Doping im Sport:Schlupfloch durch Enzym UGT2B17

Lesezeit: 3 min

Eine schwedische Studie belegt eine genetische Veranlagung, bei der Doping-Tests auf Testosteron nicht anschlagen.

Thomas Kistner und Thomas Hahn

Die Nachricht, die Jenny Jakobsson Schulze am 23. November 2007 im Hörsaal der Karolinska-Universität an der Stockholmer Alfred-Nobel-Allee kundtat, war offenkundig so alarmierend, dass die Sportwelt seitdem in Deckung blieb. Denn die Forschungsergebnisse der Schwedin erinnern auf peinvolle Weise daran, dass die aktuelle Testmethodik auf Testosteron-Doping zweifelhaft ist, und: Sie drohen viele schlafende Hunde zu wecken. Jakobsson Schulze arbeitete mit ihrer Forschergruppe heraus, dass die genetische Einzelveranlagung des Menschen den Hormon-Stoffwechsel so sehr beeinflusst, dass dadurch der nach den Dopingregeln im Sport geltende Testosteron-Grenzwert von 4:1 (Verhältnis von Testosteron zum Abbauprodukt Epitestosteron, kurz T/E) bei bestimmten Typen nie überschritten wird - nicht einmal wenn große Mengen Testosteron künstlich zugeführt werden. Umgekehrt kann die genetische Veranlagung dazu führen, dass Menschen Testosteron so stark abbauen, dass sie sogar ungedopt über den Grenzwert gelangen.

Weil den meisten Asiaten ein Enzym fehlt, haben sie einen genetischen Vorteil bei Doping-Tests. (Foto: Foto: AFP)

Gute Nachrichten also für prominente Testosteron-Fälle wie den disqualifizierten Tour-de-France-Sieger von 2006, Floyd Landis, oder den Sprint-Olympiasieger Justin Gatlin (beide USA), weil die schwedische Studie auf ihre mögliche Unschuld hinweist? Eher nicht, wenn man Wilhelm Schänzer hört, den Chef des Antidopinglabors in Köln. Dass manche Menschen auch ohne Doping verdächtige T/E-Quotienten aufweisen, "das ist nichts Neues", sagt er.

Vorteil für Olympia-Gastgeber

Deshalb werten die Dopinganalytiker die T/E-Erhebung auch eher als erste Sichtung, nach der sie auffällige Werte einer sogenannten Isotopen-Analyse unterziehen. "Wo wir einen Verdacht haben, wird damit ein Dopingnachweis erfolgen, der dann auch gerichtsfest ist", sagt Schänzer. 266 solcher Nachanalysen habe es 2007 bei den rund 13000 Tests in seinem Labor gegeben - 17 Proben der 266 endeten als Dopingfall.

Allerdings bleibt die Erkenntnis, dass der aktuelle Testosteron-Test Schlupflöcher lässt, die gerade dem Gastgeber bei den bevorstehenden Olympischen Spielen in Peking Vorteile verschaffen könnten. Denn die Stockholmer Pilotstudie an 165 Probanden zeigt auch, dass gerade Asiaten aus dem fernöstlichen Raum - China, Japan, Korea - zu täuschend niedrigen T/E-Quotienten neigen. Laut Jenny Jakobsson Schulze sieben Mal mehr als Europäer.

An drei verschiedenen Probanden-Typen hatten die Stockholmer Wissenschaftler bei ihrer Studie die Wirkweise des körpereigenen Enzyms UGT2B17 überprüft, das körpereigene und fremde Stoffe abbaut. Ergebnis: Etwa zehn Prozent der Schweden (und damit dem Großteil der Europäer) fehlt das Enzym, unter Fernostasiaten ist es gleich bei 65 bis 70 Prozent nicht vorhanden. Rund 40 Prozent dieser Probanden, denen das Enzym fehlt, wiesen bei der Testreihe zu keiner Zeit einen T/E-Quotienten von 4 oder darüber auf. Dabei hatten die Wissenschaftler ihnen kräftig Testosteron gegeben: 360 Milligramm betrug die erforschte Dopingdosierung.

Auf der nächsten Seite: Die Studie belegt, dass ein Zusammenhang zwischen genetischer Veranlagung und Testosteron-Verträglichkeit besteht - und die Folgerung für die Dopinganalytik.

Die Studie ist seriös. Der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel hält es für "ausgeschlossen", dass eine noch erforderliche größer angelegte Studie die vorgelegten Ergebnisse komplett widerlegt. Und das Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism, das den schwedischen Beitrag veröffentlichte, gilt als hochrenommierte Wissenschaftspublikation, deren Artikel einen sorgfältigen Sichtungsprozess durchlaufen. Zudem bestätigt das Studienergebnis, dass manche, womöglich sogar viele Sportler nie als Testosteron-Doper auffallen würden - und damit alte Sorgen seriöser Dopinganalytiker. "Das Problem kennen wir seit Jahren", sagt Schänzer.

Sörgels Sorge

Neu an der Studie ist der Nachweis, dass ein Zusammenhang zwischen genetischer Veranlagung und Testosteron-Verträglichkeit besteht. Und die Folgerung für die Dopinganalytik: "Individuelle Gentests als Zusatz zu der gängigen Urin-Analyse würden die Sensibilität des Tests verbessern", sagt Jenny Jakobsson Schulze. Sörgel stimmt trotz leiser juristischer Bedenken zu: "Ein Urintest ohne diesen genetischen Test ist, wie wenn man einen Wert auf Sexualhormone in der Medizin unabhängig vom Geschlecht sehen würde." Nach Schänzers Erkenntnis wiederum würde das Problem am effektivsten bekämpft, indem man für alle Sportler individuelle Steroidprofile anlegt, von denen man unnatürliche Veränderungen ablesen kann. "Die Forderung von mir besteht seit sieben, acht Jahren", sagt er.

Fritz Sörgel findet die Stockholmer Studie "richtungsweisend". Aber er verbindet auch eine Sorge damit. "Mit diesen Ergebnissen", sagt er, "lädt man natürlich die Sportler dazu ein, sich ganz schnell mal testen zu lassen, ob man der genetisch bestens ausgestattete Doper ist." Sofern sie das nicht schon getan haben.

© SZ vom 25.04.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: