Doping im Sport:Das olympische Rätsel bleibt

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Der Skiweltverband Fis erteilt nach einer Ausdauerstudie keine Ausnahmegenehmigung für Evi Sachenbacher-Stehle.

Richtig pikant wird der Entscheid auf den zweiten Blick, den die Internationale Skiföderation Fis dem deutschen Skiverband DSV in München übermittelte: Evi Sachenbacher-Stehle erhält keine Ausnahmegenehmigung, für die 25-jährige Skilangläuferin gilt in der am Samstag mit dem Weltcup beginnenden Saison weiter die von der Fis verfügte Schutzsperren-Regel ab einem Hämoglobin-Wert von 16,0 Gramm pro Deziliter Blut. Anders im Fall Franz Göring: Der Langläufer aus Zella-Mehlis erhält wegen eines natürlich erhöhten Hämoglobinwertes ebenso eine Sondergenehmigung wie Kollege Jens Filbrich; letzterer jedoch nur für Wettbewerbe, die in mehr als 1000 Metern Höhe stattfinden.

Immer noch unklar: der Gall Sachenbacher. (Foto: Foto: dpa)

Pikant ist der Entscheid zu Evi Sachenbacher vor allem, weil DSV-Teamarzt Ernst Jakob bei den Winterspielen im Februar in Turin in einen bizarren Gelehrtenstreit mit dem damaligen Fis-Chefmediziner Bengt Saltin (Schweden) eingetreten war: Jakob führte beharrlich eine besondere genetische Disposition bei seiner Athletin ins Feld, die für einen natürlich erhöhten Hämoglobinwert verantwortlich sei. Entsprechend auffällige Blutwerte Sachenbachers hatten sich nur leider nirgendwo niedergeschlagen - am wenigsten in den Reihenuntersuchungen, die der renommierte Dopingexperte Saltin für die Fis seit 2001 durchführte. Als Sachenbacher just zum Saisonhöhepunkt vor dem ersten olympischen Rennen mit einem überhöhten Hämoglobinwert von 16,4 Gramm pro Deziliter Blut getestet wurde, erhielt sie wie elf andere auffällige Akteure eine fünftägige Schutzsperre, am Auftakt-Wettbewerb konnte sie nicht teilnehmen.

Vorwürfe und Widersprüche

Der deutsche Ärger war enorm, man sah sich ungerechtfertigt verdächtigt; erhöhte Hämoglobinwerte gelten ja nicht nur als Gesundheitsrisiko, sondern auch als Symptom für Blutdoping. Teamarzt Jakob attackierte Saltin, weil der keine Ausnahmegenehmigung erteilt hatte - obwohl die Sportlerin laut Jakob natürlich erhöhte Hämoglobinwerte habe. Der DSV zog sogar vor den Sportgerichtshof Cas, scheiterte aber, und sah sich nun in Widersprüche verstrickt. Denn Saltin las beim Cas aus seiner Datenbank vor: Sachenbacher hatte seinen rund 50 Vergleichswerte umfassenden Langzeittests zufolge stets Werte zwischen 14,0 und 15,6 g/dl aufgewiesen, die keine Sondergenehmigung rechtfertigten. Und die den Anstieg auf 16,4 g/dl nun sehr verdächtig erscheinen ließ.

So bleibt der hohe Wert am 9. Februar bis heute rätselhaft - und ungeklärt. ,,So hoch war ihr Wert nie'', sagte Saltin damals - und warf die nächstliegende Frage auf: Er wundere sich, ,,wie sie in fünf Tagen so viele rote Blutkörper zulegen konnte''. Denn am 4. Februar bei einem Test in Davos hatte Sachenbacher ein ganzes Gramm weniger: 15,4 g/dl.

Experten wie der Münchner Hämatologe Christian Peschel oder Zellforscher Werner Franke teilten Saltins Sicht, dass es für derart sprunghaft ansteigende Hämoglobinwerte nur vier Erklärungen gibt: genetische Anomalie, effektives Höhentraining, starke Entwässerung des Körpers - oder Eigenblutdoping. Letzteres wird im Ausdauersport praktiziert, weil es die gängige Analytik nicht entdecken und es allenfalls zu Schutzsperren führen kann - eben, wenn der Hämoglobinwert zu hoch ist. Im Fall Sachenbacher schieden Höhentraining und extreme Dehydratation aus. Sie war von Davos nach Hause (Reit im Winkl) und dann nach Pragelato in den Turiner Alpen gereist, das auf ungefähr derselben Höhe wie Davos liegt. Auch starke Entwässerung, verursacht etwa durch Intensivtraining oder eine Durchfallerkrankung, ist nicht belegt, der DSV trug nichts derartiges beim Cas vor. Blieb eine Anomalität - diese reklamierte Teamarzt Jakob laut Saltin seit 2003 beim Weltverband.

Hinzu kamen weitere Irritationen. So äußerte der DSV-Antidopingbeauftragte Paul Nowacki Zweifel an Jakobs Argumentation und erhob schwer wiegende Vorwürfe gegen Bundestrainer Jochen Behle. Nowacki, Professor für Sportmedizin in Gießen, hält die Langlauf-Szene generell für verdächtig, Blutwerte zwecks höherer Sauerstofftransportkapazität zu manipulieren - ,,da kennt sich auch der Bundestrainer sehr, sehr gut aus'', hatte Nowacki im Februar erklärt.

Stabile Werte

In der Folge hatten sich Sachenbacher und Filbrich im Sommer unter der Leitung Saltins einer Belastungsstudie unterzogen, um zu beweisen, dass ihre erhöhten Blutwerte genetisch bedingt seien (die Studie soll beim Weltcup in Kuusamo Ende November öffentlich präsentiert werden). Saltin nahm die Untersuchung als Verantwortlicher für eine Studie der Weltantidoping-Agentur Wada vor, die Ergebnisse sieht er als Bestätigung seiner früheren Arbeit. Die Frage, welcher Schluss sich aus Sachenbachers wissenschaftlich ungeklärtem Turin-Wert ergebe, wollte er nicht beantworten, aber ,,generell'', so Saltin am Montag zur SZ, ,,gilt: Die Hämoglobinwerte aller in der Wada-Studie getesteten Sportler blieben sehr stabil - trotz massiver Einflussfaktoren wie hohem Flüssigkeitsverlust und hartem Training''.

Der DSV will in den nächsten Wochen die Fis-Begründung genau prüfen und dann reagieren.

© SZ vom 24.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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