Edgar Davids:Extraterrestrischer Pitbull

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In der niederländischen Nationalmannschaft bildet Edgar Davids die Ausnahme. Er ist kein Schönspieler, kein Ballzauberer sondern der Mann fürs Grobe.

Von Birgit Schönau

Und dann wäre da noch der Mann mit der Brille. Nicht irgendein dezentes Nasenfahrrad, sondern ein extravaganter, unübersehbarer, dicker, schwarzer Brummer. Die dunklen Gläser lassen Edgar Davids erst recht extraterrestrisch erscheinen, aber ohne geht's nicht.

Hart im Austeilen, zäh im Einstecken: Edgar Davids (Foto: Foto: AP)

Einmal hatte es Davids, der seit Jahren an einer Augenkrankheit leidet, mit Tropfen versucht. Die bekamen ihm gar nicht, denn eine der in der Medizin verrührten Substanzen steht auf der Doping-Liste. Also Brille auf und durch, womöglich wird man für seinen Gegner noch unberechenbarer, wenn der einem nicht in die Augen sehen kann.

Mit der Brille ist Edgar Davids noch besser geworden. Vielleicht, weil er damit paradoxerweise noch mehr Blicke auf sich zieht als früher. Oder weil sie ihn abschirmt gegen die Außenwelt, ihn mit dem Ball allein lässt. Unter Hollands Individualisten ist Edgar Davids der größte Eigenbrötler.

Seine früheren Kollegen von Juventus Turin spotteten einmal, Davids habe sich sogar über die Geburt seines ersten Kindes eisern ausgeschwiegen. Auch in Italien war Davids immer ein Alien. Man beobachtete, dass er als Einziger auf Mannschaftsfotos nie lächelte. Effizient auf dem Platz und draußen undurchdringlich. Einer, mit dem man nicht warm wird. "Pitbull", nannten sie ihn oder "Piranha", nicht gerade Kosenamen für einen Fußballer, der fast acht Jahre in der Serie A gespielt hat.

Rekord an roten Karten - beeindruckend

In Holland mosern Anhänger des schönen Spiels, er sei bloß ein "mittelmäßiger Rackerer", kein Vergleich mit den anderen Künstlern aus Surinam. Es stimmt, Davids rackert. Und schultert damit die ganze Mannschaft. Er ist einer, der läuft und kämpft und kämpft und läuft, der hart austeilen kann und zäh einstecken, den Stürmern präzise die Bälle auf die Füße setzt und weiter hinten alles wegbeißt. Nicht immer sieht das gut aus, aber beeindruckend ist es doch. Besonders in der holländischen Nationalelf.

Am meisten fällt er auf, wenn er gar nicht mitspielt. In Italien wollen sie ihn unbedingt zurückhaben. Als Davids 1996 mit 23 Jahren zum AC Mailand kam, bekam er keinen Fuß in die Mannschaft. "Wir sind endlich den faulen Apfel los", rief ihm sein Teamgefährte Billy Costacurta nach, als er zwei Jahre später zu Juventus wechselte. Mit Juve hatte Davids knapp 160 Einsätze, gewann drei Meistertitel und stellte einen neuen Rekord an Roten Karten auf.

Aber das war kein Problem. Der Klub stand hinter Davids, als er wegen Dopings (Nandrolon) für vier Monate gesperrt wurde und als die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung einleitete. Davids' Lebensgefährtin Sarah hatte einer niederländischen Zeitung berichtet, der Fußballer habe sie über Jahre geschlagen. "Einmal hat er mich so gewürgt, dass ich dachte, der bringt mich um." Ihre Wunden seien des öfteren vom Juve-Vereinsarzt behandelt worden, "der stellte keine Fragen." Vor dem Staatsanwalt nahm Sarah alles zurück.

Edgar Davids' Ruf ist trotzdem ramponiert. Er hat, vorsichtig ausgedrückt, kein liebenswertes Image. Piranha. Frauenschläger. Aber man braucht ihn. Weil er keine Gehaltskürzung akzeptieren wollte, lieh Juve ihn im Januar an den FC Barcelona aus, den er innerhalb weniger Monate aus der Talsohle heraustackelte.

Begehrter Pitbull

Davis funktioniert wie gewisse Manager, denen man auch keine Sympathie unterstellen würde, deren Einsatz aber unabdinglich sein kann, um ein Unternehmen aus der Krise zu bringen. Ohne irgendjemandem in die Augen zu sehen. Juve wurde ohne ihn nur Dritter, Barcelona kletterte mit ihm nach oben. Jetzt will ihn Inter Mailand, und obwohl Davids vergangene Woche verlauten ließ, er wolle den Vertrag mit Barcelona um drei Jahre verlängern, lassen die Italiener nicht locker.

"Davids wird das Spiel gegen Deutschland entscheiden", hat der ehemalige Schalke- und Hertha-Trainer Huub Stevens gesagt. Hollands Coach Dick Advocaat hat bewiesen, dass "Pitbull" für ihn kein Schimpfwort ist. Schönspielen reicht nicht, Oranje braucht einen Rackerer. 1996 hatte Guus Hiddink Davids frühzeitig von der EM nach Hause geschickt, weil er ihm Aufruhr im Kader anlastete.

Diesmal ist Davids gegen die Presse angelaufen. "Ihr schreibt unsere Nationalmannschaft kaputt", hat er niederländische Reporter angeraunzt. Üblicherweise pflegt Davids zur Presse überhaupt keine Beziehungen. Lieber Brille auf. Und rackern.

© Süddeutsche Zeitung vom 15.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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