Doping im Radsport:Vom Herrn Doktor um die Ecke

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Der gut begründete Verdacht gegen den Hamburger Radcross-Teamarzt Til Steinmeier lenkt den Blick auf den Mediziner als Hintermann im Dopingsumpf.

Andreas Burkert

Er habe sehr wenig Zeit, hatte Til Steinmeier gesagt, und das bestätigen wirklich alle, mit denen man über ihn redet: Steinmeier arbeite unheimlich viel. Wo gehobelt wird, fallen Späne, heißt es ja, und wer so engagiert und umtriebig ist wie der Hamburger Doktor Til Steinmeier, der macht Fehler, natürlich. Sein Handy müsse ihm nachgeschickt werden, hat er beispielsweise diese Woche erzählt in einem ersten Gespräch, er habe es in der Hektik bei Freunden in Mecklenburg vergessen. Das mutmaßliche Fehlverhalten indes, für das er sich sicher bald rechtfertigen muss, ist wohl weniger auf Stress und Zeitnot zurückzuführen.

Ein Blick auf den Computer von Steinmeier. (Foto: Foto: Süddeutsche Zeitung)

Sondern auf kriminelle Energie.

Über umstrittene Ärzte ist viel diskutiert worden in diesem Sportsommer, der eben nicht nur ein deutsches Sommermärchen erzählte, sondern auch schmutzige wie ernüchternde Schurkenstücke von gedopten Helden aus der Leichtathletik oder dem Radsport und von international operierenden Dopingnetzwerken. Italienische Gurus wie der Sportbetrüger Ferrari oder Cecchini drehen ja vermutlich weiterhin am ganz großen Rad, ihr spanischer Kollege Fuentes, zentrale Figur des Dopingskandals um Jan Ullrich und Ivan Basso, sowieso. Spuren dieser Affäre sollen nach Deutschland führen, die Behörden sind noch damit beschäftigt, doch das Publikum hat sich wohl bislang trotzdem nicht wirklich vorstellen können, dass sich auch im Kleinen - quasi unter den eigenen Sportärzten um die Ecke - zwielichtige Hintermänner im weißen Kittel befinden könnten.

Internist der HSV-Fußballer

Im Falle Til Steinmeiers hat sich ein unangenehmer Verdacht nun sehr erhärtet, denn er versorgte offenbar von ihm betreute Profisportler aus der Radcross-Szene mit verbotenen Modedopingmitteln wie Epo, Andriol und Synacthen. Auch soll er Dritte dazu angestiftet haben, bei einer Dopingkontrolle für einen Sportler Urin abzugeben. Steinmeier äußert sich nicht zu den Vorwürfen, in einer schriftlichen Stellungnahme schreibt er lapidar: ,,Ich bin nach wie vor gegen das Doping.''

Til Steinmeier, 46, heißt mit Vornamen eigentlich Tilman, doch nur seine Mutter nennt ihn so. Die ältere Dame bringt ihm mittags das Essen in die Praxis. Ihr Sohn ist in Hamburg ein bekannter Sportarzt, in seiner Praxis in den Colonnaden, die den ambitionierten Namen ,,Fit imPuls'' trägt, gehen nicht nur die nun verdächtigten Radcross-Profis des erfolgreichen deutschen Stevens-Racing-Teams um den deutschen Meister Johannes Sickmüller ein und aus. S ondern regelmäßig auch die von derlei Vorwürfen nicht betroffenen Fußballprofis des Hamburger SV.

Neben dem offiziellen Teamarzt des Klubs sei er ,,einer von ein paar anderen Ärzten, die den HSV betreuen'', hat Steinmeier anfangs gesagt, als er noch gerne Auskunft über sein Schaffen gab. Er ist der Internist des HSV, auch die Junioren und Amateure kommen zu ihm, ebenso die Handballer, derzeit Tabellenführer der Bundesliga. Zudem ist der passionierte Marathonläufer an einer Produktlinie für Sportsalben und Nahrungsergänzungsmittel beteiligt.

Doktor Steinmeier stehe gerne in der Zeitung, sagen langjährige Begleiter über ihn, und zuletzt hat der Allgemeinmediziner und Leistungsdiagnostiker einige Interviews gegeben, in denen er angewidert über die Dopingmentalität sogar unter Hobbysportlern klagte. ,,Etwa zehn Prozent'' der Freizeitathleten seien gedopt bei Marathons oder den beliebten Jedermann-Radrennen; viele Patienten kämen diesbezüglich auf ihn zu, doch er lebe ,,von einem sauberen Ruf''.

An diesem Ruf zweifelt inzwischen nicht nur der Heidelberger Antidoping-Kämpfer Werner Franke erheblich, er hat jedenfalls nach Einsicht der dieser Zeitung vorliegenden Unterlagen am Freitag in Hamburg Strafanzeige gegen Til Steinmeier ,,wg. Beihilfe zur Körperverletzung und zum Betrug an Krankenkassen sowie Verstoßes gegen Arzneimittelgesetz'' gestellt. ,,Denn was er da mutmaßlich verschrieben hat, ist für Dopingzwecke gedacht und hoch gefährlich - das ist hohe Kriminalität, da brauchen wir gar nicht lange reden'', sagt Franke empört.

In der Tat ist allein das, was Steinmeier laut Computerbild dem Crossfahrer Fabian Brzezinski verordnet haben soll, kaum für einen leistungsfähigen jungen Mann von 25 Jahren geeignet. Laut der Akte aus seinem PC-Programm (,,Der Arztrechner - Dr. med. Til Steinmeier - Behandlungsdaten''/siehe Ausrisse) muss der Stevens-Racing-Teamarzt Steinmeier dem bisherigen Stevens-Profi aus Berlin zwischen Mai und November 2005 das Blutdopingmittel Epo (Eprex), die ebenfalls klassische Substanz Andriol (androgenes Anabolikum) sowie das kortisolsteigernde Synacthen verschrieben haben. Alle Mittel stehen auf der Dopingliste und bergen hohe gesundheitliche Gefahren: Eprex wird ,,nur bei ganz schweren Nierenerkrankungen oder bestimmten Tumoren verwendet, die Anwendung ist nur vertretbar in ärztlichen Hochnotfällen, denn es können Schockreaktionen auftreten'', erläutert Professor Franke. Gleiches gilt für Synacthen, das zur Behandlung von Multipler Sklerose gedacht ist und ebenfalls nur stationär eingesetzt werden darf. ,,Wenn ich das sehe, graust es mir'', sagt der Münchner Dopingkontrolleur Helmut Pabst beim Anblick der Dokumente. Er ergänzt: ,,Dass es so etwas anscheinend auch in Deutschland gibt, überrascht mich allerdings nicht.''

Brzezinski, Vierter der deutschen Crossmeisterschaft, äußerte sich am Freitag ,,sehr erstaunt'' über die Vorwürfe. ,,Ich kann dazu nichts sagen, ich habe mit solchen Sachen nichts zu tun. Ich nehme nichts Verbotenes und habe im letzten Jahr sechs Trainingskontrollen gehabt, im Jahr davor vier.'' Ähnlich reagierte Johannes Sickmüller auf den Hinweis, dass in seiner Datei einmal ,,Andriol Eurim 60 Kaps.'' auftauche. Sickmüller gewann im Januar in Hamburg erstmals die deutsche Radcross-Meisterschaft. ,,Ich bin mir keiner Schuld bewusst'', wiederholte er auf Anfrage mehrfach, ,,ich habe so etwas nie genommen.'' Ob er das Mittel von Steinmeier zumindest erhalten habe, wollte er nicht sagen. Sickmüller ist schon einmal bei einer deutschen Meisterschaft nicht auffindbar gewesen für die Kontrolleure und wurde deshalb gesperrt.

Die Unruhe hat ein junger Arzt in die deutsche Crossszene getragen, von ihm stammen nach eigener Aussage die Fotografien des Computers aus Steinmeiers Behandlungszimmer. Der Facharzt für Allgemeinmedizin ist ein Jahr lang in Steinmeiers Praxis angestellt gewesen, später machte er noch einige Monate Praxisvertretungen. Er wisse, worauf er sich gerade einlasse, sagt der Familienvater. Schließlich hat er die ärztliche Schweigepflicht verletzt, er wandte sich deshalb jetzt an die Hamburger Ärztekammer. Er würde seine Aussagen auch vor Gericht wiederholen ,,und das durchziehen'', sagt Martin N. (Name geändert; d.Red.).

N. erzählt, er habe früh mitbekommen, dass in der Praxis ,,etwas läuft''. Das sei dort ein offenes Geheimnis gewesen. Doktor Steinmeier habe ihm irgendwann erklärt, dass ,,die anderen auch alle gedopt'' seien. Generell sei er aber mit Steinmeier gut ausgekommen, die Trennung sei keinesfalls im Bösen erfolgt.

Auslöser, aktiv gegen die mutmaßlichen Vergehen des Chefs vorzugehen, sei ein Vorfall vor einem Jahr gewesen. Damals habe Steinmeier ihn kurzfristig gefragt, ob er bei einem Hamburger Crossrennen als offizieller Rennarzt einspringen könne. Die Veranstaltung organisierte Stevens-Racing, offenbar übernahm Steinmeier bei den Heimrennen die Doping-Kontrolle oder organisierte sie zumindest. Steinmeier habe dann zu ihm gesagt: Wenn Jens Schwedler ,,pinkeln muss, dann machst du das, denn der ist bis unters Dach voll''. N. lehnte ab und verzichtete auf den Nebenjob.

Schwadronieren über Ullrich

Til Steinmeier hat auch zu den Schwedler betreffenden Vorwürfen nicht geantwortet. Der Informant sei ,,mir bekannt'', schreibt er ganz allgemein, ,,dieser hat seine ärztliche Schweigepflicht verletzt und ich werde ggf. Strafanzeige erstatten (...)''. Zu Verschreibungen könne er nichts sagen, das ,,verbietet mir meine ärztliche Schweigepflicht''. Die erwähnten Verschreibungen dementiert er damit nicht. Nur zum Epo, das sich laut N. regelmäßig im Praxiskühlschrank befunden haben soll, äußert er sich: ,,Eprex verwenden wir bei nierenkranken Patienten, die wir auch in unserer Praxis betreuen.''

Doch wieso die offensichtliche Eprex-Gabe an einen kerngesunden Radprofi?

Schwedler, 38, ist einer der bekannteren deutschen Crossfahrer gewesen und Sickmüllers Vorgänger als Meister. Heute ist er Teamchef der Mannschaft, die über einen Etat von etwa 200000 Euro verfügt. Schwedler erwähnt in dem sehr ausführlichen Gespräch nebenbei, dass er ja auch Jan Ullrich gut kenne aus dessen Hamburger Jahren. Sie haben früher, Mitte der 90er, miteinander trainiert, zuletzt aber nur noch raren E-Mail-Kontakt gehabt.

Über seine Kontakte zu Ullrich habe Schwedler auch ihm ,,etwas schwadronierend'' erzählt, berichtet Klaus-Michael Braumann. Er ist Vorsitzender der Hamburger Sportärztevereinigung. ,,Schwedler hat damals behauptet, zu wissen, wann und wie viel Epo Ullrich nimmt'', sagt Braumann, 56. ,,Damit ist Herr Schwedler durch die Szene getingelt - ich wusste aber nie, wie ernst man das nehmen konnte.''

Jens Schwedler nennt diese Aussage ,,die größte Lüge, die ich jemals gehört habe''. Und Ullrich sei übrigens nie bei Steinmeier gewesen. Schwedler kann ansonsten ,,nicht glauben, dass jemand so etwas über mich sagt''. Er ist empört und versichert, ,,niemals gedopt'' zu haben. Steinmeier sei sicherlich ,,kein Kind von Traurigkeit'', ergänzt er, ,,Til gibt dir auch mal eine Spritze ins Knie, wenn man ihm drum bittet.'' Steinmeier habe ihm jedoch ,,definitiv keine Dopingmittel verabreicht, es sei denn, auf mein Bitten''. Schwedler ergänzt, in diesen Ausnahmefällen (,,das war zweimal'') habe er eben nach schweren Unfällen ein entsprechendes Attest gehabt.

In Schwedlers Aktenbild taucht Synacthen auf: ,,Synacten Depot am 21.12.02 bekommen!'' ,,Dass ich das bekommen habe, stelle ich gar nicht in Frage'', sagt Schwedler verblüffend offen. Grund sei damals jedoch ,,ein schwerer Sturz'' gewesen. Grund für die Einnahme eines gefährlichen Multiple-Sklerose-Präparates?

Schwedler gibt sich ansonsten perplex über die mutmaßlichen Medikationen seines Weggefährten an seine Fahrer. ,,Er hat mir davon nie etwas erzählt, ich kann diese These nicht nachvollziehen.'' Er stelle Steinmeier, mit dem er seit 1995 arbeite, nicht in Frage. ,,Ich halte ihn weiterhin für einen sehr guten Arzt und würde jederzeit mit meiner Tochter zu ihm gehen.'' Ein wenig gewundert habe er sich allerdings über Steinmeiers Reaktion, als er ihn wegen der Anschuldigungen einvernommen habe: ,,Er hat sich relativ neutral verhalten und will jetzt keine Antwort geben - er hat es weder zugegeben noch abgestritten.''

Müsste Schwedler, wenn er sich denn selbst tatsächlich nichts vorzuwerfen habe, nicht sehr sauer sein über seinen langjährigen Partner? ,,Sie wissen ja nicht, wie es in mir aussieht'', entgegnet er dazu und kündigt ,,ein klärendes Gespräch an''. Schwedler sagt dann noch, er finde die Recherchen ,,wichtig für unseren Sport, Sie haben Ihre Pflicht, so etwas aufzuarbeiten.'' Er wiederholt das Lob zwei-, dreimal. ,,Und dass solche Sachen jemandem gegen den Strich gehen, ist auch okay.'' Er meint den jungen Arzt N.

Martin N. hat sich nach der von ihm geschilderten Aufforderung Steinmeiers zur Manipulation hinter dem Rücken des UCI-Komissärs - Schwedler wurde letztlich nicht zur Kontrolle ausgewählt - eine Woche Zeit gelassen. Dann schrieb er an die Nationale Anti-Dopingagentur Nada in Bonn, ohne konkret Namen zu nennen. In seiner E-Mail vom 17.10.2005 schildert er den angeblichen Vorfall und seinen juristisch-moralischen Zwiespalt (,,...wusste nicht, an wen ich mich wenden sollte...; ... ob ich rein juristisch gesehen irgendwelche Schritte ergreifen muss ...?'')

Er hörte zwei Monate nichts.

N. schrieb Mitte Januar noch einmal. Eine weitere Woche später meldete sich immerhin Nada-Geschäftsführer Roland Augustin persönlich. Könne man leider nichts machen, hörte N. ihn sagen. Heute betont Augustin, damals habe ihm N. weder Namen noch die Sportart oder die abfotografierten Daten zukommen lassen. ,,Es hat gedauert, bis wir uns gemeldet haben, wir haben ihn etwas allein gelassen, das muss ich einräumen'', sagt Augustin. ,,Wir hätten zu ihm fahren können, den Vorwurf muss ich mir gefallen lassen.''

So souverän wie die finanziell und personell zweifelsfrei nicht ausreichend ausgestattete Nada dürfte Til Steinmeier im Nachhinein nicht mit seinen Fehlern umgehen. Er droht N. und denjenigen, die seine glaubhaften Ausführungen publizieren, mit dem Richter: ,,Unterlagen können nur durch strafbare Handlungen in Ihren Besitz gelangt sein. Insoweit behalte ich mir rechtliche Schritte vor.''

Das klingt spannend.

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