Eishockey-WM in Tschechien:Die Brust ist wieder etwas breiter

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Bange Blicke bis zum Schluss: Nicht nur Bundestrainer Pat Cortina (im Anzug) schaute sorgenvoll drein, bis das 2:1 über Lettland feststand. (Foto: Andreas Pranter/Witters)

Ein Videobeweis kurz vor Schluss beschert der deutschen Auswahl einen 2:1-Sieg über Lettland. Damit hat sie nun sogar noch die Chance, das Viertelfinale zu erreichen.

Von Johannes Schnitzler, Prag

Was macht man, wenn man bei einer Weltmeisterschaft mal frei hat? Ausruhen, klar. Den Kopf durchlüften. Spaß haben. Das Team USA nutzte seine zweitägige Pause zwischen den Spielen gegen Russland und Weißrussland zu einer bemerkenswerten Reise: Die US-Boys, dafür berüchtigt, Trips durch Europa mental eher mit leichtem Gepäck anzugehen, fuhren mit dem Bus nach Auschwitz und besuchten das ehemalige Konzentrationslager; vom Gruppen-Spielort der Amerikaner in Ostrava sind es nur 70 Kilometer Luftlinie.

Die deutsche Mannschaft hat bei diesem WM-Turnier keine zwei Tage Pause am Stück, sie muss sieben Mal in zehn Tagen antreten, von allen Teilnehmern hat sie das dichteste Programm. 24 Stunden nach dem 3:4 gegen Schweden musste sie am Freitag also schon wieder ran, gegen Lettland. Back to back nennen sie das, Rücken an Rücken, wenn man ein Spiel gerade hinter sich und das nächste schon vor der Brust hat. "Das Spiel gegen Schweden gibt uns Moral, wir werden sehen, ob auch die Kraft reicht", hatte Bundestrainer Pat Cortina vor der Partie gesagt. Sie reichte gerade so. Deutschland gewann vor 15 494 Zuschauern gegen Lettland 2:1 (0:1, 0:0, 2:0). Die Brust ist wieder etwas breiter.

Die Ausgangslage war diffus: Bei einem Sieg hatten die Deutschen weiterhin Chancen aufs Viertelfinale, andererseits drohte ein Abstiegsendspiel am Montag gegen Österreich, das am Nachmittag Gastgeber Tschechien 0:4 unterlag. "Also, ich habe keine Lust auf ein Endspiel gegen Österreich", sagte Patrick Reimer. Der Nürnberger war 2013 dabei, als die Deutschen im letzten Spiel der Olympia-Qualifikation scheiterten: an Österreich.

Cortina musste auf Stephan Daschner verzichten, der nach seinem Ausschluss gegen Schweden für ein Spiel gesperrt worden war. Für ihn rückte erstmals der Berliner Jens Baxmann in den Kader, was zugleich bedeutet, dass Oliver Mebus (Krefeld) seine erste WM als Tourist beenden wird: Alle 25 Lizenzen sind vergeben.

Baxmann bekam auch gleich die erste Strafe, doch Dennis Endras, der nach zwei Spielen ins Tor zurückgekehrt war, hielt seinen Kasten frei von umherfliegenden Pucks. Nico Krämmer vergab die Chance auf sein zweites WM-Tor, Edgars Masalskis war bereits geschlagen, doch Krämmer schob die Scheibe am lettischen Tor vorbei. Und dann war es soweit: Die Deutschen kassierten ihr erstes Unterzahltor bei diesem Turnier, nach 251:05 Minuten. Lauris Darzins verwertete einen perfekten Pass durch die deutsche Abwehrbox (12.). Die Deutschen bekamen im ersten Drittel drei Strafen, die körperlich starken Letten keine. Sie spielten disziplinierter.

Die Aussprache nach den ersten Niederlagen erwies sich schon gegen Schweden als fruchtbar

Die Letten blieben auch im zweiten Drittel gefährlich. Klare Chancen konnte sich keine der beiden Mannschaften erspielen. Patrick Hager lieferte sich einen Ringkampf mit Rodrigo Abols, geriet aber schnell in die Unterlage. Der Live-Ticker des Weltverbands IIHF meldete "no game action". Das erwartet zähe Kampfspiel hatte seinen Lauf genommen. Nach 40 Minuten lagen die Deutschen bei den Strafen 5:0 vorne, doch nach Toren führten die Letten immer noch 1:0.

Die erste Strafe gegen die Letten war dann gleich eine große. Janis Sprukts hatte Patrick Köppchen gefällt, Deutschland bekam die Chance auf fünf Minuten in Überzahl. Und nutzte sie. Kapitän Michael Wolf drückte den Abpraller nach einem Reimer-Schuss ins Tor, 1:1 (47.). Die nächste Chance, gleich danach, blieb ungenutzt. Die Deutschen waren nun am Drücker, Lettlands Coach Alexander Beliavski nahm eine Auszeit. NHL-Profi Tobias Rieder lief einen Konter, Yasin Ehliz versuchte es, Matthias Plachta. Masalskis hielt. Scheinbar. Dann kontrollierten die Referees das Video. Ergebnis: Plachtas Schuss war drin, 2:1 (58.). Die Deutschen hatten das Spiel gedreht!

Unter der Woche hatten sie sich zu einer Aussprache getroffen, es hatte sich einiges angesammelt in den Tagen davor, nach dem traumatischen 0:10 gegen Kanada und dem 0:1 gegen die Schweiz. Etwa die Diskussion um das richtige Powerplay-System, die Stürmer Thomas Oppenheimer öffentlich gemacht hatte. "Wir haben uns einfach zusammengesetzt und jeder hat mal gesagt, was vielleicht anders gemacht werden soll", berichtete Plachta. Sein Mannheimer Teamkollege Kai Hospelt fand, die Aufregung um ein paar interpretierbare Sätze Oppenheimers sei "Kirmes", Verteidiger Moritz Müller witzelte über "Oppigate". Andere wie Reimer aber meinten, "vielleicht war es ganz gut, dass der Oppi was gesagt hat": So gab es wenigstens Gesprächsstoff.

Als fruchtbar bezeichnet man eine solche Aussprache wohl, wenn danach ein Spiel gelingt, wie es Cortinas Team gegen die Schweden zeigte. "Man hat gesehen, dass wir auch einen Großen an den Rand einer Niederlage bringen können, wenn der mal keinen Sahnetag erwischt", sagte Wolf: "Gegen Lettland müssen wir mit derselben Intensität antreten." Lettland gehört zwar nicht zu den ganz Großen. Aber es ist Neunter der Weltrangliste, vier Plätze vor Deutschland. Die Letten waren in Sotschi Achte. Am Freitag konnte man sehen, wie die Deutschen zumindest die Halbgroßen besiegen können.

© SZ vom 09.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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