Eisschnelllauf :Einsam in Chemnitz

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Nico Ihle (links) und Alexej Baumgärtner haben sich bei den Olympischen Spielen in Sotschi ein Zimmer geteilt. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Bei Olympia überraschte Nico Ihle als Vierter. Nun droht er die WM zu verpassen und wird zur Symbolfigur für den Niedergang des Eisschnelllaufs in Deutschland.

Von Alexander Mühlbach, Inzell

Nico Ihle atmet tief durch, bevor er den Satz sagt, der ihn schon die ganze Saison begleitet. "Eigentlich hab' ich es ja drauf", sagt der Eisschnellläufer, "aber ich kann meine Leistung einfach nicht abrufen." Ihle verzieht das Gesicht und blickt in das weite Rund der Inzeller Max-Aicher-Arena, wo gerade die Zeremonie zu Ende ging, bei der er eigentlich dabei sein wollte: die Siegerehrung für das Rennen über 1000 Meter in der B-Gruppe des Weltcups. Dort muss hin, wer aufsteigen will in die A-Gruppe, um wieder zu den Besten zu gehören und eine Chance zu haben, sich für die WM Mitte Februar in Kolomna in Russland zu qualifizieren. Bei den Olympischen Spielen im vergangenen Winter in Sotschi verpasste Ihle über 1000 Meter das Siegertreppchen nur um 0,12 Sekunden. Nun aber sieht es zunehmend so aus, als könnte die WM ohne ihn stattfinden.

Der 30 Jahre alte Chemnitzer versucht, seinen Misserfolg zu erklären. "Die Disqualifikation ist eigentlich gar nicht so schlimm", sagt Ihle, der unerlaubterweise eine Begrenzungslinie touchiert hatte. "Ich war mit der Zeit von 1:10,70 Minuten sowieso unzufrieden." So, wie er schon am Freitag mit seiner Zeit über 500 Meter unzufrieden war, als er als Fünfter ebenfalls den Aufstieg in die A-Gruppe verpasste. Vor zwei Wochen, beim Weltcup in Salt Lake City/USA, war er auch nicht glücklich. Vor drei Wochen in Calgary/Kanada ebenfalls nicht. Eigentlich war Ihle nach jedem Rennen in dieser Saison unglücklich. "Ganz ehrlich", sagt er, "so eine Situation hatte ich in meiner Karriere noch nie."

Sein Bruder Denny fällt mindestens sechs Monate aus

Ihle wirkt ratlos. Dabei kennt er den Weg aus dem Tief: Er muss seine Technik besser aufs Eis bringen. Schneller einen gleichmäßigen Schritt finden, die Kurven besser ausfahren. "Aber technisch gut zu laufen, ist gerade einfach schwierig", sagt Ihle. In diesem Winter ist fast alles schwierig.

Vor der Saison zogen sich seine beiden Trainingspartner Verletzungen zu. Sein Bruder Denny riss sich beim Fußballspielen im Garten mehrere Bänder; er fällt mindestens sechs Monate lang aus. Der fünfzehnmalige deutsche Meister Samuel Schwartz wird die komplette Saison wegen einer Hüftverletzung fehlen. Also trainiert Nico Ihle jetzt alleine. Adäquaten Ersatz für die ausgefallenen Trainingspartner zu finden, ist derzeit nicht möglich.

Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) steckt in einer schweren Krise. Bei den Winterspielen 2014 gab es zum ersten Mal seit 50 Jahren keine deutsche Eisschnelllauf-Medaille. Zudem laufen ihr die Mitglieder davon. Um mehr als sechs Prozent sind die Zahlen im vergangenen Jahr zurückgegangen. So groß ist der Schwund in keiner anderen olympischen Sportart hierzulande. "Es fehlt an der Basis", hat Sportdirektor Robert Bartko zu Saisonbeginn geklagt und hinzugefügt, dass auch "die Breite an Spitzenathleten nicht mehr vorhanden" sei. Kein Wunder, dass sich manche Athleten nach Alternativen umschauen. Patrick Beckert, der in der vergangenen Saison WM-Bronze über 10.000 Meter gewann, wechselte zu einem niederländischen Privatteam.

Patrick Beckert quält eine Knochenhautentzündung am Knöchel

Ihle übt jetzt einsam auf der Chemnitzer Freiluftbahn - auch wenn ihm das schadet. "Als meine beiden Trainingspartner noch fit waren, musste man nicht immer selbst für das Tempo sorgen", sagt Ihle: "Während man sich versteckte, konnte man sich auch mal ganz auf seine Technik konzentrieren."

Ihle will trotz der Krise weitermachen. Für die DESG bleibt er eine der wenigen vagen Chancen auf gute Platzierungen - zusammen mit Patrick Beckert und Claudia Pechstein. Aber bei den beiden läuft es auch nicht wirklich gut. Beckert hat inzwischen eine so starke Knochenhautentzündung am Knöchel, dass er sich durch jedes Training quälen muss. Pechstein, inzwischen 43, lief in Inzell als Achte über 5000 Meter ebenfalls weit am Siegertreppchen vorbei.

© SZ vom 06.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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