennt Fäth einen "meiner Jungs". Der Berliner sei ein gutes Beispiel, was in dieser Mannschaft stecke, so Hanning, denn neben Häfner, Weber und Kühn sind auch Steffen Weinhold und Paul Drux Akteure, bei denen es "viel Luft nach oben" gebe.

Positiv bleibt indes festzuhalten, dass sich die Defensive weiter gesteigert hat. "Von Spiel zu Spiel", wie Routinier Weinhold feststellte. Die Abwehr ist nicht das drängende Problem, ihr hatte Prokop mit der Nachnominierung von Finn Lemke die entscheidende Stabilität gegeben. Nun reagierte der Trainer auch auf das sich verfestigende Formtief seines Kapitäns Gensheimer und holte den Kieler Rune Dahmke für Linksaußen nach. In Maximilian Janke muss nach Bastian Roschek nun der zweite Leipziger weichen, beide Nominierungen waren bekanntlich kritisiert worden. Beiden Novizen war die fehlende Erfahrung anzumerken. Prokop will damit Druck von Gensheimer nehmen, der wie das Gros der Spieler reichlich verunsichert wirkt.

Trotz aller Defizite stehen dem Europameister alle Möglichkeiten im Turnier offen. "Wir haben noch kein Spiel verloren", erinnerte Hanning. Das können in der Tat nur das Überraschungsteam Mazedonien und der souveräne Weltmeister Frankreich von sich behaupten, freilich muss sich der Europameister für die Vergleiche mit derlei Schwergewichten steigern.

Die warten nun: am Sonntag Olympiasieger Dänemark (18.15 Uhr/ARD), drei Tage später folgt Spanien. Fäth sagte nach der Partie zu seiner Leistung, dass "es jetzt nicht immer so sein muss". Das entspricht seinem zurückhaltenden Naturell - und es ist nicht einmal zwingend notwendig. Es gibt ja reichlich Kollegen mit Luft nach oben.

© SZ vom 21.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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