Eistanz:Schlusskapitel mit Twizzle

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Die Kanadier Tessa Virtue und Scott Moir werden nach der nächsten beeindruckenden Vorstellung zu den erfolgreichsten Eiskunstläufern der Olympia-Geschichte.

Von Barbara Klimke

Der erste Satz von Jane Austens "Stolz und Vorurteil" lautet: "In der ganzen Welt gilt es als ausgemachte Wahrheit, dass ein begüterter Junggeselle unbedingt nach einer Frau Ausschau halten muss." Am Dienstag hat das Eis-Duo Kavita Lorenz/Joti Polizoakis gezeigt, dass man so einen Roman auch tanzen kann. Und zwar in der Schnellversion von vier Minuten. Das junge Paar, beide 22, interpretierte die Musik zur Romanverfilmung von 2005 in seiner Eistanz-Kür; die Wahl war nicht schwer gefallen, weil "Pride and Prejudice" zu den Lieblingsbüchern der Familie Lorenz zählt. "Anbetungswürdig", fand Trainerin Marina Suewa den Vortrag, "pur und stilistisch sauber". Als feststand, dass die Juroren die Olympia-Premiere der Debütanten mit Platz 16 honoriert hatten, sagte sie ihnen eine "große Zukunft" voraus.

Eistanz ist die Disziplin, die neben ausgezeichneter Schlittschuhtechnik zwei weitere Voraussetzungen erfordert, Musikalität sowie die Gabe, Geschichten zu erzählen. Die Faszination entfaltet sich erst in der Verbindung der Elemente, im künstlerischen Gesamtpaket, und in der Kür sind der Kreativität wenig Limits gesetzt.

Alle Tänzer in Gangneung beteiligten sich an diesem Storytelling auf Kufen, wie es die kanadische Olympiasiegerin Tessa Virtue nannte, die mit Partner Scott Moir ihr drittes Gold gewann. Virtue/Moir entführten ins Paris der Jahrhundertwende, ihr Programm "Moulin Rouge" bot "Drama, Leidenschaft, Aggression, Eifersucht und gebrochene Herzen"; also das, was auch aus einem Gemälde von Toulouse-Lautrec herauszulesen ist. Weit romantischer veranlagt sind dagegen die zweitplatzierten jungen Franzosen Gabriella Papadakis und Guillaume Cizeron, die zu Beethovens Mondscheinsonate tanzten. Mit ihrem Ballet aus Traumsequenzen wollten sie verdeutlichen, "welch großes Geschenk die Kunst für alle Menschen ist", wie Gabriella Papadakis sagte. Dafür verdienten sie sich einen Punkte-Weltrekord, der aber nicht reichte, um Virtue/Moir einzuholen. Bei den Dritten schließlich, den US-amerikanischen Geschwistern Maia und Alex Shibutani, beschränkte sich das narrative Element aufs eigene Fortkommen: zu Coldplays "Paradise" reflektierten sie, "woher wir kommen und wer wir sind".

„Drama, Leidenschaft, Aggression, Eifersucht und gebrochene Herzen“: All dies steckte im Vortrag des Siegerduos Tessa Virtue und Scott Moir. (Foto: Phil Noble/Reuters)

Die besten Geschichten aber schreibt auch bei Eiskünstlern immer noch das Leben, und falls die Olympiasieger Tessa Virtue, 28 und Scott Moir, 30, auf die Idee kämen, ihre Karriere auf dem Eis mit Hebungen und Twizzles zu schildern, läge das Skript sogar schon vor: Bereits vor acht Jahren veröffentlichten sie ihre Autobiografie ("Tessa and Scott: Our Journey from Childhood Dream to Gold") - ohne zu ahnen, dass noch ein paar Kapitel folgen sollten. Sie siegten 2010 bei den Winterspielen in Vancouver, liefen vier Jahre bis Sotschi weiter, wo sie Silber im Tanz und im neu eingeführten Eiskunstlauf-Teamwettbewerb eroberten, dann zogen sie sich zurück.

Fortan traten sie bei lukrativen Shows wie "Stars on Ice" auf - bis Olympia wieder näher rückte und sie das alte Feuer spürten. "Den Esprit, das Training, den Wettkampfgeist" hätten sie vermisst, erklärte Moir. Und weil sie neue Reize brauchte, suchten sie sich neue Trainer und siedelten sich in Montreal im Eislaufzentrum von Marie-France Dubreuil, Patrice Lauzon und Romain Haguenauer an. Es gehört zu den Kuriositäten dieser Disziplin, dass sie sich dort die Eiszeiten mit den Olympia-Zweiten und zweimaligen Weltmeistern Papadakis/Cizeron teilen. Die Konkurrenz, so erklärten die Rivalen unisono, habe sie alle vier zu Höchstschwierigkeiten angestachelt. Die jungen Franzosen, erst 23 und 22 Jahre alt, haben die Altmeister in Südkorea mit der Mondscheinsonate noch nicht überflügeln können: Virtue/Moir gewannen mit Kanada den Teamwettbewerb, dann die Eistanz-Konkurrenz und dürfen sich nun dank fünf Medaillen die erfolgreichsten Eiskunstläufer der Olympia-Geschichte nennen. Jedoch haben sie den kleinen Vorteil, dass es für Legenden wie Sonja Henie (1928, 1932, 1936) noch keine neumodischen Team-Medaillen gab. Aufgestockt wird die Sammlung aber nicht mehr, erklärte Moir: "Das war's jetzt für uns."

Die innovativsten Eistänzer, auch das machte dieser Wettbewerb deutlich, werden derzeit in Nordamerika ausgebildet. Und so war es eine mutige Entscheidung, dass das deutsche Duo Kavita Lorenz und Joti Polizoakis aus Oberstdorf vor drei Jahren in die USA umzog. Inzwischen wohnen sie in Detroit und profitieren davon, dass ihre Trainerin Marina Suewa auch die neuen Olympia-Dritten, die Geschwister Shibutani, betreut. "Sie sind gute Freude", sagte Kavita Lorenz, "und sie helfen uns." Zu Lehrgängen fliegen sie nach Deutschland, und mitunter reist Bundestrainer Martin Skotnicky an, um Rat zu geben und den Fortschritt zu überprüfen, der in dieser Disziplin schon immer langsam vonstatten geht. "Eistanz braucht Zeit", betonte Skotnicky am Dienstag in Gangneung. "Das ist nicht wie der normale Eiskunstlauf, wo man einen vierfachen Lutz springt und nach vorn kommt." Er verwies auf die Franzosen Papadakis/Cizeron, die seit acht Jahren zusammen tanzen; bei Virtue/Moir sind es 20 Jahre. Marina Suewa erzählte, dass Preisrichter sie auf ihr deutsches Paar und das schöne Programm zu "Stolz und Vorurteil" ansprachen. Schon das ist ein Erfolg. Mit dem Wohlwollen der Preisrichter hat so manche Geschichte im Eistanz angefangen.

© SZ vom 21.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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