Eklat von Mailand:Wenn Faschisten die Kurve kriegen

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In vielen Stadien Italiens stehen Rechtsradikale auf der Fantribüne - der Fußball spielt schon lange gleichsam im rechtsfreien Raum.

Von Birgit Schönau

Es war zunächst nur eine beiläufige, fast lässige Geste, denn Nelson Dida hatte das ja schon so oft gemacht. Ein Dutzend Flaschen aus dem Tor kicken, ein paar brennende Feuerwerkskörper aus dem Strafraum holen - als Torwart ist man doch immer viel schneller als die Feuerwehr.

Getroffen: Milans Torhüter Nelson Dida. (Foto: Foto: dpa)

Dida weiß genau, wo er die Dinger anfassen muss, um sich nicht zu verletzen. Gerade hatte der deutsche Schiedsrichter Markus Merk ein Tor von Esteban Cambiasso annulliert. Die wütenden Anhänger von Inter Mailand hinter Didas Tor schleuderten alles, was sie bei sich hatten, auf das Spielfeld. Und das war eine Menge.

Feuerwerkskörper vor allem, Leuchtraketen in einer Masse, als gelte es, Silvester und den Sieg in der Champions League gleichzeitig zu feiern. Dabei war Inter in diesem Viertelfinal-Rückspiel gegen den Lokalrivalen eigentlich schon draußen.

2:0 hatte der AC Mailand das Hinspiel gewonnen, 1:0 führte die Mannschaft von Ministerpräsident Silvio Berlusconi auch jetzt. Inters Schicksal war besiegelt, daran hätte Cambiassos Tor auch nichts mehr ändern können.

Mit dem Ausscheiden hatten die Inter-Tifosi gerechnet. Mehr noch: Sie hatten es erwartet. Mit Dutzenden von Raketen bewaffnet waren sie in das GiuseppeMeazza-Stadion gezogen. Natürlich sind Feuerwerkskörper verboten, doch in Mailand hat niemand verhindert, dass sie auf die Tribüne mitgenommen wurden. Und auch anderswo gehören sie zur normalen Kulisse. An jedem Spieltag sammeln Profi-Fußballer in Italien Feuerwerkskörper vom Feld. Und die Amateure tun es auch.

Verwüstete Bahnhöfe, Tränengas, rassistisches Gegröle

Als Dida dann von einer Rakete getroffen wurde, sank er zu Boden. Zum Glück war er nur leicht an der Schulter verletzt worden. Eine Verbrennung wie von einer Zigarettenspitze, hieß es später. Da hatte Schiedsrichter Merk die Partie schon abgepfiffen. Spielabbruch infolge von Fankrawallen. Die Inter-Spieler waren sauer.

"Die Wut unserer Tifosi nach einem zu Unrecht annullierten Tor ist verständlich", sagte der Kolumbianer Ivan Cordoba. Die ganze Mannschaft und auch der Trainer bemühten fast ausnahmslos dieselben Phrasen. Niemand mochte eindeutig die Hooligans in der eigenen Fankurve verurteilen.

Das übernahm am folgenden Tag Silvio Berlusconi - in einer offiziellen Note aus dem Palazzo Chigi.

Die Politik allerdings hatte sich schon vorher des Problems annehmen müssen: Der Eklat von Mailand ereignete sich genau eine Stunde, nachdem im römischen Innenministerium eine Krisensitzung zum Thema Fangewalt zu Ende gegangen war.

Und kurz davor hatte Innenminister Giuseppe Pisanu angekündigt, die "Stadien der Gewalt" demnächst einfach zu schließen. "Ich bin nicht länger bereit, blindwütige Gewalt hinzunehmen, die in erster Linie die Ordnungskräfte trifft," sagte er.

In Rom hat es im vorigen Jahr ein vorzeitig abgepfiffenes Derby mit 170 Verletzten gegeben, die meisten von ihnen Polizisten. Auch ein Champions- League-Spiel war in der Hauptstadt in dieser Saison bereits abgebrochen worden. Da hatte den schwedischen Schiedsrichter Anders Frisk eine Münze im Gesicht getroffen, die von der Vip-Tribüne aus geworfen worden war.

Verwüstete Bahnhöfe, Tränengaseinsätze, rassistisches Gegröle und Messerstechereien verzeichnen die Polizeiberichte jeden Sonntag - und durchaus nicht nur in der Ersten Liga. Nach jedem Spieltag melden sich in Radiosendungen Dutzende von Familienvätern zu Wort: "Basta, es reicht. Nie wieder bringe ich meine Kinder ins Stadion."

Über Jahre hat sich die Gewalt nahezu ungestört ausbreiten können. Die meisten Fankurven sind fest in rechter Hand, und rechtsextrem zu sein, ist in Italien unter Berlusconi kein Tabu mehr.

Der Ministerpräsident selbst hat nicht ausgeschlossen, bei der nächsten Parlamentswahl ein Bündnis mit der Splitterpartei der "Duce"-Enkelin Alessandra Mussolini einzugehen. Zu ihrer "Sozialen Alternative" gehört auch die neofaschistische Bewegung "Forza Nuova", die ihre schlagkräftigen Mitglieder aus den römischen Fankurven rekrutiert.

Hakenkreuze im Fanblock

Auf der Vip-Tribüne in Rom zeigen sich gern die Politiker der postfaschistischen Nationalen Allianz, die mit Frau Mussolini zwar nichts mehr zu tun haben wollen. Aber die Aufregung über Hakenkreuze im Fanblock verstehen sie auch nicht. "Wir müssen auch die andere Seite sehen", erklärte zum Beispiel Italiens Landwirtschaftsminister Gianni Alemanno: "Die linken Fans aus Livorno zeigen ja auch rote Fahnen und geballte Fäuste."

Der Fußball spielt schon lange gleichsam im rechtsfreien Raum. Berlusconi hat mit immer neuen Notverordnungen bankrotten Klubs den Klassenerhalt gesichert, weil er um die Wählerstimmen ihrer Tifosi bangte. Zugleich hat er die Politisierung des Fußballs nicht nur geduldet, sondern bewusst betrieben. Als Präsident des AC Mailand musste er vor kurzem zurücktreten, weil ihn das von seiner Koalition entworfene Gesetz über Interessenkonflikte dazu zwang.

Als Patron bleibt er weiter im Sattel. Sein Vize bei Milan, Adriano Galliani, ein alter Freund aus gemeinsamen Gründertagen beim Privatfernsehen Mediaset, ist Chef der Profiliga.

Gerade haben Berlusconis Fernsehsender den Klubs mit den meisten Anhängern - Juventus Turin, AC Mailand und Inter Mailand - lukrative Verträge für die digitalen Übertragungsrechte beschert.

Tifosi, die die neuen Decoder kaufen, erhalten einen Zuschuss vom Staat. Vor zwei Wochen fiel dem Sportdirektor des AS Rom, Franco Baldini, ein, diese Entwicklung zu kommentieren. "Anstatt von einem Interessenkonflikt würde ich eher von gemeinschaftlichen Interessen sprechen", sagte er. Tags darauf wurde er von seinem Klub suspendiert.

"Rom ist faschistisch"

Die Fans verstehen solche Zeichen, und es gibt eine Frage, die Fabrizio Toffolo aus dem Konzept bringt. Toffolo ist der Chef der organisierten Anhänger des italienischen Erstligisten Lazio Rom. Die etwa 7000 Fans nennen sich Irriducibili, die Unbeugsamen.

Mit den rechtsgerichteten Inter-Tifosi sind sie verbrüdert. Fragt man ihn also, warum sie nicht einfach wie andere Leute auch ins Stadion gehen, um sich ein Fußballspiel anzusehen, dann schaut der 40-jährige Römer so, als könne er soviel Naivität nicht fassen. "Wir haben unseren politischen Standpunkt", sagt er. "Und den wollen wir auch vertreten."

Vergangenen Sonntag, beim Spiel von Lazio Rom gegen ASLivorno, war es mal wieder soweit. Die Irriducibili zeigten ein paar Hakenkreuzfahnen und ein großes Spruchband, auf dem stand: "Rom ist faschistisch." Toffolo war nicht dabei. Wegen Körperverletzung hat er noch Stadionverbot bis nächstes Jahr. Aber Giuseppe Papadopulo war im Stadion.

Wie immer saß er auf seinem Platz. Er habe nicht auf die Fankurve geschaut, sagte er später. "Ich konzentriere mich auf das Spielfeld. Ob die Fans Bananen oder Hakenkreuze hochhalten, ist mir sowieso egal." Papadopulos Platz ist die Trainerbank von Lazio Rom.

© SZ vom 14.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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