Doping im Sport:"Der Geist ist aus der Flasche''

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Die Publizistin, frühere Olympia-Athletin und Ärztin Heidi Schüller über den fahrlässigen Umgang der Gesellschaft mit dem Sport.

Interview: Thomas Hahn

SZ: Frau Schüller, haben Sie jemals geglaubt, dass der Sport sauber ist?

Heidi Schüller sprach 1972 bei den Spielen in München den olympischen Eid. Kurz darauf beendete sie ihre Karriere und wurde Ärztin. (Foto: Foto: dpa)

Heidi Schüller: Als junge Athletin ja, natürlich. Als ganz junge Sprinterin war ich unbedarft wie alle anderen auch.

SZ: Was ist dann passiert?

Heidi Schüller: Dann habe ich im Trainingswinter '72 vor Olympia erlebt, dass es in deutschen Leistungszentren zumindest einzelne Sportler gab, die im Kraftraum saßen, ihre Taschen aufmachten und Anabolika in großen Plastikdosen rausholten, die sie über schwedische Sportstudenten angeblich aus DDR-Beständen bekommen hatten. Und die sie händchenweise nahmen, nach dem Motto: Ich nehme drei mehr als du. Und mir selbst ist Anfang 1972 mal - aber das ist lächerlich, das muss man nicht überbewerten - im Umfeld des Trainings Effortil angeboten worden, ein Kreislaufmittel, oder alternativ ein Glas Sekt. Ich habe das Glas Sekt genommen. Ich war doch gesund. Ich denke, so testeten die aus, ob man dafür ein Ohr hat.

SZ: Wer hat Ihnen das angeboten?

Heidi Schüller: Nicht mein Trainer, das muss ich dazu sagen. Sondern da stehen ja immer eine Menge Figuren drumrum.

SZ: Ihr Trainer war ...

Heidi Schüller: ... Bernd Knut (heute noch Trainer bei Bayer Leverkusen, d. Red.), vor dem ich großen Respekt habe. Der hat mir damals, als Doping möglich war, gesagt: Heidi, das Spiel fangen wir erst gar nicht an. Ich will dir in 20 Jahren noch in die Augen gucken. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Aber wer Dopingmittel wollte, der wusste, über welche Quellen er welche hätte bekommen können.

SZ: Wie entwickelt man als junge Athletin so ein moralisches Empfinden, nein zu Doping zu sagen?

Heidi Schüller: Das hatte mit moralischem Empfinden nichts zu tun. Das hatte etwas mit meinem Medizinstudium zu tun. Ich wusste, was Kardiaca oder anabole Steroide in größeren Dosierungen bewirken. Also, um das klarzustellen: Der Gedanke, ob ich damit einen Konkurrenten betrüge, wäre mir damals nicht gekommen. Ich war ja keine Heldin.

SZ: Sie hatten damals keine Möglichkeit, die Vergehen anzuzeigen?

Heidi Schüller: Es hätte auch garantiert keiner wissen wollen. Diese Medaillenzählerei und diese Ost-West-Konflikt-Situation im Sport war damals noch extremer. Es war durchaus bekannt, dass im Osten in vielen Disziplinen kräftig geschluckt und gespritzt wurde. Und dass wir im Westen im Grunde hoffnungslos verloren waren, bis auf ein paar Ausnahmen, die es auch ohne geschafft haben.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Heidi Schüller mit 22 Jahren ihre Karriere beendete und welche Erfahrungen sie mit dem Dopingkontrollsystem der siebziger Jahre gemacht hat.

SZ: Haben Sie deshalb nach 1972 Ihre Karriere beendet? Mit 22?

Bei der EM in Stuttgart trat Birgit Dressel noch im Siebenkampf an, ein Jahr später starb sie. Schüller vermutet eine allergische Reaktion ihres Körpers auf Medikamente. (Foto: Foto: dpa)

Heidi Schüller: Soll ich ehrlich sein?

SZ: Möglichst.

Heidi Schüller: Mehr Popularität als damals bei den Spielen in München konnte ich nicht kriegen. Ich hätte diesen Level an Popularität und Leistung halten müssen, und das kann man nur, wenn man einen unheimlichen Biss hat. Den Biss hatte ich nicht mehr. Ich wollte Ärztin werden.

SZ: Sportärztin natürlich.

Heidi Schüller: Nee, ich wollte von Anfang an nicht Sportmedizin machen. Das habe ich auch 1972 im Aktuellen Sportstudio laut und vernehmlich gesagt, dass ich mich nicht um die - freundlich formuliert - ,,Wehwehchen'' der Sportler kümmern wollte, sondern um richtig Kranke.

SZ: Sind Sportärzte damals nicht ernst genommen worden?

Heidi Schüller: Doch, anfangs schon. Sie hatten nur so ein Schattendasein außerhalb der richtigen Fakultäten. Aber es war mir auch klar, auf was Spitzensportmedizin hinausläuft.

SZ: Nämlich worauf?

Heidi Schüller: Naja, auf die Ausreizung von Maximalleistungen. Und dazu muss man wissen, dass viele Sportler schon im Training am Limit arbeiten. Die enorme Herzgröße von Herrn Merckx (Eddy Merckx, belgisches Radidol der siebziger Jahre, d. Red.) war immer bekannt. Auch, dass die Sportler teilweise schon im Trainingsbereich Hypertrophien hatten. Und wenn man dann wie heute im Wettkampfbereich noch mit Eigenblut oder Epo die Ausdauerleistung steigert und damit die Viskosität des Blutes - dann hört für mich der Spaß auf. Epo macht das Blut zähflüssig, führt zu Thrombose- und Infarktneigung. Epo wird zum Beispiel bei Tumorpatienten gegeben, die zu wenige rote Blutkörperchen haben. Wer so was als Arzt im Sport unter dem Signum der Medizin mitmacht, ist für mich disqualifiziert. Ein für allemal.

SZ: Das Dopingkontrollsystem Anfang der siebziger Jahre war...

Heidi Schüller: ... nicht existent. Also, ich habe Dopingkontrollen als Aktive nicht erlebt. Was auf dem grauen Markt passierte, entzog sich sowieso der Kontrolle. Nach dem Todesfall der Siebenkämpferin Birgit Dressel 1987, zu dem ich damals ein Interview mit einem von Dressels Ärzten, dem Freiburger Professor Armin Klümper, für den Spiegel machte, habe ich aufgelistet, was Dressel allein von ihm alles bekommen hat. Mir ist der Kragen geplatzt. Ich habe damals in der ARD gesagt: Das ist ein Hase- und Igel-Spiel, das wir nicht gewinnen können. Die Kontrollmechanismen werden immer hinterherhinken. Auch jetzt, trotz Gesetzgebung und verschärften Kontrollen. Was der Sport alles zugespielt bekommt oder sich selbst besorgt: teilweise noch in der Testphase befindliche Medikamente, die in der Schweinemast probiert werden. Für vieles, was gentechnologisch auf den Markt kommt, gibt es noch gar keine Nachweisverfahren. Der Geist ist aus der Flasche, das ist nicht mehr einzuholen.

SZ: Als Sie mit Klümper sprachen, der seit der Dopingklage der Hürdensprinterin Birgit Hamann in Südafrika lebt ...

Heidi Schüller: ... Warum wird eigentlich so viel in Südafrika trainiert?

SZ: Was hat Klümper damals gesagt?

Heidi Schüller: Er hatte überhaupt kein Unrechtsbewusstsein. Null. Ich denke, das war ein anaphylaktischer Schock, an dem Birgit Dressel verstorben ist, eine akute allergische Reaktion auf die Medikamente. Ich bin mir manchmal gar nicht sicher, ob die Qualifikation mancher Sportärzte ausreicht oder ob sie klinisch erfahren genug sind, um dopingbedingte Krisensituationen zu erkennen geschweige denn zu beherrschen. Wer kennt schon den Metabolismus aller auf dem Markt befindlichen Substanzen, noch dazu wenn sie heimlich in den Muskel gespritzt, infundiert oder transfundiert werden?

Lesen Sie auf Seite 3, was Heidi Schüller von Sportärzten hält und warum sie früh die Uniklinik Freiburg im Visier hatte

SZ: Wie wird man Sportarzt?

Heidi Schüller: Gute Frage. Ich kenne Augenärzte und Gynäkologen, die Sportmediziner sind. Ich weiß nicht, wie es heute ist, aber es war damals sehr leicht, die Zusatzbezeichnung zu bekommen mit einer bestimmten Anzahl von Sportnachweisstunden und Theorie in Wochenendkursen. Ich weiß von einzelnen älteren Kollegen, dass sie damals zu den praktischen Tests Strohmänner geschickt haben. Sportstudenten.

SZ: Was macht ein Sportarzt?

Heidi Schüller: Zumindest ist es ein Zusatztitel auf dem Praxisschild. Es gibt wissenschaftlich arbeitende Sportmediziner, bei denen habe ich Bedenken, wenn es zu sehr in diesen Leistungsausreizungsbereich hineinspielt. Dann gibt es den Bereich der Prävention und der Reha, da können sie sinnvoll wirken.

SZ: Warum gibt es überhaupt Sportärzte?

Heidi Schüller: Das frage ich mich manchmal auch. Das Orthopädische müsste ein guter Orthopäde können, oft sogar ein guter Physiotherapeut. Das kardiologisch Belastungsmäßige müsste ein guter Kardiologe können oder ein Internist, und für Wachstumshormone braucht man fachkundige Endokrinologen. Ja, wofür brauchen wir sie eigentlich?

SZ: Wenn Sie das nicht wissen ...

Heidi Schüller: Das hört der Verband der Sportärzte nicht gerne. Sie dürfen nicht vergessen: Wenn Sie einen prominenten Spitzensportler betreuen, dann kommen auch die betuchten Privatpatienten zu Ihnen. Sport hat ein dynamisches positives Image und wenn Sie sich Sportarzt nennen, importieren Sie dieses Image in Ihre Praxis oder in Ihre Klinik.

SZ: Ihr letztes öffentliches Zitat zu den Sportärzten ist über zehn Jahre her.

Schüller. Ach, ich war irgendwann entnervt. Man konnte sagen, was man wollte, es wurde nicht aufgegriffen, und ich bin nicht so missionarisch, dass ich mein Lebensthema daraus machen musste. Es gab genügend andere Baustellen, an denen man sich betätigen konnte.

SZ: Als Sie als parteilose Gesundheitspolitikerin im Schattenkabinett des baden-württembergischen Ministerpräsidenten-Kandidaten Dieter Spöri waren, haben Sie gesagt, Sie wollten unter anderem für dopingfreien Sport einstehen.

Heidi Schüller: Ich habe Spöris Angebot damals nicht angenommen, weil die SPD so eine großartige Gesundheitspolitik machte, sondern gerade weil sie es nicht machte. Und ich hätte gerne mitgeholfen, diesen Sumpf da unten auszuräumen. Schon etwas früher.

SZ: Sie hatten Freiburg im Visier?

Heidi Schüller: Zumindest die dortige, verdächtige Sportmediziner-Szene. Die Äußerungen, die von dort kamen, waren ja mehr als dubios. Man hat lange nicht begriffen, dass Doping dort offenbar von einigen systemisch verstanden wurde. Ich halte die Exzesse dort ohnehin nur für das Krebsgeschwür. Die Metastasen sitzen überall. Von dort sind wissenschaftlich ausgebildete Leute ins ganze Land ausgeschwärmt. Es ist ja dort gelehrt worden. Zumindest haben sie wissenschaftliche Arbeiten publiziert, die weltweit aufgegriffen worden sind. Ich frage mich: Wer hat das Ganze finanziert? Wer stand bei wem auf der Payroll?

SZ: Warum wird über die Sportmedizin erst jetzt so laut diskutiert?

Heidi Schüller: Fangen wir bei den Athleten an: Viele sind intellektuell nicht in der Lage zu erfassen, was sie da an Eigengefährdung treiben. Und die, die es begreifen, sind so verblendet von ihren Erfolgschancen, dass sie das Risiko bewusst eingehen. Die Funktionäre sind bestenfalls ahnungslos, ansonsten ziemlich eitel und versessen darauf, im offiziellen Mannschaftsanzug mit einzumarschieren und ihre Pöstchen nicht zu verlieren. Das Umfeld mit den Betreuern ist manchmal dubios bis kriminell, wie wir im Radsport erfahren durften. Die Politik hat lange den Konkurrenzkampf mit dem Ostblock geduldet und zumindest ein Auge zugehalten, wenn nicht beide. Und dann sollten wir die Medien nicht außen vor lassen. Die Printmedien und vor allem die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Das, was dort gelaufen ist, ist für mich schlicht Desinformation und Informationsvermeidung. Und das bei einem gesellschaftlich relevanten Thema, das längst im Breitensport angekommen ist, im Seniorenbereich, in der normalen Reha-Medizin. Unverantwortliche Risiken werden eingegangen und zum Teil Spätfolgekosten produziert, die irgendwann den Kassen zur Last fallen. Es hat doch Tote gegeben, Hinterbliebene, vielleicht sogar Waisen. Da könnte ich mir als intelligente Lösung vorstellen, dass man das IOC gerade unter Präsident Jacques Rogge, einem Chirurgen, an der Finanzierung der Spätfolgen beteiligt. Ressourcen sind reichlich vorhanden, die müssen ja nicht nur in luxuriöse Bauten in der Schweiz investiert werden.

SZ: Geht das nicht etwas weit?

Heidi Schüller: Ich weiß, das ist utopisch. Es geht nur darum, dass die Verbände und Sport-Organisatoren sich für die Spätfolgen mitverantwortlich zeigen.

SZ: Warum ist die Politik so träge in der Angelegenheit?

Heidi Schüller: Machen wir es mal am Radsport fest. Der Bund Deutscher Radfahrer vertritt im weitesten Sinne etwa 20 Millionen Radfahrer. Wenn Herr Scharping dort Präsident ist, ist das für ihn und seine Partei auch politisch nicht uninteressant. Das sind 20 Millionen potentielle Wähler. Der Sport war immer die Möglichkeit für Politiker, sich mit einem Positivimage zu profilieren. Ich habe mich selbst oft gewundert, dass sich Politiker an meine Seite quetschten, um irgendwo mit aufs Bild zu kommen.

Lesen Sie auf Seite 4, welche Konsequenzen Heidi Schüller ziehen würde und welche Rolle ihrer Ansicht nach die Medien dabei spielen.

SZ: Man spricht wenig über die Zulieferer der Dopingmittel.

Heidi Schüller: Seit die Dinge über das Internet zu beschaffen sind, ist alles möglich.

SZ: Ergebnis: Alle sind schuld. Der Spitzenathlet ist nur das Endprodukt aus der Zusammenarbeit opportunistischer gesellschaftlicher Institutionen.

Heidi Schüller: Einige verdienen ganz gut dabei. Aber im Endeffekt riskieren die Sportler Kopf und Kragen. Sie riskieren ihre persönliche Unabhängigkeit und viele ihre berufliche Existenz.

SZ: Und nun?

Heidi Schüller: Offenheit. Zunächst mal Tabula rasa. Ich komme aus der Intensivmedizin und wenn ich da einen Patienten vor mir liegen hatte, der ausgeblutet war, musste ich erst mal wissen, wo die Blutquelle ist und wie viel er verloren hat. Erst wenn ich den Status quo klar erfasst habe, kann ich vernünftig handeln. Deswegen muss man bei der Aufarbeitung des Dopings, die dankenswerterweise vom Radsport ausgeht, jetzt wirklich reinen Tisch machen. Erst dann können wir überlegen, was zu tun ist. Kleinstlösungen helfen da nicht. Es muss ein personelles Revirement geben, auch bei den Medien, Leute, die das jahrelang vertuscht haben, gehören abgelöst. Wir sollten uns außerdem nicht dem Trugschluss hingeben, dass die Nationale Antidoping-Agentur, deren Zusammensetzung man sich mal gezielter angucken sollte, etwas grundsätzlich ändern kann. In der derzeitigen personellen Konstellation schon gar nicht. Auch nicht ohne Blutproben im Training und eingefrorene Blutproben, mit denen man auch später Doping nachweisen kann. Ich halte außerdem die Rückzahlung von Fördergeld für ein interessantes Mittel, dazu die Aufhebung der Verjährungsfrist. Und das wirksamste Sofortmittel ist die Nichtpräsenz in den Medien.

SZ: Die würden aber von ihren Zuschauern unter Druck geraten.

Heidi Schüller: Gut, aber vielleicht muss man mal ein Exempel statuieren. Es war ohnehin ganz schlimm, als das Fernsehprogramm nur noch über Quote definiert wurde. Diese Programmgewaltigen, die in den großen Sendeanstalten verantwortlich sind, sind Quotensklaven, finde ich. Mir scheint, die geben ihren Intellekt und ihr Gewissen an der Pforte ab. Die werden aus Gebühren finanziert! Üppigst! Die Tour de France verdrängte alle Kultur- und Politikprogramme. Der Sport hatte eine Dominanz, die ihm nicht zusteht und mit der die Sender auch nicht gut umgegangen sind. Panem und Circenses. Das ist ja oberzynisch. Die Leute nur zu befrieden mit einer geheuchelten Parawelt.

SZ: Die Leute wollen diese Welt.

Heidi Schüller: Wenn Sie die Leute fragen, ob sie Steuern zahlen wollen, wollen sie das auch nicht. Da muss man ihnen eben erklären, warum gewisse Steuern sein müssen. Aber dann muss man sich die Zeit dafür nehmen. Und im Fernsehen ist es so: Da kriegen sie für das Bemalen von Ostereiern durch zwei Moderatoren genauso viel Zeit wie für komplizierte Sozialreformen. Da stimmt die Relation nicht. Das ist verheerend für dieses Land, weil ganz wichtige Dinge gar nicht mehr erklärt werden und dann natürlich auf das Unverständnis der Menschen stoßen. Dass diese Menschen sich dann gerne in ihre ,,heilen'' Sportwelten flüchten, ist verständlich. Aber so einfach sollten wir sie nicht davonkommen lassen. Wenn sie den Leistungssport sehen wollen, dann müssen sie auch das Dopingproblem kennenlernen, das gehört dazu.

SZ: Ihre eigenen Doping-Informationen waren immer konkret?

Heidi Schüller: Ich komme aus Köln. Ich traf Rudi Altig, andere Athleten und Ärzte. Die haben ja mit mir anders geredet als mit anderen Journalisten. Bernd Knut sagte: Wir werden an Leistungen - nicht mal an Leistungen - an Erfolgen! gemessen, und wenn man sauber bleiben will, ist man international nicht konkurrenzfähig. Seriöse Trainer waren verzweifelt. Die Fördermittel hingen ja davon ab.

SZ: Das nennt man Systemzwang.

Heidi Schüller: Ja, frustrierend ist das für einen ehrlichen Trainer. Hängst immer hinten dran. Hast Talente aber kriegst sie nie auf ein konkurrenzfähiges Niveau. Dabei: Als Ralf Reichenbach, der Kugelstoßer, 1998 tot umfiel, war doch klar, was lief. Gucken Sie sich die Gewichtheber an, die Bodybuilder. Das sieht man doch, oder? Viele haben gar kein Unterhautfettgewebe mehr. Abgesehen von den Muskelmassen. Und vom Blick.

SZ: Vom Blick?

Heidi Schüller: Ich kann mich an das Zitat eines weltbekannten Sportmediziners erinnern. Er ging um einen konkreten US-Leichtathleten, er sagte: Dem schreit das Testosteron doch aus dem Gesicht. Doping geht ja auch in die Psyche, in eine gewisse Aggressivität, Habitus, Auftreten. Ich nenne das Ego-Hypertrophie. Die sind zum Teil sehr unterhaltsam.

SZ: Ach so?

Heidi Schüller: Ja. Das sind diese Medienclowns. Die mit der großen Schnauze.

SZ: Sie haben Erfahrungen im Sport, in der Medizin, in den Medien...

Heidi Schüller: Ich bin aus dem Sport raus, weil ich dachte, da geht was schief. Gehe in die Medizin, erlebe in der Medizin genau dasselbe. Gehe aus der Medizin raus, sage, okay, wir haben ja noch die Medien. Und dann bist du in den Medien und da geht's auch nicht weiter. Irgendwann kann man nur noch lachen. Dann sieht man so was und fasst sich an den Kopf.

SZ: ,,So was'' ist Ihre Akte hier, die der Bundestag einst über sie angelegt hat und Ihnen ein Bekannter zuspielte.

Heidi Schüller: Man kommt sich vor wie ein Staatsfeind, wie bei der Stasi. Artikel und Meinungsäußerungen von mir mussten offenbar gesammelt und kontrolliert werden. Ich war im Presseclub während der Olympiabewerbung Berlins für 2000, für die ich mich nicht aussprechen wollte, weil es zu früh war, die Stadt war noch im Vereinigungschaos. Und es gab diese dilettantischen Versuche im Hotel, IOC-Mitglieder zu bestechen, ich fand das unappetitlich. Alles ist archiviert worden. Jeder Satz, den ich gesagt habe!

SZ: Gibt es überhaupt die Aussicht, etwas nachhaltig zu verändern?

Heidi Schüller: Nehmen Sie mir nicht die letzte Illusion! Ich hoffe ja noch, dass die Wellen mehr erfassen als nur den Sport. Ich könnte mir zum Beispiel wunderbar vorstellen: eine Pressekonferenz mit Herrn Blüm und Herrn Dressler, den Rentenexperten zu der Zeit, als ich Gesundheitspolitik machte. In der Manier von Zabel und Aldag. Auf der sie sich hinstellen und unter Tränen sagen: Liebe Alte in diesem Land, wir haben euch belogen. Liebe Junge, wir haben euch betrogen. Und es rührt uns sehr. (Sie lacht.)

© SZ vom 6.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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