Eishockey-Nationalteam:Verflixte Unterzahl

Lesezeit: 3 min

Nur selten kamen die deutschen Stürmer so nah ans finnische Tor wie Marcus Kink. Und wenn, war Torhüter Mikko Koskinen zur Stelle. (Foto: Matt Slocum/dpa)

Aus dem 2:5 gegen Finnland zum Turnierauftakt zieht Bundestrainer Marco Sturm die Lehre, dass seine Mannschaft unnötige Strafzeiten fortan vermeiden muss.

Von Johannes Aumüller

Patrick Reimer darf als erfahrener Eishockey-Spieler gelten. 35 Jahre ist der Stürmer von den Nürnberg Ice Tigers inzwischen alt, seit mehr als anderthalb Jahrzehnten spielt er in der höchsten deutschen Liga (DEL), mehr als hundert Partien hat er fürs Nationalteam absolviert. Aber dieses Spiel, das er gerade hinter sich hatte, als er den Gang hinunter kam, war auch für ihn etwas Besonderes gewesen. Sein erster olympischer Auftritt lag hinter ihm, und so wie ihm erging es - bis auf zwei Ausnahmen - allen eingesetzten Spielern. Entsprechend nervös hatten viele Debütanten im Spiel agiert: "Es ist was Neues, das kann man keinem verübeln", fasste Reimer das Erlebte und Erlittene in einem Satz zusammen.

2:5 endete die Auftaktpartie gegen Finnland, aber die Vertreter der deutschen Mannschaft haben nicht wirklich grollen wollen. Einerseits ist es natürlich gemein, gegen einen so starken Gegner das Turnier beginnen zu müssen; andererseits ist es nicht schlecht, Spiele gegen starke Gegner zum Ablegen der Nervosität nutzen zu können. Die nächste Partie wird kaum einfacher, es geht gegen Weltmeister Schweden (an diesem Freitag, 13.10 Uhr MEZ). Erst im dritten Vorrundenspiel gegen Norwegen (Sonntag, 4.10 Uhr MEZ) können sich die Deutschen realistischerweise etwas ausrechnen - und dann die K.-o.-Phase angehen, für die sie unabhängig von den Vorrunden-Resultaten qualifiziert sind.

Erstmals seit 2010 ist ein Männerteam des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) wieder bei Olympia dabei. Es ist zwar allen klar, dass sie als Außenseiter angereist sind, aber sie haben schon ein paar Ansprüche und Erwartungen an sich. Zweimal schafften sie es zuletzt ins Viertelfinale einer Weltmeisterschaft, und das Olympia-Turnier ist ohnehin ein besonderes, weil die Stars aus der nordamerikanischen Profiliga NHL und damit die weltbesten Eishockey-Spieler kollektiv fehlen. Entsprechend gehen nun viele davon aus, dass sich das Leistungsniveau anpasst und es Überraschungen geben kann. So verloren gleich zum Turnierbeginn die favorisierten Russen gegen die Slowakei und die USA gegen Slowenien (jeweils 2:3) - und Gastgeber Südkorea konnte Tschechien zumindest so ärgern, dass es nur 1:2 verlor.

Ein bisschen mögen die Deutschen gegen Finnland auch auf einen solchen Effekt gehofft haben, doch der trat nicht ein. Sie konnten aber für sich in Anspruch nehmen, dass sie trotz des eindeutig klingenden Ergebnisses ordentlich gespielt hatten: ein eher zögerliches erstes Drittel (1:2), dann ein guter zweiter Abschnitt, an dessen Ende sich das DEB-Team aber einen Doppelpack zum 1:4 einfing, dann ein ausgeglichenes Schlussdrittel. "Du brauchst das perfekte Spiel. Aber die drei, vier, fünf, sechs, sieben Fehler waren halt zu viel", sagte Bundestrainer Marco Sturm.

Er war nicht unzufrieden, als er nachher im feinen Zwirn vor den Journalisten stand. Sturm hatte stets auf die erschwerten Bedingungen hingewiesen. Gleich sieben NHL-Akteure fehlen ihm, von Angreifer Leon Draisaitl bis zu Torwart Philipp Grubauer; er hat seinen Kader notgedrungen aus lauter DEL-Profis nominieren müssen. "Das ist ein anderes Level hier und ein anderer Speed", sagte Sturm.

Vor allem in der Offensive fiel ihm immer wieder der Unterschied auf zwischen der Struktur der eigenen und der gegnerischen Mannschaft. Die eigene hatte zwar mehr Schüsse aufs Tor (24:20), aber die gegnerische hatte die gefährlicheren - und die effizienteren. "Die hatten halt immer einen Mann vor dem Tor", sagte Sturm, und das sei etwas, was es in der DEL traditionell zu selten gebe. Da kämen die Stürmer ohne Präsenz vor dem gegnerischen Tor aus. "Das haben uns die guten Nationen voraus, da schießt man die Tore." Er habe das selbst auch erst in seiner eigenen Profi-Phase in den USA gelernt, und man könne nur versuchen, das immer wieder anzusprechen und zu trainieren.

Das Verhalten vor dem gegnerischen Tor ist aber nicht die einzige grundsätzliche Sache, die Sturm vor den nächsten Spielen ansprechen dürfte. So war auch auffällig, wie oft die Deutschen Strafzeiten kassierten - darunter manche unnötige. "Wir hatten zu viele Strafzeiten. Das kann man sich gegen große Nationen nicht erlauben", sagte Sturm. Fünf gab es insgesamt, drei Treffer fielen in Unterzahl, exemplarisch war die Szene in der 38. Minute. Da waren die Deutschen beim Stand von 1:2 eigentlich am Drücker, doch Felix Schütz leistete sich ein Foul - Unterzahl und kurz danach stand es 1:3.

Routinier Patrick Reimer verband die Unterzahl-Kritik aber auch mit einem positiven Aspekt: "Wir haben gesehen, dass wir auch gegen eine starke finnische Mannschaft mithalten können, wenn wir fünf gegen fünf spielen," sagte er. Sie müssten künftig nur häufiger komplett sein.

© SZ vom 16.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: