Eishockey-WM in Kanada:Heimkehr an die Wiege

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Kanada hat das Eishockey erfunden - nun findet erstmals eine Weltmeisterschaft dort statt.

Wolfgang Gärner

Man könnte das Problem auch ganz kurz abhandeln: Warum fand noch nie eine Eishockey-Weltmeisterschaft in Kanada statt? Weil die Kanadier um diese Jahreszeit im Eishockey was besseres zu tun haben. Und warum findet ausgerechnet im Jahre 2008 die WM in Kanada statt? Weil der Eishockey-Weltverband genau 100 Jahre alt ist, und die Kanadier fanden, es sei ein gelungenes Geburtstagsgeschenk, wenn sie ihm das Jubiläumsturnier ausrichten. Dass bis jetzt noch nie eine WM in Kanada war, ist ein Kuriosum - so, als hätte noch nie eine Fußball-WM in England, Brasilien oder Deutschland stattgefunden. In Kanada wurde diese Sportart zuerst ausgeübt, hier gibt es immer noch viel mehr Aktive als irgendwo anders, Kanada ist (neben den USA) einer von zwei Partnern in der besten Liga der Welt - der NHL - , und von Kanada aus machen sich alljährlich Tausende von Profis auf den Weg als Gastspieler im Ausland.

Bislang ist man in Kanada nur gewöhnt, mit den einheimischen NHL-Klubs zu jubeln (hier die Montreal Candadiens). (Foto: Foto: Reuters)

1920 erstmals olympisch

Wer hat's erfunden? Die Kanadier, und als die Europäer (Belgien, Frankreich, Großbritannien und die Schweiz) am 15. Mai 1908 in der Rue de Province in Paris den internationalen Eishockeyverband (damals LIHG, inzwischen IIHF) gründeten, war schon 14 Mal der Stanley Cup ausgespielt worden. Mit dem Mann, der sich Eishockey als eine zivilisiertere und auf Schlittschuhen betriebene Spielart des gälischen Shinty ausdachte, kommt früh Halifax ins Spiel, der Ort, an dem die deutsche Nationalmannschaft ihr Vor- und Zwischenrundenprogramm absolviert.

Die Stadt in Neuschottland ist nicht direkt ein Hotspot des Eishockey und derzeit überregional nur repräsentiert durch die Halifax Mooseheads, Mitglied der Quebec Major Junior Hockey League. Aber das erste Regularium für das Spiel, formuliert 1870 von James George Aylwin Creighton, trägt den Namen Halifax-Rules. Nach denen wurde am 3. März 1875 das erste offizielle Spiel der Geschichte in Montreal ausgetragen, und es gewann Creightons Team der Universität McGill 2:1 gegen die Mannschaft Victoria eines gewissen Fred Torrence.

Erst 20 Jahre später wurden in Europa die ersten Versuche gewagt, 1905 fand in Paris das erste Länderspiel (Belgien gegen Frankreich) statt, und zu den ersten Europameisterschaften im Januar 1910 in Les Avants bei Montreux traten neben den Teams von Schweiz, Großbritannien, Deutschland, Belgien außer Konkurrenz auch die Oxford Canadiens an, gebildet aus kanadischen Studenten. Der Weltverband war tatsächlich ein europäischer Verband, auch noch, als 1920 Eishockey auf dem Programm der olympischen Sommerspielen in Antwerpen stand. Unter den Teilnehmern waren auch Kanada und USA, zwar noch nicht Mitglieder der LIHG, aber dem Rest der Welt hoffnungslos überlegen.

Helm ab zum Wurf

Gold gewannen die Winnipeg Falcons, beim Kongress nach dem Turnier traten beide amerikanischen Staaten der LIHG bei. Fortan waren die Kanadier nicht mehr nur zuhause sich selbst genug, sondern dominierten ihren Nationalsport weltweit, und bis 1947 in Prag die Tschechoslowaken als erstes nicht-amerikanisches Team Weltmeister wurden, hatten die Kanadier den Titel schon elfmal gewonnen. 1952 wurden sie, vertreten durch die Edmonton Mercurys, zum sechsten Mal Olympiasieger, danach aber 50 Jahre lang nicht mehr. 1961 wurden sie, vertreten durch die Trail Smoke Eaters, zum 19. Mal Weltmeister, danach 33 Jahre lang nicht mehr.

An der Tatsache, dass die Profis der National Hockey League nicht für die internationalen Turniere zugelassen wurden, entzündete sich ein Jahre währender Streit und eine gründliche Entfremdung beider Parteien. 1970 traten die Kanadier wegen dieses Zwists als Ausrichter der WM (Schauplätze wären Montreal und Winnipeg gewesen) zurück, Schweden sprang als Veranstalter ein, noch gravierender war, dass die Erfinder fortan die Weltmeisterschaften boykottierten - bis 1977, als in Wien erstmals NHL-Profis mitspielen dürfen. Medaille gewannen sie damals noch keine, und was sie von den internationalen Gepflogenheiten hielten, demonstrierte ihr Starstürmer Phil Esposito, indem er den Helm, der ihm durch die Regularien zwei Wochen lang aufgezwungen worden war, nach dem letzten Spiel auf die Tribüne in Richtung der Verbands-Granden schleuderte.

Allmählich gewöhnte man sich aber an die internationalen Gepflogenheiten, 1994 in Mailand konnte Team Canada unter Anleitung von George Kingston (der ein Jahr später Bundestrainer in Deutschland wurde) endlich das Erbe der Trail Smoke Eaters antreten, und mit dem olympischen Finale 2002 zwischen Kanada und Team USA erfüllte sich der Traum der Gründerväter. Nun war es an der Zeit, dass Kanada mal den Gastgeber für die Weltmeisterschaft macht - mit einer kleinen Einschränkung: Die Hochburgen des Landes stehen dafür nicht zur Verfügung - nicht Calgary, Montreal, Vancouver, Ottawa, Edmonton oder Toronto, kein Platz, an dem die NHL zuhause ist. Dann eben in die Provinz, nach Halifax, oder Quebec City, wo sie kein NHL-Team mehr haben, seitdem die Nordiques 1995 nach Denver verkauft wurden. Aber Kanada ist überall Eishockey-Land, und endlich kommt die Weltmeisterschaft mal nach Hause - tatsächlich zum ersten Mal.

© SZ vom 02.05.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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