Ecuador:Mit dem Feuer der Vulkane

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Immer hieß es, Ecuador könne nur in seiner hochgelegenen Hauptstadt Quito gewinnen - jetzt steht es souverän im Achtelfinale.

Peter Burghardt

Am lustigsten findet Luis Suárez immer die Frage nach der Höhe. Ecuadors Trainer stützt den Kopf auf die rechte Faust und setzt ein charmantes, aber leicht spöttisches Grinsen auf, zur Feier des Tages trägt er eine orangefarbene Krawatte zum dunklen Anzug.

"Wir haben bewiesen, dass nicht nur die Höhe unsere Stärke ist" - Ecuadors Trainer Luis Suarez. (Foto: Foto: Reuters)

Wieder staunt jemand, wie gut sein Team auf Meereshöhe zurechtkommt, gerade hat es in Hamburg 3:0 gegen Costa Rica gewonnen und das Achtelfinale erreicht. Hatte die Mannschaft vom Äquator ihre zweite WM-Qualifikation hintereinander nicht wieder der dünnen Luft ihrer Hauptstadt Quito zu verdanken gehabt, 2850 Meter hoch in den Anden gelegen?

Dort oben ging auch Brasilien und Argentinien die Puste aus, und der Außenseiter erreichte Platz drei in der Südamerikagruppe. "Wir haben bewiesen, dass nicht nur die Höhe unsere Stärke ist", antwortete Suarez nach dem 2:0-Sieg im ersten Spiel gegen Polen auf Schalke, da gelang auch der nächste Erfolg im bundesdeutschen Flachland.

Unterschätzt vom Rest der Welt

Die Anpassungsfähigkeit der Lungen seiner Profis hatte der Rest der Welt offenbar zum Teil unterschätzt, nachdem 2002 in den Tiefen Japans und Südkoreas bereits in der Vorrunde Schluss gewesen war.

Dabei ist es so, dass die meisten von Suárez' Auserwählten zwar tatsächlich in Quito beschäftigt sind, unter den Vulkanen, 16 von 23 Mann insgesamt. Aber viele von ihnen stammen aus dem Chota-Tal wie Agustin Delgado oder von der Pazifikküste wie Carlos Tenório aus der Hafenstadt Esmeralda, beide trafen wie gegen Polen auch gegen Costa Rica.

Iván Kaviedes, der dritte Torschütze, ist bei Argentinas Juniors in Buenos Aires angestellt, Mittelfeldspieler Luis Valencia bei Recreativo Huelva in Südspanien und Kollege Edwin Tenório im feuchtheißen Guayaquil.

Sie alle hatten schon vorher manchmal so sauerstoffreich geatmet wie an der Elbe, und die Arena verließen keine geduckten Indios, sondern große Kerle mit breiter Brust.

Zum Glück haben der lustige Kolumbianer Suárez und seine freundlichen Ecuadorianer Humor und Geduld mit weniger gut informierten Berichterstattern, überhaupt reagieren sie auf den vorläufigen Höhepunkt der nationalen Sportgeschichte mit einer sympathischen Mischung aus Rührung und Selbstbewusstsein.

Ihre 13 Millionen Landsleute stehen Kopf, das ist ihnen klar, viele von ihnen flüchten mit ihrer Hilfe aus der deprimierenden Gegenwart der Krisenrepublik mit ihren ständigen Protesten und Machtwechseln und der endemischen Armut. Wieder einmal sei diese Auswahl "eine Ikone des Landes und ein Emblem, um das Selbstwertgefühl der Ecuadorianer zu heben", schreibt die Zeitung El Comercio, die mitgereisten Journalisten gehören zu den temperamentvollsten Fans.

"Das Team ist ein Beispiel dafür, zu was Ecuador fähig ist", lobt Präsident Alfredo Palacio, der wegen des Sturzes zweier Vorgänger an die Macht gekommen war und bedenklich wankt. Der Taumel in Gelbblaurot hilft vorübergehend auch ihm. "Für ganz Lateinamerika ist der Fußball Ausweg aus seinen Problemen", sagt Edwin Tenório und fühlt "ein enormes Glück", aber wirklich überrascht ist er ebenso wenig die das Gros seiner Mitspieler.

Sie ahnten, dass sie gut sind, und sie wissen, dass sie gegen Polen und Costa Rica sogar besser waren als die so hemmungslos gefeierten Deutschen. Wenn man Carlos Tenório fragt, ob er Torschützenkönig werden will und Spieler des Turniers, dann sagt er keine Floskeln, sondern: "Ja klar".

Auch gegen Deutschland will er selbstverständlich gewinnen und Gruppensieger werden und Weltmeister. "Wir haben uns nicht für ein Spiel vorbereitet, sondern für viele", sagt er mit fester, lauter Stimme. "Niemand nimmt sich vor, zu verlieren, es spielen elf gegen elf, und es dauert 90 oder 92 Minuten", da kann ihm niemand widersprechen.

"Wir werden immer anspruchsvoller", sagt Luis Suárez, "wir können weiter Geschichte machen. Die Mannschaft ist sehr kräftig und reif, intelligent in jedem ihrer Blöcke und sehr solide." Wieso nicht auch Alemania bezwingen und als Nummer eins in die nächste Runde einziehen? Die Taktik will sich der coole Suárez wie üblich beim Joggen überlegen, Anfang kommender Woche an der Spree. Etwa 30 Meter über dem Meer.

© SZ vom 17.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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